| # taz.de -- Die Wahrheit: Lustig tirilierende Zwangsarbeiter | |
| > Die Generation Z besteht aus verweichlichten, selbstsüchtigen und | |
| > anmaßenden Drückebergern – wissen deutsche Personalchefs nur zu gut. | |
| Bild: Selbstlos wie das Sterntalermädchen, das seine Taler in den Hochofen wir… | |
| „Schreien Sie mich nicht an, sonst bin ich auf der Stelle bei der | |
| Konkurrenz“, äfft Jens Buhlmann mit piepsiger Doofstimme eine fiktive | |
| Bewerberin nach, gefolgt von schallendem Gelächter in wohltönendem Bariton. | |
| Der 62-Jährige ist als Chief Executive Personnel Manager Director (CEPMD) | |
| der oberste Oberpersonalchef der Firma Bunny Kill. Das hochspezialisierte | |
| Großunternehmen aus dem schwäbischen Breilingen an der Schwätze stellt | |
| hauptsächlich „Nanovollmantelplastoren“ her, kleinste Bauteile, die von | |
| Gamern für virtuelle Waffen in der virtuellen Hasenjagd verwendet werden. | |
| Es ist eine lukrative Boombranche, doch die Konkurrenz nimmt zu. | |
| „Der Chinese schläft nicht“, betont der alerte Entscheidungsträger und | |
| bemüht ein schiefes Bild: „Im Gegenteil wacht er mit Siebenmeilenstiefeln | |
| auf, um uns die Butter vom Brot zu nehmen. Da heißt es auch für uns: | |
| hellwach sein!“ | |
| Buhlmann schwärmt von alten Zeiten, in denen „Generation Z“ noch für | |
| Generation Zwangsarbeit stand: von fleißigen und innovativen | |
| Höhlenmenschen, von der professionellen Moral in Stalingrad, dem | |
| Wirtschaftswunder und vor allem von einer Unternehmenskultur ohne | |
| Störenfriede, Streithansel, Arbeitsrechtler, Personalräte, Drückeberger, | |
| untermalt noch vom tinnitusartigen Soundtrack weibischen MeToo-Gequakes. | |
| Arbeitsbeginn war für die Frühschicht um drei Uhr morgens und für die | |
| Spätschicht ebenfalls. Und alle arbeiteten ständig im Vielschichtensystem, | |
| von Doppel- und Triple- bis hin zu Hepta- und Oktoschicht. Allein die | |
| klassische Doppelschicht bedeutete 48 Stunden – und zwar an einem Tag. Das | |
| ging natürlich nur, wenn man doppelt so schnell arbeitete, doch „anders | |
| hätten wir das Wirtschaftswunder gar nicht gewuppt“. | |
| Die Augen des Personalchefs leuchten: „Der Betrieb stand immer an erster | |
| Stelle. Wenn in der Nachkriegszeit das Brennmaterial knapp zu werden | |
| drohte, gab es Mitarbeiter, die selbstlos wie das Sterntalermädchen all | |
| ihre Habe in den Hochofen warfen, damit die Produktion nicht zum Erliegen | |
| kam. Doch heute …“ | |
| ## Gemarterte Seele | |
| Dramatisch bricht er den Satz ab und stößt einen Seufzer aus, wie er nur | |
| aus der tiefsten Hölle einer gemarterten Seele stammen kann. Auf einmal | |
| wirkt er wie ein geprügelter Hund in einem Hunderudel, dessen Alphatier er | |
| ist, das immer als Erstes und am meisten fressen darf. | |
| Naturgemäß sei die deutsche Wirtschaft für eine führende Rolle in der Welt | |
| geradezu prädestiniert. Doch leider gingen nun ausgerechnet die loyalen, | |
| zuverlässigen und stressresistenten Mitarbeiter aus den geburtenstarken | |
| Jahrgängen in Rente. So sei man mehr und mehr angewiesen auf „Nachwuchs“ �… | |
| er spuckt das Wort aus, als hätte er einen vergammelten Shrimp im Mund. Bei | |
| den „Neuen“ seien die Ansprüche ins Unermessliche gestiegen. Es sei | |
| unglaublich schwer geworden, „unter diesen jungen Schnöseln“ | |
| leistungsbereites und aufopferungswilliges Personal zu finden. | |
| Er zählt die Forderungen bei den Einstellungsgesprächen auf: Alle zwei | |
| Stunden eine frische Obstschale; Firmen-Jacuzzi und Firmen-Skatepark. Laut | |
| einem Krankenhauskollegen sollen junge Ärzte jetzt einen Kicker neben dem | |
| OP-Tisch haben. Dazu immer kürzere Arbeitszeiten. Wochenend-, Nacht- und | |
| Schichtdienste könne man gleich ganz knicken, „die wollen im Grunde | |
| überhaupt nicht mehr arbeiten“. Die jüngsten Mitarbeiter möchten von den | |
| Vorgesetzten sogar gewindelt werden. | |
| Die hinter all diesen Erwartungen stehende sogenannte Work-Life-Balance sei | |
| ein verkürzter Euphemismus für den deutlich längeren Satz: „Wir sind faule, | |
| selbstsüchtige Taugenichtse, die das demografische Fiasko mit geschickter | |
| Tücke, die die Grenze zum kriminellen Akt bereits hinlänglich streift, | |
| ausnutzen, um die Arbeitgeber zu erpressen, die Betriebsabläufe zu | |
| sabotieren und letztlich die deutsche Wirtschaft von Grund auf zu | |
| zerstören.“ | |
| Gegen Ende seiner Ausführung wird Jens Buhlmann immer lauter. Die letzten | |
| Worte schreit er bloß noch unkontrolliert, ehe er in haltloses Schluchzen | |
| ausbricht. Schaumiger Schnodder aus Blut, Kokain und Bitcoin-Bröseln rinnt | |
| dem bedauernswerten Spitzenmanager mit zwei Milliarden Euro Jahresgehalt | |
| aus der Nase – es ist ein erbarmungswürdiger Anblick. | |
| ## Tief Getroffener | |
| Als er wieder sprechen kann, führt der auch persönlich spürbar tief | |
| Getroffene schlüssig aus: „Einfache Angestellte leben doch ohnehin ein | |
| königliches Leben. Während wir Führungskräfte 24/7 mit der existenziellen | |
| Sorge beschäftigt sind, wie wir weitere Personalkosten einsparen und unsere | |
| Boni erhöhen können, lassen die Mitarbeiter nach nur wenigen Überstunden | |
| einfach den Löffel fallen und gehen absolut unbelastet in ihre Freizeit. Ob | |
| sie die verbliebenen fünf oder sechs Stunden für Hobbys, Kinder, | |
| Discounter-Fraß oder Schlaf aufwenden, bleibt völlig ihnen überlassen. Sie | |
| sind dann im Grunde die allerfreiesten Menschen überhaupt. Warum reicht | |
| ihnen nun auch das nicht mehr, was wollen sie denn noch: unser Leben? | |
| Wollen sie unser Blut aussaugen, bis auf den allerletzten Tropfen – ist es | |
| das?“ | |
| Sein Mood kippt erneut stark ins Weinerliche. „Wir geben ihnen doch Arbeit; | |
| ohne uns würden sie verhungern. Wie sorgende Mütter nehmen wir sie bei der | |
| Hand, träufeln ihnen den Honig der Vollbeschäftigung in die darbenden | |
| Münder und geleiten sie sicher über die Straße der Orientierungslosigkeit | |
| hin zur Grundschule des Lebens.“ An diesem Mann ist ein Dichter verloren | |
| gegangen und nie wieder aufgetaucht. | |
| Aber hören wir doch mal, was die andere Seite dazu sagt, also im | |
| Managersprech die „Generation AI“, was nichts mit Artificial Intelligence | |
| zu tun hat, sondern Bezug auf das gleichnamige Dreifingerfaultier nimmt. | |
| Svenjo Al-Chakri (26), der bei Bunny Kill vierteltags als Software | |
| Developer chillt, schildert seine Sicht der Dinge: „Die paar Jahre, die wir | |
| hier noch rumveggen, bis die Welt akkurat wegen bodenlosen Lauchs wie | |
| diesem Buhlmann abkackt, müssen wir ja nicht auch noch komplett mit wackem | |
| Gehustle töten.“ | |
| Doch auch dieses Argument weiß Oberpersonalchef Buhlmann mit seiner ganzen | |
| Erfahrung von 35 Jahren Führungsposition im Wirtschaftsleben souverän zu | |
| entkräften: „Das ist doch alles völliger Quatsch.“ Spricht’s und bricht | |
| wieder in Tränen aus, mit denen wir ihn aber an dieser Stelle endgültig | |
| allein lassen wollen. Einsamkeit hat eine heilende Trösterin – es ist die | |
| Arbeit. | |
| 13 Mar 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
| ## TAGS | |
| Arbeit | |
| Jugend | |
| Personal | |
| Sozialverhalten | |
| Berufe | |
| Körper | |
| Kolumne Zukunft | |
| Die Wahrheit | |
| Demos | |
| Augenoperation | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Der jubelnde Heiland | |
| In der Stunde des Sieges: So sehen Körpersprache und Geisteshaltung der | |
| Fußballspieler nach dem Titelgewinn aus. | |
| Die Wahrheit: Straucheln vor dem Blutsee | |
| Hausmeister heute: therapiebedürftige Warmduscher, liebenswerte Mimosen. | |
| Ein aktueller Frontbericht aus Berlin-Neukölln. | |
| Die Wahrheit: Am Arsch, Aorta! | |
| Neuerdings werden sogar Organe bewertet und hochgejubelt. Ein tiefer Blick | |
| ins Innerste des Menschen, wo allerlei Merkwürdiges vor sich geht. | |
| Zeitung im Jahr 2057: Dreckschleuder in die Vergangenheit | |
| In ferner Zukunft ist unser Autor im sechzigsten Jahr freier Mitarbeiter | |
| der taz. Seine Themen: Aliens, Luxusraumschiffe, sächsische Separatisten. | |
| Die Wahrheit: Der Kaninchenbabyzerquetscher | |
| Schauspiel und Wirklichkeit nach der deutschen Auschwitz-Amnesie – | |
| aufgezeigt am Beispiel der Serie „Deutsches Haus“. | |
| Die Wahrheit: Gut absetzbarer Gratismut | |
| Wer an gefahrlosen Warmduscherdemos gegen Kaltwassernazis teilnimmt, sollte | |
| ab jetzt dringend einen fairen Ablass zahlen. | |
| Die Wahrheit: Das Geheimnis der Urinsekten | |
| Wenn die Lesefähigkeit beeinträchtigt ist und der notwendige Besuch beim | |
| Augenarzt nur Gutes vorsieht. Ein Ortstermin beim Ophthalmologen. |