# taz.de -- Klimaschutz als Menschenrecht: Seniorinnen siegen in Straßburg | |
> Der Menschenrechtsgerichtshof gibt einer Gruppe älterer Frauen recht: Ihr | |
> Land tue zu wenig, um das Klima zu schützen. Das Urteil gilt als | |
> wegweisend. | |
Bild: Großer Jubel: Die Klimaseniorinnen am Dienstag nach ihrem Erfolg vor dem… | |
BERLIN taz | Es gilt als wegweisendes Urteil: Die Schweiz schützt ihre | |
Bürger*innen zu wenig vor der Klimakrise. Sie müsste mehr tun, um den | |
Anstieg der globalen Temperatur zu begrenzen – also für weniger | |
Treibhausgasemissionen sorgen. Das hat der Europäische Gerichtshof für | |
Menschenrechte am Dienstag in Straßburg entschieden. | |
Geklagt hatten die Klimaseniorinnen, eine Gruppe aus mehr als 2.000 | |
Schweizerinnen, die durchschnittlich 73 Jahre alt sind. Sie hatten sich | |
schon in der Schweiz durch die Instanzen geklagt – ohne Erfolg. Ihre | |
Argumentation: Sie seien besonders von den Folgen der Klimakrise betroffen, | |
wären zum Beispiel als ältere Frauen noch stärker als die | |
Durchschnittsperson während Hitzewellen in Gefahr. Insgesamt [1][gehen die | |
Schweizer Behörden von 474 Hitzetoten im Sommer 2022 aus], neuere Daten | |
liegen noch nicht vor. Auch in Deutschland starben in dem Jahr sehr viele | |
Menschen durch Hitze, laut Robert-Koch-Institut gab es 4.500 Fälle. | |
Die Straßburger Richter*innen wiesen allerdings am Dienstag auch zwei | |
weitere Klimaklagen gegen Regierungen ab: Sechs portugiesische Jugendliche | |
hatten mehr als 30 europäische Staaten auf mehr Klimaschutz verklagt, | |
darunter Deutschland. Und der ehemaliger französischer Bürgermeister des | |
Küstenorts Grande-Synthe, Damien Carême, forderte für dessen Schutz mehr | |
Engagement gegen die Erderhitzung von seiner Regierung. | |
Nur hatten die Portugies*innen noch gar nicht ihre heimischen Gerichte | |
angefragt. Und Carême ist mittlerweile als EU-Abgeordneter in Brüssel | |
wohnhaft, gilt also für das Straßburger Gericht nicht mehr als Opfer der | |
Klimawandelfolgen in Grande-Synthe. In beiden Fällen sprachen also formale | |
Gründe gegen einen Erfolg vor dem Menschenrechtsgerichtshof. | |
## „Ein Sieg für alle“ | |
Die Enttäuschung bei den gescheiterten Kläger*innen ist groß. Zunächst | |
hatte das Gericht dem portugiesischem Fall sogar besondere Priorität | |
eingeräumt. „Ich hatte wirklich gehofft, dass wir vor Gericht gegen alle | |
Länder gewinnen würden“, sagte die 19-jährige Klägerin Sofia Oliveira am | |
Dienstag. „Ich bin natürlich sehr enttäuscht, dass das nicht passiert ist.�… | |
Sie freut sich aber mit ihren Schweizer Mitstreiterinnen. „Am wichtigsten | |
ist, dass das Gericht im Fall der Klimaseniorinnen deutlich gemacht hat, | |
dass Regierungen ihre Emissionen stärker senken müssen, um Grundrechte zu | |
schützen“, so die Portugiesin. „Also denke ich wirklich, dass ihr Sieg auch | |
ein Sieg für uns ist. Und damit ein Sieg für alle.“ | |
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte überwacht die Einhaltung der | |
Europäischen Menschenrechtskonvention, die der Europarat vereinbart hat. | |
Dem gehören neben EU-Staaten auch andere Länder an, die auf dem | |
europäischen Kontinent liegen. Insgesamt sind es 46. Russland wurde infolge | |
des [2][Kriegs gegen die Ukraine] ausgeschlossen, der | |
Menschenrechtsgerichtshof verhandelt allerdings weiter Fälle gegen Moskau. | |
Die Menschenrechtskonvention ist von 1950, stammt also aus einer Zeit, als | |
über den Klimawandel noch nicht viel bekannt war. Entsprechend enthält sie | |
dazu auch keine Richtlinien oder Vorschriften, auch nicht zu anderen | |
ökologischen Krisen. Dennoch hat der Menschengerichtshof schon Staaten zum | |
Erhalt einer „gesunden Umwelt“ verpflichtet, und zwar mit Verweis auf das | |
Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das die | |
Menschenrechtskonvention garantiert. Insofern galt es als ungewiss, wie die | |
Richter*innen entscheiden würden. | |
## Künftige Generationen besonders bedroht | |
Auch Klimaforscher*innen betonen, welche Einschränkungen die | |
Klimakrise für Individuen und Gesellschaften bedeutet. „Hitzewellen, | |
Dürren, Überschwemmungen und Waldbrände bedrohen schon heute | |
Menschenleben“, sagte Johan Rockström, Chef des Potsdam-Instituts für | |
Klimafolgenforschung, am Dienstag nach Verkündung der Entscheidung aus | |
Straßburg. „Mit fortschreitendem Klimawandel nehmen diese | |
Extremwetterereignisse zu.“ | |
Künftige Generationen seien daher besonders vom [3][Klimawandel] bedroht. | |
„Regierungen müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um Emissionen zu mindern | |
und schwer vermeidbare CO2-Emissionen durch Negativemissionen | |
auszugleichen“, so der Wissenschaftler. „Je stärker wir das CO2-Budget für | |
die 1,5 Grad überschreiten, desto mehr CO2 muss darüber hinaus durch | |
gezielte Entnahmen abgebaut werden.“ | |
Expert*innen sehen den Klageerfolg der Schweizerinnen, der Klimaschutz | |
offiziell zur Menschenrechtsfrage macht, als bedeutsam an. Zum Beispiel die | |
Juristin Catherine Higham von der London School of Economics: „Jetzt haben | |
wir schwarz auf weiß, dass Regierungen beim Klimawandel eine Schutzpflicht | |
für ihre Bevölkerung haben.“ | |
9 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/cc/kom/synthesebericht-monito… | |
[2] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[3] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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