# taz.de -- Erfolg für Fridays for future: Sieg bei Klimaklage in Estland | |
> Der Oberste Gerichtshof widerruft eine Baugenehmigung für eine | |
> treibhausgasintensive Schieferölraffinerie. Doch noch ist das Projekt | |
> nicht gestoppt. | |
Bild: Hier in Kivioli, im Nordosten Estlands, sollte eine Schieferölraffinerie… | |
Stockholm taz | Gleich bei der ersten Klimaklage, die es in Estland bislang | |
gab, haben die KlimaaktivistInnen von Fridays for Future Estland [1][einen | |
Erfolg errungen]. Der Oberste Gerichtshof des Landes gab in der vergangenen | |
Woche ihrer Klage auf Annulierung der Baugenehmigung für eine neue, | |
treibhausgasintensive Schieferölraffinerie recht. In der Anlage soll | |
Ölschiefer zu Schieferöl verarbeitet werden. Dabei hob das Gericht zwei | |
anderslautende Urteile von Vorinstanzen auf und ordnete einen Baustopp für | |
die im Nordosten Estland [2][bereits im Bau befindliche Anlage an]. | |
Die RichterInnen bemängelten vor allem Fehler bei der | |
Umweltverträglichkeitsprüfung der Fabrik des staatlichen Energiekonzerns | |
[3][Enefit]. Bei der Prüfung seien die Auswirkungen auf ein | |
Vogelschutzgebiet, das Teil des EU-weiten Natura-2000-Netzwerks ist, | |
„völlig unterschätzt“ worden. | |
Auch seien Fehler bei der Bewertung der umweltschädlichen Auswirkungen der | |
mit Phenol verschmutzten Abwässer der Anlage gemacht worden. Auch die | |
Folgen des Betriebs der Fabrik für die Treibhausgasbilanz Estlands seien | |
nicht ausreichend beachtet worden. | |
Allerdings hielt das Gericht die von der Genehmigungsbehörde angestellten | |
Überlegungen zu den Klimafolgen – und das hatte die Fridays-Klage vor allem | |
bestritten – unter Berücksichtigung der damit verbundenen Unwägbarkeiten | |
für gerade noch „vertretbar“. Zum Zeitpunkt der Erteilung der | |
Baugenehmigung sei das verbindliche Klimaziel der EU lediglich gewesen, die | |
Treibhausgasemissionen der Staatengemeinschaft insgesamt bis 2030 um 40 | |
Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. | |
## Gericht: Klimaziele auch mit Raffinerie erreichbar | |
Estlands Parlament hatte seinerzeit als Zielmarke festgelegt, die | |
Klimagasemissionen des Energiesektors bis 2030 um 70, bis 2040 um 72 | |
Prozent und bis 2050 um 80 Prozent, jeweils im Vergleich zu 1990 zu | |
reduzieren. Es erscheine gegenwärtig nicht unmöglich, diese Ziele auch mit | |
dem Betrieb der neuen Raffinerie zu erreichen, so das Gericht. | |
Das aktuelle Urteil dürfte den Bau vermutlich nicht stoppen, sondern nur | |
verzögern. Der Gerichtshof räumte den zuständigen Behörden nämlich die | |
Möglichkeit ein, unter Berücksichtigung der Einwände des Gerichts eine neue | |
Baugenehmigung zu erteilen. Weshalb Enefit schon kurz nach dem Urteil am | |
Mittwoch ankündigte, man werde natürlich nachbessern, um die Anlage | |
fertigbauen zu können. | |
Bei [4][„Fridays for Future Estland]“ glaubt man aber noch einen Trumpf in | |
der Hand zu haben. Nach ihrer Fertigstellung brauche die Anlage eine | |
Betriebsgenehmigung. Für diese würden dann aber nicht mehr die Klimaziele | |
von 2019, sondern die mittlerweile verschärften aktuellen Werte gelten. | |
## Regierung soll Klimaziele erfüllen | |
Eine rechtliche Einschätzung, die Heiki Loot, Richter am Obersten | |
Gerichtshof gegenüber Medien grundsätzlich bestätigte. „Es ist sehr | |
unwahrscheinlich, dass die Anlage noch mit diesen Klimazielen im Einklang | |
steht“, meint Kertu Birgit Anton von „Fridays“: Selbst wenn die Raffinerie | |
eine neue Baugenehmigung erhalten sollte, wäre es eher unwahrscheinlich, | |
dass auch der Betrieb genehmigt werde. Falls doch, wäre dies ein Grund für | |
eine neue Klage. | |
Über den aktuellen Fall hinaus verpflichtet der Oberste Gerichtshof die | |
Regierung in Tallinn in seinem Urteil auch ausdrücklich, die | |
Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen und „rechtzeitig | |
einen realistischen und rechtsverbindlichen schrittweisen und | |
sektorbezogenen Emissionsverteilungsplan zur Erreichung der | |
Klimaneutralität“ zu erstellen. Estland ist bislang eines der wenigen | |
EU-Länder, die noch kein Klimagesetz haben. | |
Ein Grund für dieses Zögern dürfte die Frage der Zukunft der | |
Ölschieferbranche im Land sein. Die heimische Stromproduktion beruhte | |
zuletzt rund zur Hälfte auf der Verbrennung von Ölschiefer, der | |
umweltschädlichsten und ineffektivsten Methode, um [5][mit der Verfeuerung | |
fossiler Brennstoffe Elektrizität zu produzieren]. Im vergangenen Jahr | |
betrug dieser Anteil sogar 57 Prozent. Die Stromproduktion aus Ölschiefer | |
[6][stieg um 42 Prozent]. | |
In der [7][Handelsbilanz des Landes] nehmen der Export von Elektrizität und | |
Raffinerieprodukten, die aus Ölschiefer gewonnen werden, die vordersten | |
Plätze ein. An dieser Branche hängen auch Zehntausende Arbeitsplätze im | |
strukturschwachen Nordosten. | |
16 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://fridaysforfuture.ee/en/climate-lawsuit/ | |
[2] https://www.riigikohus.ee/et/lahendid/?asjaNr=3-20-771%2F103 | |
[3] https://www.enefit.com/home | |
[4] https://fridaysforfuture.ee/en/eesti-fridays-for-future-english/ | |
[5] /Estland-setzt-auf-Oelschiefer/!5443711 | |
[6] https://www.stat.ee/en/news/oil-shale-electricity-production-increased-last… | |
[7] https://www.stat.ee/en/news/2022-trade-goods-increased-trade-deficit-was-33… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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