# taz.de -- Politische Wende in Guatemala: Die Staatsanwältin soll weg | |
> Guatemalas neuer Präsident Arévalo will das Land verändern – dazu muss er | |
> das Justizsystem umbauen. An dessen Spitze steht eine Staatsanwältin. | |
Bild: Maria Consuelo Porras Argueta, Guatemalas Generalstaatsanwältin, bei ihr… | |
GUATEMALA-STADT taz | [1][Bernardo Arévalo], der neue Staatschef | |
Guatemalas, will keine Zeit verlieren, um zu initiieren wofür er gewählt | |
wurde: den größten Reformprozess in Guatemalas jüngerer Geschichte. Die | |
erste handfeste Herausforderung ist der Umbau des Justizsystems: von einer | |
[2][willfährigen Justiz] im Auftrag der zahlungskräftigen Kreise des Landes | |
zu einer kalkulierbaren, unabhängigen und fairen Justiz. | |
Dafür – daran herrscht in Guatemala kein Zweifel – muss diese Frau weichen: | |
María Consuelo Porras. Seit gut sechs Jahren gibt die 70-jährige | |
Generalstaatsanwältin den Kurs der guatemaltekischen Justiz vor und hat | |
Rechtsgrundsätze auf den Kopf gestellt: Ihr Zitat, dass jeder und jede, die | |
oder der angeklagt sei, schließlich ihre Unschuld nachweisen könne, hat | |
nicht nur in Guatemala Schlagzeilen gemacht. Warum? Weil der lapidare Satz | |
den Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermutung auf den Kopf stellt. | |
An diesem Mittwoch hätte Porras vor Arévalos Kabinett erscheinen und | |
Rechenschaft ablegen sollen – sie tauchte schlicht nicht auf. Eine etwas | |
drängendere Einladung hat sie nunmehr für den 29. Januar. | |
Arévalo hat sich mehrere Fälle herausgesucht, denen er nachgehen will, | |
darunter jenen der Festnahme und Inhaftierung des prominenten Journalisten | |
[3][José Rubén Zamora], aber auch jene von Claudia González und Virginia | |
Laparra. Beide sind prominente Jurist:innen, die sich verantworten mussten, | |
weil sie sich engagiert hatten. | |
## Erzkatholisch, erzkonservativ, und an den Schalthebeln | |
Laparra hatte eine korrupten Richter angezeigt und wurde daraufhin wegen | |
Amtsanmaßung zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Schon das Urteil | |
war ein Skandal, aber obwohl es zur Bewährung ausgesetzt wurde, musste die | |
dritthöchste Justizangestellte des guatemaltekischen Staates 18 Monate in | |
Isolationshaft. Die verantwortliche Richterin witterte Verdunkelungsgefahr. | |
Die Richterin steht laut Experten wie Jorge Santos, Direktor der | |
Menschenrechtsorganisation Udefegua, auf der Lohnliste des „Paktes der | |
Korrupten“. Sie ist nur ein Beispiel für Dutzende von Richter:innen und | |
Staatsanwältinnen, oft in Schlüsselpositionen, die ihre Unabhängigkeit | |
gegen ein pralles Bankkonto eintauschten. Sie stellen zwar bei weitem nicht | |
die Mehrheit des Justizpersonals, aber sie sitzen oft an Positionen, wo sie | |
Druck auf andere ausüben können. | |
María Consuelo Porras, erzkatholisch und erzkonservativ, ist dafür nur das | |
prominenteste Beispiel. Sie hat sich mit einer Riege von | |
Staatsanwält:innen und Richter:innen umgeben, die das Gleichgewicht | |
im guatemaltekischen Justizapparat haben kippen lassen: „aus dem noch 2019 | |
leidlich unabhängigen wurde ein instrumentalisiertes Justizsystem“, sagt | |
Claudia González. | |
González war Mitarbeiterin der UN-Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG), | |
die 2019 aus dem Land geworfen wurde. Sie ist überzeugt, dass sie, | |
Staatsanwältin Laparra oder Richter wie Miguel Àngel Gálvez nur deshalb | |
sanktioniert wurden, weil sie den mächtigen Familien des Landes zu nahe | |
getreten sind. „Wir haben die Unantastbaren antastbar erscheinen lassen. | |
Das ist unser Vergehen“, sagt die zierliche Frau. Dafür saß Claudia | |
González 81 Tage im Gefängnis, bis ein Richter diese Justiz-Posse ohne | |
tragfähiges Fundament beendete. | |
## Möglichst schnell die Posten neu besetzen | |
Bei Virginia Laparra dauerte es über 600 Tage, bis die 44-jährige | |
Staatsanwältin aus der Isolationshaft befreit wurde. Miguel Ángel Gálvez | |
ging hingegen über Berlin ins costa-ricanische Exil, um seiner | |
Kriminalisierung zu entgehen. Die Namen der drei gehören zu denen, die | |
immer wieder genannt werden, wenn es um die Reformierung und | |
Neustrukturierung der Justiz in den nächsten Monaten und Jahren geht. Um | |
die zu ermöglichen, muss die von den USA als hochkorrupt, | |
demokratiefeindlich und unerwünscht deklarierte Porras aus der | |
Schaltzentrale der Justiz verschwinden. | |
Das ist nur der Auftakt. „Danach müssen die höchsten Gerichte neu besetzt | |
werden: mit glaubwürdigen und ehrlichen Juristen“, so González. Die Wahlen | |
zu deren Besetzung stehen turnusmäßig im April und Mai an – ihre | |
transparente Durchführung könnte die Strukturen im Justizsystem innerhalb | |
von kürzester Zeit korrigieren. | |
„Das hätte in Guatemala Signalcharakter und wäre ein Auftakt nach Maß für | |
die neue Regierung“, so die 56-jährige Juristin. Sie selbst würde nur zu | |
gern ihren Teil dazu beitragen Guatemalas Justiz neu aufzubauen. Doch | |
vorher muss sie den eigenen Prozess gegen die Generalstaatsanwaltschaft | |
gewinnen: bis auf weiteres dirigiert von María Consuelo Porras. | |
27 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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