# taz.de -- Machtwechsel in Guatemala: Gegen die alten Kräfte des Landes | |
> Deutlich verspätet leistete Guatemalas neuer Präsident Bernardo Arévalo | |
> in der Nacht seinen Amtseid. Schuld war die Opposition im Parlament. | |
Bild: Erst nach Mitternacht kann Guatemalas neuer Präsident Bernardo Arévalo … | |
GUATEMALA-STADT taz | Deutlich verspätet leistete Guatemalas neuer | |
Präsident [1][Bernardo Arévalo] erst in der Nacht zum Montag kurz nach | |
Mitternacht seinen Amtseid als neuer Präsident Guatemalas. Hartnäckig hatte | |
die Opposition der Party zur Erneuerung der Demokratie den Stecker ziehen | |
wollen – vergeblich. | |
Wie knapp es war, daraus machte Arévalo in seiner Antrittsrede keinen Hehl. | |
Haarscharf sei das Land an einem neuen Autoritarismus vorbeigeschrammt, und | |
zu verdanken sei das der Einigkeit, lobte der 65-Jährige vor rund 1.000 | |
geladenen Gästen im Nationaltheater der Hauptstadt. | |
Der Dank des neuen Präsidenten, dessen Antrittsrede auf dem zentralen Platz | |
der Hauptstadt trotz der späten Stunde von Tausenden bejubelt wurde, ging | |
aber auch an die befreundeten Nationen und die [2][indigenen Autoritäten]. | |
Letztere hatten mit massiven Protesten über 105 Tage die Reste der | |
Demokratie in Guatemala genauso verteidigt, wie die internationale | |
Gemeinschaft vehement auf die Vereidigung des gewählten Präsidenten | |
gedrängt hatte. Das wurde auf dem „Platz der Verfassung“, dem zentralen Ort | |
in Guatemalas Hauptstadt, von Tausenden mit vehementem Jubel quittiert. | |
Dafür war aber auch am Tag der Vereidigung hinter den Kulissen viel Druck | |
nötig gewesen. Die 160 Abgeordneten des Parlaments hatten über Stunden mit | |
mehreren Abstimmungen über die leitenden Gremien des Parlaments für | |
Verzögerung gesorgt. Durchaus kalkuliert, denn eine glatte Amtsübernahme | |
haben viele der oppositionellen Abgeordneten, von denen viele als korrupt | |
gelten, Bernardo Arévalo schlicht nicht gegönnt. | |
## Arévalo hat Institutionen und Justiz gegen sich | |
Internationaler Druck und ein Urteil des Verfassungsgerichts, das die | |
Parlamentarier verpflichtete, binnen einer Stunde die leitenden Gremien des | |
Parlaments zu wählen, sorgten schließlich für den Durchbruch. Die „Junta | |
Directiva“ mit Parlamentspräsident Samuel Pérez Álvarez von Arévalos Part… | |
Semilla wurden gewählt, und das ist ein beachtlicher Erfolg für die Partei | |
des Präsidenten. Offiziell ist sie suspendiert, ihre 23 Abgeordneten dürfen | |
keine Fraktion bilden, haben aber die nötigen Stimmen für den politischen | |
Neuanfang nach mehreren Anläufen zusammenbekommen. | |
Ein Achtungserfolg für Präsident und Partei, der mehr als neun Stunden Zeit | |
verschlang. Statt gegen 14 Uhr traf Bernardo Arévalo erst nach 23 Uhr im | |
Nationaltheater ein. Da hatten die ersten internationalen Gäste, darunter | |
OAS-Generalsekretär Luis Almagro, den Ort der Vereidigung bereits entnervt | |
verlassen. Peinlich, denn Almagro hatte Bernardo Arévalo seit seiner Wahl | |
am 20. August wie kaum ein anderer unterstützt. | |
Das wird ohne Zweifel auch weiter nötig sein, denn der 65-jährige Soziologe | |
und Ex-Diplomat wird gegen eine immens starke Opposition im Land regieren | |
müssen. Nicht nur im 160-köpfigen Parlament stellt die Opposition die | |
Mehrheit, auch nahezu jede staatliche Institution ist von korrupten | |
Funktionär:innen unterwandert. Allen voran [3][die Justiz] mit der | |
Generalstaatsanwältin María Consuelo Porrras an der Spitze, die Bernardo | |
Arévalo nun zum Rücktritt auffordern will. Ob das realistisch ist, steht in | |
den Sternen, denn Porras hat noch ein Mandat bis 2026. | |
Allerdings ist der Druck auf die Juristin immens, und Appelle, einzulenken, | |
gibt es mittlerweile auch vom Kardinal Álvaro Ramazzini. Der las am Sonntag | |
die Messe vor der Generalstaatsanwaltschaft an der Seite der indigenen | |
Autoritäten. „Wir brauchen in den nächsten Monaten und Jahren eine aktive | |
Zivilgesellschaft, die Einheit der indigenen Völker und das diplomatische | |
Geschick von Bernardo Arévalo“, sagte der Kardinal aus dem indigen | |
geprägten Verwaltungsbezirk Huehuetenango, ganz im Norden des Landes. Für | |
die Region und alle anderen ländlich geprägten Regionen wünscht sich | |
Ramazzini mehr Investitionen, dezentrale Strukturen und ein Ende des auf | |
die Hauptstadt fixierten Modells. | |
Genau das hat Bernardo Arévalo in seiner Antrittsrede als eines von vielen | |
Vorhaben definiert. Doch die Aufgabe des im Exil aufgewachsenen, in Tel | |
Aviv und Utrecht zum Soziologen ausgebildeten Mannes ist gewaltig: Arévalo | |
will das Land grundlegend verändern, strukturelle Reformen einleiten, die | |
auch dazu führen sollen, dass die Leute im eigenen Land wieder mehr | |
Perspektiven sehen und weniger auswandern. Das dürfte auch in Washington | |
gut ankommen. Doch dafür ist deutlich mehr soziale Gerechtigkeit nötig, die | |
sich Arévalo genauso wie den Schutz der Menschen-, aber auch der | |
Frauenrechte auf die Agenda geschrieben hat. | |
Dafür braucht der ehemalige Diplomat nicht nur Verhandlungsgeschick, | |
sondern auch kontinuierliche internationale Unterstützung – unter anderem | |
gegen eine egoistische und zutiefst korrupte Elite. Die Devise Arévalos | |
heißt: für das Wohl aller und nicht das einiger weniger. Er signalisiert: | |
Der Wandel in Guatemala hat begonnen. | |
15 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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antreten. |