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# taz.de -- Eröffnungsfilm der Berlinale: Zu Hause ein Gespenst
> Die Eröffnung der Berlinale gerät ruhig. Zu ruhig? Im Eröffnungsfilm
> „Small Things Like These“ kommt Cillian Murphy in Konflikt mit der
> Kirche.
Bild: Und im Pub läuft Human League: Cillian Murphy in „Small Things Like Th…
Am Donnerstagabend ist es am Potsdamer Platz friedlich, wenn auch nicht
ruhig. Um den Roten Teppich kein lautstarker Protest, dafür ertönt mit fast
jedem neuen anrollenden Wagen Jubelgeschrei.
Als die Berlinale-Jurypräsidentin Lupita Nyong’o an der Reihe ist,
schwellen die Stimmen ringsum zu Kreischen an: „Lupita, Lupita!“ Ein
bisschen leiser bei Matt Damon, dem Produzenten des Eröffnungsfilms „Small
Things Like These“, dann wieder lauter bei Cillian Murphy, dessen
Hauptdarsteller.
Die Berlinale eröffnete im Verhältnis zur [1][Unruhe vorab um die Ein- und
Ausladung von AfD-Abgeordneten] recht routiniert.
Berlinale-Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek fasste das Thema in der
Formel „Hass steht nicht auf unserer Gästeliste“ zusammen. Auch sonst kaum
Aufregung. Was ebenfalls für den Eröffnungsfilm gilt.
Zwar macht Cillian Murphy allemal Eindruck. Schon sein Blick mit den
wässrig blauen Augen kann verunsichern, ob als wortkarger Gangster in der
[2][TV-Serie „Peaky Blinders“] oder als getriebener Atomforscher in
[3][Christopher Nolans Kassenerfolg „Oppenheimer“]. Auch in „Small Things
Like These“ von Tim Mielants macht er Eindruck, doch mit einer Figur, die
wenig gemein hat mit den Typen, für die Murphy berühmt ist.
Schon seine Frisur mag ein kleiner Schock sein, ausgewachsene Fransen
hängen ihm in die Stirn, Koteletten wuchern ihm um die Ohren.
Elegant-geschmeidig ist an diesem Bill nichts, als Kohlenhändler fährt er
in dickem Wollpullover und verschlissener Jacke seine Kunden ab.
Unterschwellige Aggression ist ihm fremd, Bill schweigt viel, weint
manchmal, schleicht zögerlich durch seinen Arbeitsalltag. Zu Hause bei der
Familie huscht er wie ein Gespenst zwischen der großen Tochterschar hin und
her.
## „Gefallene“ Mädchen im Kloster
Die Handlung spielt Mitte der Achtziger, im Pub läuft „Don’t You Want Me“
von der New-Wave-Band Human League, es ist Adventszeit. Gesegnet erscheint
jedoch nichts. Grau in Grau präsentiert sich die Stadt Wexford im Süden
Irlands. Im Kloster am Stadtrand, das Bill beliefert, landen „gefallene“
Mädchen, die unter Schreien im von außen fabrikartig anmutenden Gebäude
verschwinden.
Tim Mielants hält lange Zeit in der Schwebe, warum alles an Bill so gehemmt
erscheint, warum er Anteil nimmt an den Mädchen, die unfreiwillig Dienste
im Kloster verrichten müssen und deren Kinder nach der Entbindung in Heime
weggegeben werden. Man erfährt in Rückblenden, dass Bill in seiner Kindheit
einen Verlust erlitt, Mielants deutet an, dass dem Jungen ein ähnliches
Schicksal wie den Kindern dieser Mädchen drohte.
Die katholische Kirche in Gestalt von Schwester Mary erhält in der
Darstellung von Emily Watson ein furchteinflößendes Antlitz. Alles, was an
dieser Institution nicht stimmt, ballt der Film in ihrer Rolle, vielleicht
ein wenig zu offensichtlich: Watson gibt einen maliziös kontrollierten
Machtmenschen mit sadistischen Neigungen.
## Ein Eindruck von außen
Als Vorlage zum Film diente der gleichnamige Historienroman von Claire
Keegan über die Zustände in den als „Magdalenenheimen“ bekannten
Besserungsanstalten für Frauen. Dass der Film nicht die Innenansicht des
Klosters wählt, sondern mit Bill jemandem von außen flüchtig Eindruck
gewährt, ist im Prinzip eine plausible Entscheidung. So erfährt man vor
allem davon, wie sich das gesellschaftliche Umfeld des Klosters mehr oder
minder im Wissen um die Zustände dort dessen Einfluss beugt.
Cillian Murphys Bill bleibt allerdings eher ungreifbar und wird immer
weniger einnehmend, je deutlicher der Film die Hintergründe seiner
Geschichte macht. „Small Things Like These“ hat zwar einen massentauglichen
Star, dessen Part lässt aber zu wenig Charakter erkennen, um über die volle
Länge zu faszinieren. Selbst wenn er irgendwann eine mutige Entscheidung
trifft.
16 Feb 2024
## LINKS
[1] /Die-Berlinale-und-die-AfD/!5988645
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[3] /Christopher-Nolans-Film-Oppenheimer/!5945288
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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