# taz.de -- Social-Media-Hype: Best day ever?! | |
> Unsere Autorin konnte schon als Kind nichts mit Übertreibungen anfangen. | |
> Sie plädiert für mehr Normalität – auch bei Instagram. | |
Bild: Berlin ist sowieso am geilsten | |
Wenn ich einfach nur ein bisschen vor mich [1][hin scrollen] will, fliegt | |
ein Leinenbettlaken über meinen Handyscreen. Darauf ist gewollt ungewollt | |
ein Roman drapiert, die Bildunterschrift: „Best day ever!“ | |
Glitzerherzemoji. | |
Zwei Bildschirmlängen später ein Sonnenuntergang: „Best weekend ever“ ste… | |
darunter. Ich bin genervt. Nicht schon wieder. Wie viele beste Tage eures | |
Lebens wollt ihr noch haben? Wie viele beste Orte, beste Abende, beste | |
Trips wollt ihr noch posten? Im Bett lesen, ja, das ist gemütlich, aber das | |
ist doch kein best day ever. [2][Wem macht ihr was vor?] | |
## Schon wieder? Kann nicht sein. | |
Dass wir zu oft übertreiben, bemerkte ich schon mit fünf, als ich mit | |
dauerblauen Lippen versuchte, das Seepferdchen-Abzeichen zu bekommen. Mein | |
Schwimmlehrer setzte mich nach jeder Stunde auf den Beckenrand und sagte: | |
„Das war deine beste Schwimmstunde!“ Schon wieder? Kann doch gar nicht | |
sein, dachte ich. | |
Ich war wirklich nicht gut im Schwimmen. Im kalten Wasser machte ich zu | |
kleine Bewegungen, den roten Ring am Beckenboden ertauchte ich, wenn | |
überhaupt, erst nach fünf Anläufen. Doch egal, ob ich es schaffte oder | |
nicht, es war immer meine „beste Stunde“. Der Mann wollte mich damit | |
vermutlich motivieren, aber ich fühlte mich verarscht. | |
In der Schule ging es dann so weiter. Wenn der Klassenlehrer sich nach drei | |
Jahren verabschiedete, waren wir seine „allertollste Klasse“. In der Uni | |
haben wir so großartig diskutiert wie sonst noch nie eine Seminargruppe, | |
„wirklich“. Dabei waren die Kameras der meisten während des Onlinekurses | |
aus. Nebenbei wurde die Wäsche aufgehängt und Candy Crush gezockt, aber mit | |
Sicherheit nicht leidenschaftlich argumentiert. | |
## Hochgejubelte, mittelmäßige Tage | |
Wir werfen mit Superlativen um uns, als gäbe es etwas zu gewinnen. Dabei | |
sind viele hochgejubelte Tage doch nur Mittelmaß, gestehen wir uns das doch | |
ein: Es gab irgendwas auf die Hand zum Mittagessen, danach wurde sich | |
unmotiviert zum Sport geschleppt. Die Tage sind gefüllt mit verpassten | |
Bussen, verpassten Anrufen, verpassten Paketboten. | |
Und das ist voll okay. Aber lieblose Schüsselgerichte und ungemachte Betten | |
begegnen mir auf Instagram trotzdem nicht. Oder ein überquellender Biomüll? | |
Der kann auch nach Kunst aussehen. Einsame Socken zu einem Raster gelegt | |
wie Memoryspielkarten, sodass man auf dem Foto nach Paaren suchen kann. | |
Vielleicht sollten wir davon mehr teilen, damit wir weniger das Gefühl | |
haben, dass nur wir selbst jeden dritten Tag in einer nackenfeindlichen | |
Pose vor dem Fernseher einschlafen, während andere angeblich die beste Zeit | |
der Welt erleben. | |
Das kann auch deshalb nicht stimmen, weil das Jahr eigentlich wie ein | |
Cornetto-Eis aufgebaut ist. Es gibt fruchtige [3][Eiscremetage], eine | |
Freundin kommt zu Besuch, das Projekt ist endlich abgeschlossen, man kann | |
zum ersten Mal wieder offene Schuhe tragen, gute Tage eben. Dann gibt es | |
Waffeltage, sie sind trocken, es knirscht und bröselt – alles scheiße. | |
## Das Cornetto-Verhältnis | |
Und dann gibt es Schokospitzentage. Halbgefroren knackt der köstliche Rest | |
der Eiswaffel zwischen den Zähnen, der trockene Keksteig ist vergessen. Die | |
Schokospitzentage radieren die Waffeltage aus unserem Gedächtnis. Aber sie | |
kommen eigentlich nur im Cornetto-Verhältnis vor und nicht wie best days | |
ever in meinem Feed. | |
Und das sollte so auch gezeigt werden. Denn wenn alles immer vom | |
Allerfeinstentollstenbesten ist, wie geht man dann mit einem | |
Schokospitzentag um? Er sticht nicht mehr heraus aus dem Alltäglichen. Er | |
steht nicht mehr für dieses Endorphinhoch, wie ein langer Lauf, sondern er | |
versandet zwischen allerbesten Tagen, die eigentlich nur Durchschnitt sind. | |
Als Berlinerin bleibe ich da lieber beim größten Lob, das die Hauptstadt zu | |
bieten hat: Da kann man nicht meckern. Und das reicht an den meisten | |
Tagen. | |
1 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Fichtner | |
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