| # taz.de -- Estland setzt auf Ölschiefer: Der Schmutzfink Europas | |
| > Der baltische Staat landet bei allen Klima-Rankings ganz weit hinten. Der | |
| > Grund ist die Engergiegewinnung durch den Abbau von Ölschiefer. | |
| Bild: Die Bahn gilt zwar allgemein als umweltfreundlich, aber nicht wenn sie mi… | |
| Stockholm taz | Digitaler Vorreiter in Europa? Ja, so lässt sich Estland | |
| gern nennen. Hoffnungslos abgeschlagener Nachzügler bei der Energiewende | |
| oder gar Schmutzfink Europas? Das hört man in Tallinn verständlicherweise | |
| weniger gern. Das EU-Land, das seit Juli erstmals die Ratspräsidentschaft | |
| der Union übernommen hat, landet im aktuellen [1][Klimaschutz-Index] von | |
| Germanwatch und CAN Europe auf dem letzten Platz aller Mitgliedsländer. Und | |
| außer Estland muss sich kein anderes EU-Land über die Klimagesamtnote „sehr | |
| schlecht“ schämen. | |
| Als einziges EU-Mitglied hat Estland es geschafft, den Anteil erneuerbarer | |
| Energiequellen an der Primärstromversorgung zwischen 2009 und 2014 zu | |
| senken. Mit einem Anstieg der CO2-Emissionen pro Einwohner um rund ein | |
| Fünftel seit 2009 ist man auch bei dieser Kennzahl einsamer | |
| Negativspitzenreiter in der Union. | |
| Im Germanwatch-Index rutschte der baltische Staat seit 2009 von Platz 31 | |
| auf nunmehr Platz 50 ab und liegt mittlerweile noch hinter Weißrussland. | |
| Ja, räumt der estnische Umweltminister Marko Pomerants ein, man habe nicht | |
| nur die „Kohlenstoff-intensivste Volkswirtschaft“ der EU, sondern aller | |
| OECD-Länder. | |
| Die Hauptursache für Estlands katastrophale Klimaperformance ist ein | |
| Bodenschatz: Ölschiefer. Ein Sedimentgestein, das Bitumen enthält, eine | |
| Vorstufe von Erdöl. In Estland gibt es knapp ein Fünftel aller europäischen | |
| Ölschiefervorkommen. Sie sind zum großen Teil im Tagebau zugänglich. | |
| Doch von allen Methoden, Elektrizität durch Verfeuerung fossiler | |
| Brennstoffe zu produzieren, ist die mit Ölschiefer die umweltschädlichste | |
| und ineffektivste. Der Heizwert liegt unter dem von Braunkohle, „die | |
| Verbrennung von Ölschiefer gibt mehr CO2 in die Atmosphäre frei als jeder | |
| andere Primärbrennstoff“, konstatiert die OECD. | |
| ## Übrig bleiben Giftberge | |
| Rund die Hälfte des Ölschiefers bleibt nach der Verbrennung in Form | |
| giftiger Schlacken- und Aschenberge zurück. Von den Halden geht eine | |
| massive Oberflächen- und Grundwasserverschmutzung aus. Ölschiefer zur | |
| Stromproduktion? Das macht man eigentlich nur, wenn Ökonomie und Umwelt | |
| keine Rolle spielen. | |
| Dass diese Technik mehr als 25 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion in | |
| Estland weiterlebt, ist eigentlich ein Unding. Doch von der staatseigenen | |
| Eesti Energia werden jährlich 16 Millionen Tonnen verfeuert, die | |
| Ölschieferverstromung steht für mehr als 90 Prozent der gesamten | |
| Stromproduktion des Landes. War es zunächst bequem, die ererbte | |
| Infrastruktur weiterzubetreiben, spielt für die Politik nun das Argument | |
| der Erhaltung von Tausenden von Ölschiefer-Arbeitsplätzen im | |
| strukturschwachen Nordosten die zentrale Rolle. | |
| Um die auch angesichts sinkender Weltmarktpreise für Öl nicht zu gefährden, | |
| wurde sogar Mitte 2016 die Ölschiefersteuer von 1,58 auf 0,275 Euro pro | |
| Tonne gesenkt. Das werde aber alles nichts bringen, warnt der diesjährige | |
| [2][Estland-Länderbericht der OECD]: Selbst subventionierte | |
| Ölschieferverstromung könne langfristig nicht mit Erneuerbaren | |
| konkurrieren. | |
| Doch noch ist Estland dank Ölschiefer größter Stromproduzent der baltischen | |
| Staaten. Neben Erdöl und Erdgas wird ein Drittel der jährlich produzierten | |
| 12 Terrawattstunden Strom exportiert. Laut [3][aktuellen Zahlen] setzte der | |
| Energiesektor des Landes pro Einwohner 2014 13,3 Tonnen CO2 frei. | |
| Zum Vergleich: Im benachbarten Lettland waren es 3,38 Tonnen, in | |
| Deutschland 8,93 Tonnen. Estland müsse sich „ehrgeizigere Ziele“ setzen, | |
| mahnt die OECD. Aber in Tallinn denkt man an keinen baldigen Ausstieg – es | |
| sollen sogar neue Fundstellen erschlossen werden. | |
| 30 Aug 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://germanwatch.org/de/download/16942.pdf | |
| [2] http://www.oecd.org/environment/country-reviews/OECD_EPR_Estonia_Highlights… | |
| [3] https://www.iea.org/publications/freepublications/publication/KeyWorld2016.… | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Wolff | |
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