| # taz.de -- 7. Oktober, AfD, Fake News: Kopfschutz fürs Superwahljahr | |
| > Unsere Autorin blickt auf die vergangene Woche und die Debatten der | |
| > letzten Monate. Für die Zukunft braucht sie wohl einen großen Hut zum | |
| > Selbstschutz. | |
| Bild: Sonnenschutz, wenn zu viel wird | |
| Jeder Selbstbetrug hat so seine Saison, zumindest bei mir. Nicht dass ich | |
| das Konzept an sich gut fände, aber ich packe es auch nicht, mir zwölf | |
| Monate lange um alles gleich viele Sorgen zu machen. Wenn nicht gerade | |
| Wahlen sind, wie in diesem Jahr, flaut meine existenzielle Verzweiflung im | |
| Herbst für gewöhnlich ein bisschen ab. Bei milden 15 Grad und Nieselregen | |
| muss man sich wenigstens nicht jeden Tag mit der auf volles Rohr gestellten | |
| Erderhitzung beschäftigen. | |
| Diesen Herbst hat das mit der Verdrängung und der lauwarmen Vermatschung | |
| des Gehirns aber eh nicht geklappt, er begann mit dem 7. Oktober. Seitdem | |
| durchlebe ich in Gedanken immer und immer wieder diesen Tag. Im weiteren | |
| Sinne, aber auch ganz konkret: Immer wieder gehe ich diesen Samstag | |
| innerlich durch, lese immer wieder die Whatsapp-Nachrichten. Vom ersten | |
| Anruf morgens um halb sieben bis zum ersten von vielen folgenden | |
| Nervenzusammenbrüchen am Abend. | |
| Vier Monate ist das jetzt her, und noch immer weiß ich nicht, wann genau an | |
| diesem Tag ich kapiert habe, [1][dass die Welt in zwei Teile zerfallen | |
| ist]. Wann genau alles aus Kontext, Zeit und Raum gerissen worden ist. | |
| ## Visier herunter – bämm | |
| Als ob das eine Rolle spielen würde. Am Abend vorher jedenfalls war noch | |
| Sommer, metaphysisch zumindest. Es war warm, und ich hatte mit der | |
| Mitbewohnerin meiner Freundin S. über den besten Sonnenschutz diskutiert: | |
| Sie hatte sich extra aus Japan ein Sonnenvisier bestellt. Nicht irgendein | |
| fancy buntes Cap, sondern etwas, das, groß und schwarz und ein bisschen wie | |
| ein Imkerhelm bei Bedarf das gesamte Gesicht verdeckt. Ich war begeistert | |
| gewesen. | |
| Wenn die Realität mir im kommenden Sommer wieder unerbittlich ins Gesicht | |
| schlagen würde, ließe ich einfach das Visier herunter – bämm. S. war nicht | |
| so begeistert, sie ist zu schlau und zu ehrlich im Kampf gegen die fossile | |
| Zerstörung der Erde, als dass sie sich solchem Selbstbetrug hingeben würde. | |
| Aber ich bin auch nicht alleine mit meiner Haltung: Was ich nicht weiß, | |
| macht mich (zumindest im Gesicht) nicht heiß. | |
| ## Blitzmerker in der AfD-Parteizentrale | |
| Die SPD zum Beispiel, genauer die Parteiführung hat sich jetzt von X | |
| (formerly known as Twitter) zurückgezogen. Weil „die Verbreitung von | |
| Desinformation, Fake News, hasserfüllter Propaganda“ dort mittlerweile an | |
| der Tagesordnung sei – gerade auch durch russische Trollfabriken. Und, das | |
| weiß jedes Kind, mit russischen Trollen wollte man in der SPD noch nie | |
| etwas zu tun haben. | |
| Ein paar Blitzmerker in der AfD-Parteizentrale nutzen die Gelegenheit, ihre | |
| in Teilen verfassungsfeindliche Partei als Sturmhaube der Meinungsfreiheit | |
| zu zeichnen, und warfen der SPD mangelndes demokratisches Verständnis und | |
| den Unwillen vor, andere Ansichten zu ertragen. | |
| Damit ist eigentlich auch schon alles gesagt, was man für dieses | |
| Superwahljahr wissen muss, um nicht am Ende bedröppelt aus der Wäsche zu | |
| gucken. Meinungsfreiheit herrscht sicher nicht dann, wenn keiner | |
| widerspricht. Den Rückzug von X kann man genau deshalb trotzdem verstehen. | |
| Widersprechen allein macht auch noch keinen Diskurs, und Fake News gibt’s | |
| auch im real life auskömmlich. | |
| Das notorische Zentrum für Politische Schönheit etwa hat mittels KI Olaf | |
| Scholz [2][eine Eins-a-Antifa-Rede in den Mund gelegt], die er so nie | |
| gehalten hat. So kommen wir nicht zusammen. | |
| Bleiben nur die Fragen, wie viel Meinungsdifferenz man aushalten muss | |
| (viel, würde ich sagen) und wo man die rote Linie zieht (vielleicht bei | |
| verfassungsfeindlichen Verfassungsrichtern?), bis zu welchem Rand der | |
| multipel gespaltenen Gesellschaft man sich verbündet und mit wem gemeinsam | |
| man wogegen demonstriert. Klar ist: Keiner von uns wird alles bekommen: | |
| Klimaschutz und fett Kohle auf dem Konto, from the river to the sea und | |
| kein [3][Antisemit sein]. Und so fort. | |
| Vielleicht ist es trotzdem möglich, ein, zwei kleinste gemeinsame Nenner zu | |
| finden (keine AfD in der Regierung?). Für alle weiteren Details werde ich | |
| mir nächsten Sommer auf jeden Fall das Sonnenvisier gönnen. | |
| 4 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ariane Lemme | |
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