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# taz.de -- Braindrain im Westjordanland: Jung, gebildet – und weg!
> Gut ausgebildete Palästinenser*innen aus dem Westjordanland zieht
> es häufig ins Ausland. Doch es gibt auch jene, die explizit bleiben
> wollen.
Bild: Leben mit 3G: Die wirtschaftliche Lage ist auch hier in Ramallah nicht to…
Ramallah taz | In Gedanken verloren sitzt Musa* vor seinem Laptop, an einem
Holztisch mitten im Café im Zentrum von Ramallah, eingehüllt in einen
dicken Schal, und starrt auf den Bildschirm. Darauf leuchtet ein Text in
englischer Sprache auf, dazu ein paar Diagramme. Neben ihm steht eine
nahezu leere Tasse. Ein Teebeutel liegt in der restlichen braunen
Flüssigkeit. Im Hintergrund laufen Pop-Hits aus dem vergangenen Jahrzehnt.
Es ist der erste Tag des neuen Jahres, und Musa hat keine Zeit. Er schließt
die Programme, klappt den Laptop zu, streift sich einen Mantel um,
verabschiedet sich von den Anwesenden. Morgen muss er fliegen, bald gibt’s
Prüfungen, Deadlines. Nicht hier, in Ramallah. Sondern in Warschau, Polen.
Ein anderes Land, ein anderer Kontinent. Ein anderes Leben.
Musa ist einer der etwa 7,3 Millionen Palästinenser*innen, die Ende 2023 im
Ausland lebten, und einer der tausenden jungen Erwachsenen, die in den
vergangenen Jahren emigriert sind. Fürs Studium, für den Job. Für ein
besseres oder einfach ein anderes Leben. Für eine begrenzte Zeit oder für
immer.
Wie viele es genau sind, darüber gibt es für das letzte Jahrzehnt keine
konkreten Zahlen. Doch wer sich mit Erwachsenen unter 40 Jahren unterhält,
trifft fast immer auf jemanden, der jemanden kennt, der ins Ausland
gegangen ist. Nicht nur in die arabischen Nachbarländer, sondern auch nach
Europa oder in die USA.
## Ein anderes Leben – in Polen
Die letzten genauen Zahlen über Ausgewanderte stammen aus dem [1][Zentralen
Palästinensischen Statistischen Büro (PCBS)] aus dem Jahr 2010. Damals
waren in den drei Jahren zuvor im Schnitt 7.300 Menschen pro Jahr
emigriert. Ein Drittel war zwischen 15 und 30 Jahren alt, mehr als ein
Drittel hatte einen höheren Abschluss als die Hochschulreife.
Damals hatte etwa über 11 Prozent der Bevölkerung eine solche
Qualifikation, die gut Qualifizierten waren also überrepräsentiert. Oft
wanderten sie in arabische Länder aus. Wer ging, wollte vor allem im
Ausland studieren, seine Lebensbedingungen verbessern oder Jobmöglichkeiten
finden. Wer blieb, tat dies vorwiegend weil er Palästina als Heiliges Land
ansah oder sich nur in seinem Land wohlfühlte.
Zehn Tage später ist Musa, der in Wahrheit anders heißt, in seiner Wohnung
in Warschau. Auch hier sitzt er jetzt vor seinem Laptop, eine weiße
Wollmütze über den schwarzen Locken, gepflegter Bart. Ikea-Möbel füllen den
Hintergrund. Diesmal will Musa jedoch im Videoanruf über seine Entscheidung
berichten. Seit vier Jahren lebt der junge Mann aus Ramallah in der
polnischen Hauptstadt.
Ramallah, das ist die inoffizielle Hauptstadt der Palästinensischen
Gebiete. 70.000 Einwohner*innen, muslimische Mehrheit, doch christliche
Tradition, Kleinstadt auf Hügeln, durchschnittlich 4 bis 11 Grad im Januar.
Warschau, die Hauptstadt Polens, hat knapp 1,8 Millionen Einwohner*innen.
Vorwiegend katholische Bevölkerung, Flussmetropole im Flachland, derzeit
minus 5 bis 1 Grad.
## Anders denken heißt hier anecken
Für Musa war die Entscheidung, ins Ausland zu gehen, keine besonders
schwierige und keine besonders hastige. „Ich brauchte dafür zwei Jahre,
weil ich mir nicht sicher war, in welcher Stadt ich meinen Master
absolvieren wollte“, sagt der 27-jährige Industrieingenieur. Doch ob er
geht, stand nicht zur Debatte. Neue Fertigkeiten zu lernen, die Welt zu
sehen, das war verlockend. Ein aufgeschlosseneres Umfeld. Für kulturelle
Veränderungen seien die Menschen in seiner Heimatstadt noch nicht bereit,
findet Musa. „Die Leute denken, dass etwas mit dir nicht stimmt, wenn du
out of the box denkst.“
Hinzu kam die wirtschaftliche Situation in Ramallah. Wäre er geblieben,
hätte es kaum Chancen gegeben, etwas Passendes für seine Qualifikationen zu
finden. Zwei Jahre lang habe er in Palästina nach seinem Bachelor
gearbeitet oder dies zumindest versucht. Denn laut Zahlen des PCBS waren
vor dem Krieg 30 Prozent der jungen Menschen unter 30 Jahren im
Westjordanland arbeitslos. Und 43 Prozent der jungen
Arbeitnehmer*innen in den palästinensischen Gebieten waren 2022 in der
Schattenwirtschaft beschäftigt.
Jetzt dürfte sich die Lage noch weiter verschlechtert haben. Etwa 150.000
Arbeiter*innen dürfen seit dem 7. Oktober nicht mehr in Israel
arbeiten. Laut Prognosen des PCBS könnten inzwischen 29 Prozent der
erwerbsfähigen Menschen im Westjordanland arbeitslos sein – eine Steigerung
um 16 Prozentpunkte. Wie viele von ihnen jung und gut ausgebildet sind, ist
unklar.
## Erzieherinnen haben es am schwersten
Die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Absolvent*innen im
Westjordanland hat mehrere Ursachen, sagt Rasha al-Shurafa von der
Internationale Arbeitsorganisation ILO. Und die gab es schon vor dem Krieg.
Zum einen liegt es an den Einschränkungen des hiesigen Arbeitsmarkts. „Es
gibt einfach nicht so viele Jobangebote. Das hat mit den wirtschaftlichen
Perspektiven zu tun, die momentan nicht großartig sind. Es werden nicht so
viele neue Jobs geschaffen.“
Und dann gebe es noch das Problem der Diskrepanz. Der Markt verlangt andere
Fähigkeiten, als die meisten Absolvent*innen haben. Viele
Kleinunternehmen suchten eher praktische als theoretische Kenntnisse.
Fachkräfte für die Baubranche oder die Landwirtschaft zum Beispiel eher als
Medienexpert*innen. Die Statistiken zeigen: Erzieher*innen, Sozial- und
Sprachwissenschaftler*innen haben es am schwersten.
Laut einer Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research
vom vergangenen Jahr möchten 22 Prozent der Menschen im Westjordanland
auswandern. Musa ist einer derjenigen, die davon träumten – und die es
tatsächlich geschafft haben. Doch bei allem Enthusiasmus, weggehen ist nie
ganz leicht.
Und zurückzukehren genauso wenig. „Alle vier, fünf Monate komme ich zurück,
aber es ist hart, sich wieder anzupassen“, sagt er. Wieder das Leben in der
Familie, im Chaos und Lärm, aber auch die Mentalität, die im Westjordanland
anders ist als in Polen. „Manchmal ist es schwierig, ich habe das Gefühl,
mein Kopf sei immer noch in Europa“, sagt er und lächelt, dann richtet er
sich die Wollmütze zurecht.
## Mit 28 noch an der Uni?
Gleichzeitig ist das Leben in einer Warschauer Einzelwohnung viel einsamer.
Daran muss man sich erst mal gewöhnen. Dabei bleibt jedoch mehr Zeit und
Ruhe, um an sich selbst, die eigene Zukunft, die eigenen Wünsche zu denken.
Musa sagt jedenfalls, er bereue seine Wahl nicht. Hier gebe es viel zu
entdecken, viele Möglichkeiten, viele Ideen. Neue Ideen. „Hier in Warschau
konnte ich herausfinden, was ich aus meiner Zukunft machen will.“
Er mag es, in den Straßen des Zentrums zu schlendern, zwischen den
gotischen Kirchen, den glänzenden Hochhäusern und den neoklassischen
Gebäuden. „Es ist eigentlich eine Metropolregion, hier gibt es viel zu
entdecken“, sagt er. Kultur, Kunst, Innovation.
Nach seinem Master will er sich ein Jahr Pause nehmen und sich dann um eine
Promotion bewerben. Nicht wegen des Geldes, sondern für die
Weiterentwicklung. Auch das verstünden manche seiner palästinensischen
Freunde nicht, dass man mit 28 Jahren noch an der Uni ist, statt mitten im
Beruf und bei der Familienplanung. Doch Musa will sich nicht beeinflussen
lassen. Die Promotion macht er dann vielleicht in Deutschland oder der
Schweiz. Jedenfalls im Ausland. Er sagt: „Hier sehe ich meine Zukunft.“
Es ist nicht leicht, in Palästina jung zu sein. Und wenn auch jung zu sein
heutzutage nirgendwo leicht ist, mit den Erwartungen, der Hektik, der
Inflation und dem Stress, dann ist es auch wahr, dass es im Westjordanland
und Gaza ein paar zusätzliche Schwierigkeiten gibt. Vor dem Krieg schon.
## Razzien, Krawalle, Gewalt
Und jetzt ist vieles noch komplizierter geworden. Immer wieder gab es in
den vergangenen Wochen Sit-ins von Student*innen, die für mehr finanzielle
Unterstützung protestieren. Und die länger gewordenen Kontrollen an den
Checkpoints und die Straßensperren erschweren den Weg zu Uni und Arbeit.
Dann ist auch noch die Gewalt da.
Etwa bei Razzien der israelischen Soldat*innen, die Terrorist*innen
suchen, dabei jedoch so aggressiv vorgehen, [2][manchmal gar brutal], dass
an manchen Orten auch friedliche Menschen in Angst leben. Vor den Razzien
selbst und vor den Krawallen, die dann oft ausbrechen.
Gewalt, die von Siedlern ausgeht, ist ebenfalls ein Problem. Einige
Bibliotheken schließen in Ramallah aus Sicherheitsgründen vor Einbruch der
Dunkelheit. Etwa 390 Palästinenser*innen sind laut dem [3][UN-Büro
OCHA] seit dem 7. Oktober im Westjordanland getötet worden, mehr als 4.500
wurden verletzt.
Drei Probleme seien die größten Herausforderungen für junge
palästinensische Erwachsene, sagt Ayman Yousef, Professor für
Konfliktlösung an der Arab-American University in Dschenin, der zur
palästinensischen Jugend geforscht hat. „Das erste ist die Besatzung“,
betont er im Videoanruf aus seinem Büro. Die Gewalt. Viele Gefangene und
Tote seien jung.
## Demographische Kriegsführung
Dann käme die hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter Absolvent*innen. An
dritter Stelle finde man die starke Polarisierung durch die Spaltung
zwischen Hamas und Fatah und den Mangel an Vertrauen in die
traditionellen Parteien. Gäbe es jetzt Wahlen, würden lediglich 11
Prozent der Menschen im Westjordanland die regierende Fatah-Partei wählen,
38 Prozent mieden den Gang zur Urne, so eine Umfrage des Palestinian Center
for Survey Research. Korruptionsvorwürfe, das Scheitern der Oslo-Abkommen
und der Umgang mit Israel tragen oft zum Misstrauen bei.
„Wieso denken junge Menschen darüber nach, ins Ausland zu gehen? Auch weil
sie kein Vertrauen in das politische System haben“, sagt Yousef. „Manche
sagen, es gebe hier keine Zukunft.“ Es fehlten jedoch die Zahlen, das gibt
er zu, um eine genaue Analyse durchzuführen.
Angst, dass Auswanderung die Gesellschaft hier beeinflussen könnte, hat der
Professor nicht. Es seien nicht so viele, die über eine Emigration
nachdenken. Ein Visum zu bekommen sei zudem nicht immer leicht. Und es gebe
kein Risiko eines Bevölkerungsschwunds. Schließlich sei der „Kampf mit
Israel“ auch ein demografischer.
Was er damit meint: Die Balance zwischen der Zahl der Araber*innen und
Jüd*innen in der Region war schon immer Teil des Konflikts. Denn beide
Seiten sehen hohe Bevölkerungszahlen als Garant für einen eigenen Staat,
für ein Weiterbestehen im Heiligen Land an.
## Es ist schwer, Kritik zu üben
Etwa 5,5 Millionen Palästinenser*innen leben laut dem PCBS im
Westjordanland und Gaza, 1,7 Millionen in Israel. Etwa 7,2 Millionen
jüdische Israelis wohnen in Israel und im Westjordanland. Palästinensische
Familien sind tendenziell kinderreich, israelische eher weniger. Viele
Menschen in Israel sehen eine demografische Übernahme der Araber*innen
als Bedrohung für dessen Existenz an.
Rechte Politiker*innen plädieren immer wieder für eine Umsiedlung der
Palästinenser*innen in Nachbarländer. Das wäre dann wiederum das Ende
eines künftigen, palästinensischen Staates. Dabei ist die sogenannte Nakba,
die erste große Flucht- und Vertreibungswelle nach der Gründung Israels und
dem Palästinakrieg 1948, für die Palästinenser*innen immer noch ein
kollektives Trauma. Sowie einer der Hauptgründe, weshalb so viele von ihnen
heute im Ausland leben.
Deswegen war Migration schon immer ein delikates Thema in Palästina, auch
wenn die Menschen heute so wie in anderen Ländern eher für Studium, Arbeit
oder bessere Chancen auswandern. Und auch deswegen bleibt Musa anonym. Um
sich in dem aktuellen polarisierten Kontext frei und auch mal kritisch
ausdrücken zu können. Doch nicht immer bleiben junge, top ausgebildete
Menschen, die fortgehen, im Ausland. Manche kommen eben zurück.
Nachdenklich schweift Nasser Dalloul mit dem Blick über das Tal, das sich
vor ihm erstreckt. Von dem Hügel in al-Tireh, am Rande von Ramallah, sieht
man die weißen Gebäude im Westen, die am Berghang hängen, die kargen Hügel,
mit Olivenbäumen übersät, auf denen die Bagger Erde für die Grundmauern
neuer Gebäude ausheben. Dumpfe Schläge hallen in der Luft. An mehreren
Orten ähneln Ramallah und seine Umgebung einer Baustelle, vieles ist im
Aufbau.
## Dalloul sieht Potential
Dalloul, 33 Jahre alt, schwarzer Bart und markante Augenbrauen hinter der
schlichten Brille, hat einen schnellen Schritt und ein freundliches
Lächeln. Er ist einer von denen, die sehr jung ins Ausland gegangen sind –
und doch zurückkehrten. Mit 18 nach Damaskus, dann Türkei, dann Jordanien,
dann Ägypten. Meistens fürs Studium. Ein Bachelor in Buchhaltung, dann noch
ein Master.
Als Migration will er es nicht bezeichnen. Immer wieder ging er, immer
wieder kam er zurück. Heute sagt er, er wusste es von Anfang an. „Die Idee,
im Ausland zu bleiben, kam mir mehrfach in den Sinn. Viele meiner Freunde
arbeiten im Ausland. Aber das war nicht das, was ich wollte.“
Eigentlich könnte Dalloul sehr leicht auswandern. Seine Frau ist Deutsche,
er selbst spricht etwas Deutsch, perfektes Englisch. Arabisch. Er ist gut
qualifiziert. Eine Stelle in Ägypten habe er bereits abgelehnt, in
Deutschland hätte er keine großen Schwierigkeiten mit dem Visum. Seine
Zukunft sieht er aber im Westjordanland. „Ich glaube, dass ich hier
Potenzial habe“, sagt er nachdenklich. „Es gibt hier viel zu tun. Neue
Technologien, neue Geschäfte. Es geht nicht nur ums Einkommen.“
Er sitzt jetzt vor einem Cappuccino neben der Bibliothek des Kulturzentrums
Al-Qattan. Zwischen ihren Bücherregalen hat er früher auch mal gelernt und
gearbeitet. Ein ruhiger Ort, um neue Ideen zu entwickeln. Ramallah, das
Westjordanland, brauche ein Upgrade, erläutert er. Neue IT-Technologien.
Neue Geschäftsmodelle. Fernarbeit, zum Beispiel. In Palästina zu sitzen und
eine Firma oder einen Kunden in den USA zu beraten. Er findet, man habe
hier die Menschen und Fähigkeiten dafür. Und dieses ungenutztes Potenzial
will er jetzt nutzen.
## Ein seltener Optimist
Die Luft ist kühl, ein frischer Wind weht. Dalloul zieht den
Reißverschluss seiner Sportjacke hoch. Die Herausforderungen im
Westjordanland – die Sicherheit, die Einschränkungen, er sagt, sie machten
ihm keine Angst. „Diese Sachen sollten einen nicht ausbremsen“, erklärt er
mit einem Lächeln. Buchhaltung, Geschäftsentwicklung, Beratung,
Kletterverein – die Liste seiner Tätigkeiten ist so lang wie die seiner
Ambitionen.
Darauf steht unter anderem ein Projekt, unterstützt von der deutschen
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Ein duales Studium an
der polytechnischen Universität in Hebron. Sein Ziel ist es, die
Arbeitslosigkeit unter jungen Akademiker*innen zu verringern.
Studierende der IT-, Ingenieur- und Betriebswissenschaften wechseln dabei
zwischen Theorie und Praxis in den Unternehmen ab, wie die GIZ auf
Nachfrage erläutert. Das soll ihre Chancen auf eine Beschäftigung nach dem
Abschluss steigern.
„Eine nette Idee “, findet Dalloul. „Das bringt uns zu dem, was ich eben
sagte: Es gibt hier viel zu tun“, sagt er und lächelt.
Gleichzeitig gibt es im Westjordanland für junge Arbeitnehmerinnen mit
neuen Ideen mehrere Hürden, die sich aus ihrer aktuellen rechtlichen und
geopolitischen Lage ergeben. Oder, wie es Carine Metz vom Democracy and
Workers Rights Center in Palestine (DWRC) ausdrückt, „weil wir unter
Besatzung leben“.
## Mit 3G ist Wettbewerb schwer möglich
Nach dem Sechstagekrieg 1967 hat Israel das Westjordanland und Gaza
zurückerobert, seitdem ist das Westjordanland nach internationaler
Rechtsauffassung besetzt. Israel kontrolliert die Außengrenzen sowie die
Einfuhr von bestimmten Waren. Dies bedeute, dass man in vielen Bereichen
lange auf Genehmigungen warten müsse. Die Bewegungseinschränkungen beträfen
nicht nur Menschen, sondern auch Güter. Kontrollen und Erlaubnisse könnten
lange Zeit in Anspruch nehmen.
Zwölf Jahre hat es gedauert, bis Israel dem Aufbau eines 3G-Netzwerkes
zustimmte. 2018 war es so weit. Gaza blieb weiterhin bei der langsameren
2G-Technologie. Israel ist bereits bei 5G angelangt. Ende 2023 sollte das
Westjordanland 4G bekommen, noch bieten die Kommunikationsgesellschaften
jedoch 3G an. Im wirtschaftlichen Wettbewerb, bei der Innovation, bleibt
sogar das Westjordanland abgehängt.
„Das Risiko eines Braindrain ist immer da. Manchmal bleiben jedoch
hochqualifizierte Menschen nur eine Zeit lang im Ausland und bringen dann
ihre Expertise zurück“, fasst es Metz zusammen. Doch auch für sie sei es
unter diesen Umständen schwierig, das Westjordanland davon profitieren zu
lassen.
## Manche dürfen gar nicht ausreisen
Manchmal treffen die Einschränkungen die Menschen im Westjordanland bei
ihrer Ausreise. Denn nicht jeder, der ins Ausland will, darf das auch. 2021
wurden etwa 10.500 Palästinenser*innen aus dem Westjordanland von
Israel an der Ausreise gehindert. Aus nicht näher definierten
Sicherheitsgründen. Die Betroffenen erfahren es oft erst, wenn sie an der
Grenze stehen. Sie können dagegen vorgehen, doch dies braucht Zeit.
Die [4][israelische NGO Hamoked] sagte, mehr als 1.000 Menschen hätten eine
Aufhebung des Ausreiseverbots 2022 beantragt. In einer Antwort auf die
Frage über die aktuelle Zahl und Gründe der Ausreiseverbote sagte die
israelische Behörde Cogat nur, es gebe derzeit nichts, was
Palästinenser*innen an der Ausreise aus dem Westjordanland hindere.
Das sehen mehrere NGOs skeptisch.
Wie die Zukunft junger, gut gebildeter Menschen im Westjordanland besser
werden könnte, darüber gehen die Meinungen der Expert*innen nicht so
sehr auseinander. Bessere wirtschaftliche Bedingungen. Bessere
Perspektiven. Dienstleistungen für Jugendliche. Berufsorientierung nach der
Schule, nach der Universität. Ausbildungen. Weniger Einschränkungen. Und
vor allem: Frieden.
*Name von der Redaktion geändert.
21 Feb 2024
## LINKS
[1] https://www.pcbs.gov.ps/site/lang__en/1/default.aspx
[2] https://www.theguardian.com/world/2024/jan/10/west-bank-videos-show-israeli…
[3] https://www.unocha.org/publications/report/occupied-palestinian-territory/h…
[4] https://hamoked.org/
## AUTOREN
Serena Bilanceri
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