# taz.de -- Im Gefängnis bei José Rubén Zamora: Noch immer nicht gebrochen | |
> 18 Monate sitzt er schon im Knast: José Rubén Zamora, Guatemalas Ikone | |
> des investigativen Journalismus. Nun gibt es neue Hoffnung. | |
Bild: Jose Ruben Zamora am 14. Juni 23 auf dem Weg zum Gericht in Guatemala City | |
Ein grau lackiertes Metalltor versperrt den Eingang zur | |
Mariscal-Zavala-Militärbasis. Dahinter stehen gelangweilte Soldaten. Sie | |
scannen Ausweise, stempeln fluoreszierende Embleme auf Arme, fragen, ob | |
auch wirklich kein Mobiltelefon in der Tasche steckt – schließlich geben | |
sie die Teerstraße durch den Wald frei. Auf halber Stecke durch die | |
parkähnliche Anlage geht es an einem leichten Schützenpanzer mit | |
Maschinengewehr vorbei. Dann tauchen die Gebäude des Gefängnistraktes auf. | |
Hier ist [1][José Rubén Zamora] seit 18 Monaten gefangen. | |
Zamora, Jahrgang 1956, ist [2][Guatemalas] Ikone des investigativen | |
Journalismus: eine unbequeme Spürnase, die sich immer wieder für die | |
Stärkung der fragilen Demokratie und Presselandschaft im | |
bevölkerungsreichsten Land Mittelamerikas engagiert hat. Erfolgreich, und | |
das nicht erst seit der Gründung „seiner“ Zeitung elPeriódico im Jahr 199… | |
Die hat wie kein anderes Medium in Guatemala den politisch Verantwortlichen | |
auf die Finger geschaut, Veruntreuungen aufgedeckt – nicht nur beim gerade | |
aus dem Amt geschiedenen Präsidenten Alejandro Giammattei. | |
Jetzt ist das Geschichte. Seit dem 29. Juli 2022 sitzt Zamora in | |
Untersuchungshaft auf der Mariscal-Zavala-Militärbasis. Etwas abgesondert | |
von den anderen Gefangenen, befindet sich seine Zelle in einem separaten | |
Trakt. Drei, vier Zellen, die mit schweren dunkelblau lackierten Stahltüren | |
versehen sind. Bereitwillig öffnet ein Wärter die Tür. Ein hagerer | |
mittelgroßer Mann mit silbrig-weißem, zurückgekämmten Haarschopf, tritt | |
vor: J[3][osé Rubén Zamora] empfängt den unbekannten Besucher, der sich als | |
Freund der Familie ausgegeben hat, wie einen alten Bekannten. | |
Zweimal pro Woche, mittwochs und samstags, darf der 67-Jährige zwischen 8 | |
und 16 Uhr Besuch empfangen, und jeden dieser Tage genieße er, erzählt | |
Zamora. „Radio, Fernsehen, einen Computer und Internet habe ich hier | |
nicht.“ Mit bitterer Miene deutet er auf die Bücherstapel in seiner rund | |
acht Quadratmeter großen Isolationszelle. Ein Etagenbett, ein Tisch, der | |
Kleiderständer und zwei Stühle machen im Wesentlichen das Interieur der | |
Zelle aus, die Zamora eine Stunde am Tag verlassen darf. Etwas Sonne | |
tanken, ein wenig Gymnastik. Über den Rest des Tages helfen ihm die Bücher | |
hinweg. Dreihundert bis siebenhundert Seiten lautet seine tägliche Dosis – | |
seit 18 Monaten. | |
## Ein Schwerverbrecher? | |
Auf dem oberen Etagenbett liegen die Unterlagen, die Zamoras Unschuld | |
beweisen sollen. Immer griffbereit, obwohl er sie schon auswendig kennt. | |
Ende Februar steht der nächste Gerichtstermin an. Dann sollen seine | |
Pflichtverteidiger – andere kann er sich nicht mehr leisten – den Vorwurf | |
der Geldwäsche entkräften, der ihm seit seiner Festnahme durch ein | |
Spezialkommando am 29. Juli 2022 vorgehalten wird. | |
„Durch das Dach sind sie in unser Haus eingedrungen, als ob ich ein | |
Schwerverbrecher wäre“, sagt Zamora und schüttelt ungläubig den Kopf. | |
„Wegen 300.000 Quetzal“. Das ist die Summe, rund 35.000 Euro, um die sich | |
zumindest vordergründig alles dreht im Fall Zamora. Dieses Geld soll der | |
erfolgreiche, kompromisslose und hartnäckige Zeitungsgründer und -macher | |
aus dubiosen Quellen erhalten und gewaschen haben, so die Anklage. | |
„Doch das Geld stammt aus dem Verkauf eines mir geschenkten Bildes. Ich | |
brauchte die 300.000 Quetzales, um den doppelten Juli-Lohn für 129 | |
Festangestellte vom elPeriódico zu zahlen.“ Zweimal im Jahr haben die | |
Festangestellten Anspruch auf ein doppeltes Monatsgehalt. Einen Teil der | |
Summe, 240.000 Quetzales, hat Zamora damals auf einer Bank eingezahlt. Zum | |
Beleg legt er ein Foto des Bildes und Kontoauszüge aus den | |
Prozessunterlagen auf den weißen Kunststofftisch. | |
elPeriódico, die investigative Tageszeitung mit dem Schwerpunkt | |
Korruptionsbekämpfung, sollte Zamoras Vermächtnis an die guatemaltekische | |
Gesellschaft sein. 25.000 Print- und 12.000 Digitalabos hatte das Blatt, | |
als Zamora verhaftet wurde. Eigentlich hatte er geplant, erst mit 70 Jahren | |
auszusteigen. Für den symbolischen Preis von einem Quetzal (12 Cent) wollte | |
er die Zeitung an ein Team um die Redaktionsleiterin Julia Corado | |
weitergeben. Dafür waren alle Weichen gestellt: Die Digitalisierung war | |
weit fortgeschritten, und sowohl Zamora als auch seine rechte Hand, Corado, | |
berichten von schwarzen Zahlen. | |
Curado sitzt im Exil, in Costa Rica. Dort halten sich etliche | |
Journalist:innen aus Guatemala auf, weil sie zu Hause nicht mehr | |
arbeiten können, kriminalisiert und bedroht werden. Für Zamora war das Exil | |
– so erklärt er selbst – nie eine Option, obwohl er entführt, unter Drogen | |
gesetzt, bedroht wurde und auch einen Granatenanschlag unverletzt überlebte | |
– um nur einige Angriffe zu nennen. Immer wieder mussten seine Frau und die | |
drei Söhne unter Polizeischutz ausharren, bis sich die Lage beruhigt hatte. | |
Derzeit sind alle vier wieder in den USA, weil sie in Guatemala vor den | |
Ermittlungsbehörden nicht mehr sicher seien, so Zamora. Nur über das | |
Telefon draußen neben seiner Zellentür hat er Kontakt zu ihnen. | |
## Attacke aus dem Apparat | |
Zamora ist sich sicher, wem er das zu verdanken hat: „Ich sitze hier, weil | |
ich gegen die Korrupten kämpfe“, sagt er mit fester, ruhiger Stimme. Für | |
ihn ist es kein Zufall, dass fünf Tage nachdem elPeriódico die Verträge | |
über den eigennützigen Impfstoffdeal des gerade aus dem Amt geschiedenen | |
Präsidenten Alejandro Giammattei veröffentlicht hatte, das Spezialkommando | |
von mehreren Seiten in Zamoras Haus eindrang. | |
Dass die Attacke aus dem Apparat kommt, steht laut Medienorganisationen | |
außer Frage. So etwa für „Reporter ohne Grenzen“, die Zamora für seine | |
Haltung trotz juristischer Schikanen im November 2023 auszeichneten. „Von | |
elf Anwält:innen sind vier im Gefängnis, zwei im Exil. Vor Gericht | |
durfte ich entlastendes Material erst gar nicht vorlegen – der Richter hat | |
mich nur beleidigt“, erklärt Zamora und fährt sich nachdenklich durch die | |
Haare. | |
Hinzu kommt, dass Unternehmer unter Druck gesetzt wurden, um keine Anzeigen | |
zu schalten: Das hat letztlich zum Ende von elPeriódico im Mai 2023 | |
geführt. Zwar wurde das Urteil über die sechs Jahre Haft wegen Geldwäsche | |
längst kassiert, aber der Prozess wird Ende Februar neu aufgerollt – | |
eventuell um weitere Anklagepunkte erweitert. | |
Dass er dann freikommt, daran mag Zamora nicht glauben. Trotzdem blitzen | |
seine Augen kämpferisch. „Ich gehe durch alle Instanzen, bis ich eine | |
offizielle Entschuldigung vom Staat erhalte“, sagt er. Im ersten Haftjahr | |
hat er 37 Pfund Gewicht verloren, wurde von Insekten, aber auch den Wärtern | |
gepiesackt. „Das ist vorbei. Die vier, die jetzt zuständig sind, behandeln | |
mich respektvoll“, erklärt Zamora. Jetzt wiegt er wieder 14 Pfund mehr. Und | |
er setzt große Hoffnungen in die gerade vereidigte Regierung von | |
[4][Bernardo Arévalo.] Die hält er für glaubwürdig und reformwillig. Aber | |
er weiß auch, wie schwer es wird, die mächtigen Netzwerke aus Politik, | |
Wirtschaft, Militär und organisierter Kriminalität zurückzudrängen, die de | |
facto die Generalstaatsanwaltschaft instrumentalisiert haben. | |
## Ende der Besuchszeit | |
Das bestätigt auch Juristin Wendy Lopez: „Rechtsgrundsätze wie die | |
Unschuldsvermutung werden von Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras | |
auf den Kopf gestellt – die Angeklagten müssen sich selbst entlasten.“ | |
Lopez vertritt zwei der Anwaltskollegen, die sich inzwischen selbst | |
verantworten müssen, weil sie über Staatsanwälte und Richter im Dienst der | |
Korrupten kritisch berichteten – natürlich in elPeriódico. | |
Ein paar Sonderausgaben liegen noch in seiner Zelle. Doch an einen | |
potenziellen Neuaufbau des Mediums verschwendet Zamora keine Gedanken. | |
„Online-Portale wie Prensa Comunitaria sind am ehesten in der Lage, die | |
Lücke zu füllen“, meint er und rollt genervt mit den Augen, als der Wärter | |
in die offene Zellentür tritt. Die Besuchszeit ist zu Ende. Vor der Stunde | |
Freigang wird José Rubén Zamora seine Frau im sicheren Miami anrufen. | |
Danach bleiben ihm nur noch die Bücher – wie schon seit 18 Monaten. | |
19 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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