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# taz.de -- China, der Westen und die Gefahr: Fakes mit Drachen
> Selbst in der chinesischen Mystik gilt das Fabelwesen nicht als
> friedlich. Doch das stört Propagandisten nicht.
Bild: Selfies im Jahr des Drachen in Peking im Februar
Was haben Mystik und Fake News gemeinsam? Eine ganze Menge. Beide basieren
nicht oder nur in Teilen auf Tatsachen. Beide lassen sich rational nicht
erklären. Beide bedienen sich der menschlichen Psyche, auch um harmlos zu
erscheinen. „Der Fantasie sind nun mal keine Grenzen gesetzt“, mag man zur
Verteidigung der Phänomene sagen. Last but not least: Beide lassen sich
unendlich weiterstricken, bis in die Groteske oder bis in die
Verschwörungserzählung.
Zunächst gilt: [1][Der Drache ist ein Fabeltier – in China] genauso wie im
Westen. Er existiert allein in der menschlichen Fantasie und ist von dort
in Kunst und Kitsch eingefallen. In der chinesischen Mystik hatte es ihn
bereits gegeben, nicht aber in den Horoskopen. Diese kamen überhaupt erst
mit dem Buddhismus von Indien nach China, wo sie dann um die Figur des
Drachen ergänzt wurden.
2024 ist das Jahr des Drachen. Darüber hinaus ist jedes Jahr einem der fünf
Elemente – Erde, Metall, Wasser, Feuer und Holz – zugeordnet. Und die
Mystik besagt: In einem Feuerjahr ist der Drache gefährlich, in einem
Holzjahr (wie dem aktuellen) deutlich weniger. Ob man das glauben mag oder
nicht, sei jedem und jeder selbst überlassen. Ist auch egal, was soll’s!
Weit weniger harmlos ist, wenn sich Mystik ihren Weg in die [2][Politik]
bahnt, besonders in populistische. Zu Beginn des Jahres produzierte und
präsentierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua auf ihrer Homepage
einen Zeichentrickfilm mit dem Titel „Dialog der Drachen“. Darin belehrte
ein chinesischer Drache – natürlich ein „Guter“ – einen westlichen –
natürlich ein „Böser“. Der chinesische wird darin dargestellt als Symbol
des Glücks, Selbstvertrauens und Friedens. Derweil verbreitete das
westliche Monster bloß Unfrieden, Zerstörung und Tod.
## Guter Drache, böser Drache
„Du kannst aber auch so werden wie ich“, nickt die niedliche Cartoon-Figur
am Ende ihrem westlichen Kumpel ermutigend zu: „Wenn du nur aufhörst, Feuer
zu speien und alle in Angst und Schrecken zu versetzen.“ Der Lehrsatz von
politischen Fabeln wie dieser lautet: „China als politische Macht ist gut,
der Westen ist böse.“ Doch diese Fabel arbeitet mit Fake News: Denn in der
chinesischen Mystik gilt der Drache gar nicht als friedliebend. Auch er
speit oft Feuer, löst Hochwasser aus und frisst vor Tollwut Menschen auf.
Zahlreiche Geschichten wurden in der fantastischen Literatur erfunden, in
denen es darum geht, ihn zu zähmen. Die bekannteste kennen wir aus dem
Roman „Die Pilgerfahrt nach Westen“ von Wu Cheng En. Darin hält ein
Affenkönig mit Hilfe buddhistischer Übermacht einen dämonischen Drachen
davon ab, gutherzige Pilger in Stücke zu reißen. Am Ende wird der gezähmte
Drache in ein kräftiges Pferd verwandelt. Das trägt den Pilger ins Ziel,
allen Strapazen trotzend.
Was ein chinesischer Drache, wenn er einmal wütend wird, tun kann, hat zu
Beginn des Jahres auch ein Blogartikel belegt, der genau derselben Logik
folgt: Nach einem Börsencrash, der nicht nur in China Anleger beunruhigte,
sondern Anleger aus aller Welt zur Kapitalflucht aus China trieb,
beschönigte ein mutmaßlich vom Regime beauftragter Blogger die Katastrophe
sinngemäß so: Dieser Börsencrash tut uns zwar weh, aber er ruiniert auch
den amerikanischen Imperialismus, weil so viele von diesen Gierigen bei uns
investiert haben. Wie heißt es so schön? In einer grausamen Schlacht scheut
ein tapferer Kämpfer nicht einmal davor zurück, sich selbst einen Arm
abzuhacken, wenn das den Sieg bringt.
Und siehe da, hier haben wir wieder beides: Mystik und Fake News. Zusammen
können sie Wunder bewirken.
20 Feb 2024
## LINKS
[1] /Eine-Kulturgeschichte-des-Drachens/!5988586
[2] /Lieferkettengesetz-und-VW-in-China/!5992425
## AUTOREN
Shi Ming
## TAGS
Kolumne Fernsicht
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