| # taz.de -- Lage im Gazastreifen: In der Sackgasse des Krieges | |
| > In Rafah sind die Menschen eingekesselt zwischen Armee und Grenze. „Ich | |
| > möchte der Welt sagen: Schämt euch!“, sagt Omar Muslih, der dort | |
| > festsitzt. | |
| Bild: Wer Glück hat, hat ein Zelt über dem Kopf: Aufnahme aus Rafah am Montag | |
| Kairo taz | Man kann sie kaum als Zelte bezeichnen, es sind eher | |
| improvisierte Verschläge mit Plastikplanen, die die Menschen am Rande der | |
| Stadt Rafah, ganz im Süden des Gazastreifens, zu Hunderten aufgebaut haben | |
| – in dieser letzten Sackgasse des Krieges. Mehr Süden gibt es nicht, in den | |
| sie fliehen können. Auf der einen Seite operiert die israelische Armee in | |
| Chan Junis auf der Suche nach den Verstecken der Hamas, auf der anderen | |
| liegt [1][der ägyptische Grenzwall]. | |
| Geschätzte 1,4 Millionen Menschen warten hier auf die angekündigte | |
| israelische Bodenoffensive, so viele wie die Stadt München Einwohner hat. | |
| Sollte die Offensive beginnen, haben sie nur zwei Möglichkeiten: Entweder | |
| brechen sie in einem Massenexodus über die ägyptische Grenze aus. Damit, | |
| fürchten aber viele von ihnen, laufen sie Gefahr, für immer aus dem | |
| Gazastreifen vertrieben zu werden. Oder sie fliehen in Richtung Norden, in | |
| Richtung der israelischen Armee. Doch selbst wenn die Armee den Zivilisten | |
| einen Korridor zur Flucht offenlässt und sie unbeschadet aus Rafah | |
| herauskommen, stünden sie im Norden des Gazastreifens vor den Ruinen ihrer | |
| Häuser und ihres alten Lebens. | |
| „Wir bleiben hier, wohin sonst können wir fliehen“, sagt die 17-jährige | |
| Bissam Salem. „Sie müssen einfach eine Lösung für dieses Desaster finden, | |
| in dem wir leben. Seht ihr, wie die Menschen hier vor unseren Augen | |
| bombardiert werden? Niemand nimmt das zur Kenntnis“, fügt sie hinzu. | |
| Omar Muslih kommt aus Maghazi im Zentrum des Gazastreifens. Vor 25 Tagen | |
| ist der 50-Jährige vor der vorrückenden israelischen Armee nach Rafah | |
| geflohen. „Ich habe in diesem Krieg die sieben Plagen gesehen und jetzt | |
| sind wir hier, ohne Haus, ohne Kleidung zum Wechseln, mit kaum Essen. Wenn | |
| die Israelis kommen, werden wir versuchen, nach Ägypten zu fliehen oder | |
| wieder zurück in den Norden“, versucht er vorauszublicken. „Ich möchte der | |
| Welt sagen, schämt euch! Ihr schweigt, während diese Verbrechen begangen | |
| werden, nicht nur gegen uns als Palästinenser, sondern einfach gegen uns | |
| als Menschen“, erklärt er. | |
| Viele in Rafah haben in den letzten Monaten gleich zwei, drei oder mehr | |
| Fluchtstationen hinter sich, etwa die Ghamri-Familie. Ihre Matratzen haben | |
| sie auf dem Autodach festgezurrt, um jederzeit wieder flüchten zu können. | |
| Über ein Sonnenpanel, das neben ihrem Verschlag lehnt, haben sie genug | |
| Energie, um zumindest Licht zu haben und ihre Handys aufladen zu können. | |
| „Wenn bombardiert wird, schreien die Kinder“ | |
| Umm Nihad Abu al-Qombuz, Mutter von fünf Kindern, blickt auf die Odyssee | |
| zurück, die die Familie, die ursprünglich aus Gaza-Stadt im Norden stammt, | |
| hinter sich hat. „Wir sind immer geflohen, wenn die Israelis uns dazu | |
| aufgefordert haben.“ Zunächst seien sie über den sogenannten sicheren | |
| Korridor aus Gaza-Stadt in den mittleren Teil des Gazastreifens geflohen. | |
| „Dann zwangen sie uns noch weiter südlich nach Chan Junis zu flüchten. Und | |
| jetzt sind wir hier, an einem Ort, der auch nicht sicher ist“, sagt sie. | |
| „Die Worte der Israelis bedeuten nichts. Sie vertreiben uns von einem Platz | |
| zum anderen und überall sterben die Menschen.“ | |
| Ihr Mann Muhammad al-Ghamri erzählt von ihrer Ankunft in Rafah: „Am | |
| nächsten Tag starb mein Vater von der Kälte. Wir haben ihn hier begraben.“ | |
| Sie haben nichts mehr von ihrem altem Leben, zu dem sie zurückkehren | |
| können. „Selbst wenn wir irgendwann wieder nach Gaza-Stadt zurückkommen, | |
| unser fünfstöckiges Familienhaus dort ist dem Erdboden gleichgemacht. Dort | |
| gibt es nichts mehr für uns“, fasst er seine Lage verzweifelt zusammen. | |
| Dass die israelische Armee noch nicht gekommen ist, bedeutet nicht, dass | |
| die Menschen in Rafah sicher sind. Besonders nachts erfolgen die | |
| israelischen Luftangriffe überall in der Stadt, auch in der unmittelbaren | |
| Nähe der Verschläge. Erst am Sonntag kam eine sechsköpfige Familie ums | |
| Leben. „Sie bombardieren Häuser mit Menschen drinnen, unschuldigen | |
| Menschen. Was haben sie getan, womit haben sie das verdient?“, fragt Umm | |
| Nihad. „Immer wenn bombardiert wird, schreien die Kinder. Wir schmiegen uns | |
| dann alle aneinander. Wir alle wissen, diese Verschläge bieten uns keinen | |
| Schutz. Nur Gott kann uns schützen“, sagt sie. | |
| Als sie gefragt wird, wohin sie fliehen wird, wenn die israelische Armee | |
| kommt, hält sie inne, schluckt und zieht ihr Kopftuch zurecht, dann kommen | |
| ihr die Tränen und es verschlägt ihr die Stimme. Minuten später, als sie | |
| sich wieder beruhigt hat, fügt sie hinzu: „In diesem Krieg gibt es keine | |
| Gnade. Nur Angst und Herzen voller Traurigkeit und gebrochene Menschen.“ | |
| Dieser Text stützt sich auf Material eines lokalen Kameramannes in Rafah, | |
| der im Auftrag des Autors dort gefilmt und Interviews gemacht hat. | |
| 21 Feb 2024 | |
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| [1] /Die-Grenze-bei-Rafah/!5991577 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim El-Gawhary | |
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