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# taz.de -- Studie zum künftigen Küstenschutz: Flächen statt Deiche
> Für Küstenschutz in Zeiten des Klimawandels werden Flächen benötigt –
> Watt, Marsch, Salzwiesen. Mauern reichen einer Geesthachter Studie
> zufolge nicht.
Bild: Wenn dem Deich das Wasser bis zum Hals steht: Ein Wohnhaus auf der Weseri…
Osnabrück taz | Wer bei den Unwetterwarnungen nicht abschaltet, hört ein
Wort immer öfter: „Sturmflut“. Von Pegelhöchstständen ist dann die Rede,
orkanartigen Böen, Dünenabbrüchen, gefährdeten Deichen. Und dann kommen die
Zahlen: Soundsoviele Meter über dem Mittleren Hochwasser oder
Normalhöhennull.
Sturmfluten hat es [1][schon immer gegeben]. Zehn Meter hohe Wellen am
Borkum Riff, wie im Januar 1994, oder über 190 Stundenkilometer
Windgeschwindigkeit auf Helgoland, wie im Oktober 2013, sind Realität. Aber
durch die Klimakrise steigt der Meeresspiegel, und dadurch nehmen die
Nordseesturmfluten an Häufigkeit und Höhe zu.
Die [2][jüngsten Sturmfluten] hätten gezeigt, „wie sehr sich die
Hochwassersituation in ganz Norddeutschland zuspitzen kann, besonders, wenn
viel Niederschlag auf eine aktive Sturmflutsaison trifft“, sagt Insa
Meinke, Leiterin des Norddeutschen Küsten- und Klimabüros, Institut für
Küstensysteme – Analyse und Modellierung, Helmholtz-Zentrum Hereon,
Geesthacht. Ihre Prognose: „Solche ungünstigen Konstellationen können sich
in Zukunft durch den Klimawandel häufen.“
Seit rund 15 Jahren befasst sich das Institut mit diesem Thema. In seiner
jüngst erschienenen Broschüre „Nordseesturmfluten im Klimawandel –
Perspektiven der Küstenentwicklung“, deren Co-Autorin Meinke ist, fasst es
den neuesten Forschungsstand zusammen. Er liest sich alarmierend. „Bei
anhaltend starkem Treibhausgasausstoß“, lernen wir, „könnten schwere
Nordseesturmfluten bis 2100 etwa bis 1,50 Meter höher auflaufen als heute.“
„Wir arbeiten unausgesetzt an diesem Thema“, sagt Ralf Weisse, Leiter der
Abteilung Küstenklima in Geesthacht, auch er Co-Autor der Broschüre. Und
dann betont er, dass es, trotz allem, auch [3][Positives] gebe. „Nehmen wir
die schwere Sturmflut von 1962, die so viele Opfer gefordert hat. Obwohl es
danach vergleichbare Sturmfluten gab, schwerere sogar, extremere, hat es
Auswirkungen wie damals nicht wieder gegeben. Das zeigt, dass wir richtige
Lehren gezogen haben.“ Und das setze sich fort: „Es wird viel wahrgenommen,
viel nachgedacht, viel getan.“
Auch der Küstenschutz muss langfristig neu gedacht werden. Bauliche und
technische Optimierungen, an den Deichen etwa, erreichen irgendwann ihre
Machbarkeitsgrenzen. Meinke und Weisse betonen in ihrer Analyse daher die
Bedeutung ökologischer Nachhaltigkeit. Hier gebe es Defizite: „Ihre
Vernachlässigung führt dazu, dass bestimmte Ressourcen und wichtige
Ökosystemleistungen unwiderruflich zerstört oder unbrauchbar gemacht
werden, was die Chance für wünschenswerte Entwicklungen stark mindert.“
Zukunftsgewandter Küstenschutz tut also gut daran, verstärkt auf die
Effekte von Wattflächen, Marschland und [4][Salzwiesen] zu setzen, nicht
primär auf die von Palisaden, Buhnen, Pflastergürteln und Mauern. „Wir
müssen lernen“, heißt es in der Hereon-Broschüre, „natürliche Prozesse …
nutzen, um die Küstenregion langfristig als Siedlungs-, Wirtschafts- und
Erholungsraum zu erhalten.“
Für die nähere Zukunft sei man „gut aufgestellt“, beruhigt Weisse. Was
danach komme, sei jedoch offen. Mut zu Entschlüssen großer Tragweite sei
gefragt, Pioniergeist statt der illusionären Hoffnung, alles komme schon
nicht so schlimm.
Zur Zeit der Jäger und Sammler war das kein Problem: Wurde die Umgebung
unbewohnbar, zog man fort. Die Welt war weit und leer und voller
Möglichkeiten. Heute ist das anders. Städte lassen sich nicht verlagern.
Wir sind Opfer unserer eigenen Unflexibilität geworden, unserer Sucht, uns
ein Stück Erde als Besitztum zu sichern.
Weisse sieht sich als Pragmatiker: „Ich will verstehen, was da draußen
abgeht.“ Und er versteht sich als Kommunikator. Aber jedes Missionieren
liegt ihm fern. „Ich bin kein Anhänger von Science speeks to Power“, sagt
er. „Wir legen unsere Ergebnisse vor. Aber unsere Sichtweise muss nicht
gewinnen, andere Akteure haben vielleicht eine andere Wahrnehmung. Am Ende
ist das immer eine gesellschaftliche Abwägung.“
## Gefahr für die See
Das reicht vom Deich- bis zum Entwässerungsverband, von der Politik bis zur
Behörde, vom Naturschutz bis zur Wirtschaft, vom Touristen bis zum
Anwohner, der sein Land nicht verlieren will. Schwer, da gemeinsame Nenner
mit Weitblick zu finden.
Eins ist allerdings klar: Dem Meer das Land einfach zu überlassen, ist
keine gute Option. Nicht nur, weil der Mensch dann nicht wüsste, wohin. Der
Mensch wäre durch seine Hinterlassenschaften, die vom Industrierückstand
bis zur Mülldeponie reichen, auch eine Gefahr für die See.
Weisse ist „total gerne am Meer“, ist fasziniert davon, „am Strand zu
stehen, den Wellen zuzusehen“ und sich erklären zu können, wie das alles
zusammenwirkt: „Das ist Teil meiner Motivation, hier zu arbeiten.“ Aber
selbst, wenn sein Büro nicht in Geesthacht stünde, tief im Binnenland,
hätte er meist nur digital mit dem Meer zu tun: Weisses Arbeit findet vor
dem Rechner statt, lässt Modelle entstehen. Aber diese Modelle zeigen
Wirkung. Dort, wo die See zeigt, welche Macht sie hat.
18 Mar 2024
## LINKS
[1] /Ausstellung-Die-Sturmflut/!5869462
[2] /Jahrhundert-Hochwasser-an-der-Ostsee/!5967816
[3] /Kuestenschuetzerin-ueber-Sturmflut/!5830274
[4] /Kuestenschutz-mit-Salzwiesen/!5911733
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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