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# taz.de -- Humanitäre Lage in Gaza: Erst der Hunger, dann die Infekte
> Hilfsorganisationen schlagen Alarm. In Teilen Gazas sei jedes sechste
> Kind unterernährt. Bei der Essensverteilung komme es zu chaotischen
> Szenen.
Bild: Schlange stehen in Dair al-Balah: Im Gazastreifen sind 100 Prozent der Zi…
Berlin taz | Die Warnungen lassen sich kaum noch steigern: Angesichts einer
Hungerkatastrophe im Gazastreifen schlagen Hilfsorganisationen weltweit
Alarm. Sogar von einer „Überholspur zur Hungersnot“ spricht Jeremy Konyndyk
von Refugees International. Während Hungerkrisen in vielen Teilen der Welt
herrschen, kommt es äußerst selten zur Hungersnot. Auch in Gaza ist es noch
nicht so weit, doch seien 100 Prozent der Zivilbevölkerung von
Ernährungsunsicherheit betroffen, „ein Zustand, den es noch nirgends sonst
auf der Welt gab“, [1][warnen acht Hilfsorganisationen, darunter Care und
Oxfam].
In einer gemeinsamen Erklärung fordern sie Deutschland auf, sich für einen
„sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand einsetzen“, um ungehinderten
Zugang für Hilfsorganisationen zu ermöglichen. Von der Hamas fordern sie
die Freilassung aller Geiseln.
Besonders besorgniserregend ist die Lage in Nordgaza, wie eine am Montag
veröffentliche [2][Studie des Global Nutrition Cluster] zeigt, einem
Zusammenschluss von mehr als dreißig Hilfsorganisationen, darunter Unicef
und das UN-Welternährungsprogramm (WFP). Dort sei eines von sechs Kindern
unter zwei Jahren akut unterernährt. Geschätzt drei Prozent hätten so stark
an Gewicht verloren, dass sie sofort behandelt werden müssten.
Ein Problem, das sich Hilfsteams in Gaza stellt: Je schlimmer die Lage,
desto schwieriger wird es, Güter zu verteilen. Von „Crowd-Dynamiken“
spricht Sebastian Jünemann von der Berliner Organisation Cadus, der selbst
bis Freitag in Gaza war. „Wenn es Lebensmittel gibt, versuchen die Leute
sofort, gewaltsam an die Lieferungen zu kommen.“ Dann komme es zu einer
Eskalationsspirale: „Alle versuchen, die Ersten zu sein, und weil sie
wissen, dass die Lkw wieder abfahren, wenn die Situation zu krass wird,
versuchen sie erst recht, die Ersten zu sein.“
## Lieferungen für Nordgaza eingestellt
Wegen solcher Zustände hat das Welternährungsprogramm seine Hilfe für
Nordgaza vorerst komplett eingestellt. „Als sich das WFP am Sonntag auf den
Weg nach Gaza-Stadt machte, wurde der Konvoi von einer Menge hungriger
Menschen umringt“, [3][hieß es] am Dienstag. „Zunächst mussten wir mehrere
Versuche von Menschen abwehren, die versuchten, auf unsere Lkw zu klettern,
dann wurden wir mit Schüssen konfrontiert. Unser Team konnte einige wenige
Lebensmittel auf dem Weg verteilen.“ Am nächsten Tag sei es erneut zu
„völligem Chaos“ gekommen: „Mehrere Lkw wurden geplündert, ein Fahrer w…
verprügelt. Das verbliebene Mehl wurde in Gaza-Stadt unter hoher Anspannung
spontan von den Lkw herab verteilt.“
Zuvor hatte Israel der UNO vorgeworfen, für die ausbleibende oder
schleppende Hilfe verantwortlich zu sein. Eine Behörde, die dem
Verteidigungsministerium untersteht, [4][veröffentlichte ein Bild], das den
Angaben nach Hilfsgüter an der Grenze zum Gazastreifen zeigte. „Dies ist
der Inhalt von 500 Lkw mit Hilfsgütern nach der israelischen Inspektion,
die darauf warten, abgeholt und von UN-Organisationen verteilt zu werden“,
hieß es. „Es ist der dritte Tag infolge, dass Hunderte Lastwagen nicht
abgeholt werden.“
Mit der Hungerkrise in Gaza kommen die Krankheiten. „Die Leute sind
schlecht ernährt, das Immunsystem ist angegriffen, und weil sie so eng
zusammengedrängt sind, verbreiten sich Atemwegserkrankungen“, erklärt
Jünemann, der in Rafah ganz im Süden im Einsatz war. In der Studie des
Global Nutrition Cluster heißt es: „Mindestens 90 Prozent der Kinder unter
fünf Jahren sind von einer oder mehreren Infektionskrankheiten betroffen
und 70 Prozent hatten in den letzten zwei Wochen Durchfall“ – solche
Zahlen, sagt Konyndyk von Refugees International, habe er noch nie gesehen.
Besonders in Rafah, wo mehr als eine Million Menschen zusammengedrängt sein
sollen, sei die Dichte enorm, sagt Jünemann. „Ganz Rafah ist eine
Geflüchtetenunterkunft. Teilweise leben 17, 18 Leute in einem Zelt.“ Eine
Evakuierung und Unterbringung der Menschen in hygienischer Umgebung
zeichnet sich nicht ab, auch wenn [5][Israel einem Bericht zufolge Ägypten
vorgeschlagen hat, 15 Zeltstädte rund um Rafah zu errichten]. Die USA
forderten ein Schutzkonzept für die Zivilist*innen. Konyndyk warnt jedoch,
dass diese Diskussion nichts als „Fantasie“ sei. „Ein sicherer
Evakuierungsplan ist unmöglich.“ Den Vorschlag, Zeltstädte zu errichten,
einen Plan zu nennen, sei schlicht lächerlich.
In Zusammenhang mit ihrem Appell für einen Waffenstillstand fordern Care,
Oxfam und andere Organisationen auch, [6][das in die Kritik geratene
UN-Hilfswerk UNRWA] weiter zu finanzieren. „Mit der Aussetzung eines
Großteils der Finanzierung droht eine Lebensader für die Bevölkerung
wegzubrechen. Keine andere Hilfsorganisation kann die Rolle von UNRWA in
der humanitären Hilfe und Sicherung der Grundversorgung ersetzen.“
Kritik übten Hilfsorganisationen am Mittwoch auch an den USA, die ein Veto
im UN-Sicherheitsrat einlegten gegen eine Resolution, die eine sofortige
Waffenruhe forderte. In dem Text wurde verlangt, dass alle Parteien die
Zivilbevölkerung schützen, Geiseln freigelassen werden und Hilfe geliefert
wird. Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober wurde nicht verurteilt. Nun wird
über einen US-Entwurf verhandelt, der eine vorübergehende Feuerpause „so
bald wie möglich“ verlangt.
21 Feb 2024
## LINKS
[1] https://www.rescue.org/de/pressemitteilung/gaza-hilfsorganisationen-fordern…
[2] https://www.nutritioncluster.net/sites/nutritioncluster.com/files/2024-02/G…
[3] https://www.wfp.org/news/un-food-agency-pauses-deliveries-north-gaza
[4] https://twitter.com/cogatonline/status/1758187447681155365/photo/1
[5] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!5991668
[6] /UN-Hilfswerk-in-Gaza/!5990407
## AUTOREN
Jannis Hagmann
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