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# taz.de -- Experte über EU-Klimaziele: „Das absolute Minimum“
> Die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Die Ziele bis 2040 sind zu
> vorsichtig, findet Lutz Weischer von der NGO Germanwatch.
Bild: Die EU ist beim Klimaschutz nicht ehrgeizig genug: Windpark im friesische…
taz: Die EU-Kommission hat sich [1][beim europäischen Klimaziel] für 2040
an die Empfehlungen ihres wissenschaftlichen Beirats gehalten und will die
klimaschädlichen Emissionen um 90 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Sind
Sie zufrieden?
Lutz Weischer: Die Kommission orientiert sich an der Empfehlung der
Wissenschaft, aber geht ans untere Ende dieser Empfehlung. Der Beirat hatte
90 bis 95 Prozent Reduktion empfohlen, um dann 2050 die Klimaneutralität zu
erreichen. Aus unserer Sicht ist die Kommission da also sehr vorsichtig und
zu konservativ rangegangen. Sie plant das absolute Minimum dessen, was
erforderlich wäre. Wir sind der Ansicht, dass die Europäische Union sich
mehr zutrauen kann. Sie will ja internationaler Vorreiter und Taktgeber bei
der Transformation sein. Dafür müsste sie ans obere Ende der
Beiratsempfehlung gehen.
Die Industrie ist jetzt schon mäßig begeistert. Was würde das höhere Ziel
ökonomisch bedeuten?
Es würde kaum mehr Aufwand und Kosten bedeuten, die Emissionen bis 2040 um
95 Prozent zu reduzieren. Der Nutzen hingegen wäre groß, auch durch die
internationale Signalwirkung. Das hat nicht nur die Analyse des
Wissenschaftlichen Beirats ergeben, sondern auch die Folgenabschätzung der
EU-Kommission selbst.
Sollte der Aufschlag der EU-Kommission beim EU-Parlament und bei den
Mitgliedsstaaten durchkommen, muss [2][Deutschland dann beim Klimaschutz
mehr machen] als bisher geplant?
Ja, Deutschland muss dann ambitionierter werden. Bisher plant die
Bundesregierung, die Emissionen bis 2040 um 88 Prozent zu senken.
Mindestens 90 müssten es dann also werden. Wahrscheinlich aber noch etwas
mehr.
Weil die EU beim Klimaschutz auch nach Wirtschaftskraft geht…
Deutschland als wohlhabender Mitgliedsstaat muss in der Regel nach EU-Recht
etwas schneller sein als der Durchschnitt, damit Staaten mit weniger Geld
und Möglichkeiten mehr Zeit bleibt. Aber: Wir wollen ja laut unserem
eigenen Klimaschutzgesetz schon bis 2045 klimaneutral sein, also fünf Jahre
vor der Europäischen Union insgesamt. Wenn das funktionieren soll, muss
Deutschland also 2040 sowieso sehr weit sein beim Klimaschutz.
Ein Ausstiegsdatum für fossile Energie will die EU-Kommission nicht
festsetzen. Ist das problematisch?
Es ist eine verpasste Chance. Die EU hätte zeigen können, dass sie das
ernst meint, wofür sie auf der Weltklimakonferenz in Dubai vergangenes Jahr
vorbildlich gekämpft hat: nämlich den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas. Und
2040 wäre ein gutes Datum dafür gewesen.
Im Jahrzehnt bis zur Klimaneutralität 2050 würden dann nur noch Emissionen
wie die aus der Landwirtschaft anfallen.
Ja, teilweise auch aus der Industrie, zum Beispiel aus der
Zementherstellung. Aber eben nicht mehr durch unsere Energienutzung, also
durch den Bereich, in dem wir gut funktionierende Alternativen zu fossilen
Kraftstoffen haben: Solaranlagen, Windräder, E-Autos, Wärmepumpen.
Andersherum gefragt: Ist der Ausstieg aus den Fossilen bis 2040 die
logische Konsequenz aus den Klimazielen, die die EU-Kommission nur nicht
ausspricht?
Sagen wir es so: Er wäre der plausibelste Weg, wenn man wirklich bis 2050
klimaneutral werden und nicht auf unrealistische Hoffnungen setzen will.
Man kann natürlich darauf spekulieren, dass wir im großen Maßstab
Kohlenstoff-Entnahmen aus der Atmosphäre hinkriegen, sowohl über natürliche
Senken wie Wälder als auch über technische Senken wie die CCS-Technologien.
Das ist aber nicht realistisch und wäre auch viel teurer. Deswegen ist es
klug, bis 2040 alles zu machen, was relativ einfach zu schaffen ist.
Der [3][Weltklimarat] geht in seinen Szenarien zum 1,5-Grad-Limit aber auch
von einer massiven Nutzung von CCS-Technologien aus.
Ja, wir werden CCS brauchen, und zwar für die Emissionen, von denen wir
wirklich nicht wissen, wie wir sie vermeiden können. Diese Szenarien gehen
nicht davon aus, dass wir massenhaft Emissionen aus Kraftwerken durch CCS
ausgleichen. Ganz im Gegenteil laufen die alle auf einen schnellen Ausstieg
aus den fossilen Energien hinaus.
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund, dass die Bundesregierung in ihrer
neuen Kraftwerksstrategie, mit der sie neue Gaskraftwerke fördern will, die
Bereitschaft zu CCS signalisiert?
Wir können sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission nur davor
warnen. Erstens ist es der deutlich teurere und unsicherere Weg im
Vergleich zum Umstieg auf erneuerbare Energien. Und zweitens ist es ein
Weg, der massiv die soziale Akzeptanz des Klimaschutzes gefährdet. In
Deutschland gibt es massive Widerstände gegen die unterirdische Lagerung
von abgeschiedenem Kohlendioxid. Wer auf CCS in Bereichen setzt, in denen
wir es nicht brauchen, macht die gesellschaftliche Akzeptanz kaputt. Aber
darf ich noch einen positiven Punkt machen?
Natürlich.
Ich finde es wichtig, nicht nur über die Industrie und Emissionen zu
sprechen, sondern auch über die Menschen. Das macht die EU-Kommission in
ihrer Kommunikation zum neuen europäischen Klimaziel. Da steht sehr
deutlich: Wir wollen das gerecht gestalten, wir müssen das sozial
begleiten. Wie unterstützen wir Regionen, die wirtschaftlich nicht so stark
sind? Wie unterstützen wir Haushalte, die sich die Umstellung auf die
Klimaneutralität nicht ohne Weiteres leisten können? Zum Beispiel mit
Zuschüssen für die neue Heizung, zum Beispiel aber auch durch Investitionen
in einen besseren öffentlichen Nahverkehr. Hier konkret zu werden ist die
Schlüsselaufgabe für das neue EU-Parlament und die nächste Kommission.
Wie enttäuscht sind Sie, dass die Bundesregierung das versprochene
Klimageld offenbar abgesagt hat?
Sehr enttäuscht! Ich halte das für zentral. Wir sehen, dass wir ohne
CO2-Bepreisung den Klimawandel nicht in den Griff bekommen. Das ist noch
stärker so wegen der Akzente, die die FDP in dieser Koalition setzt, weil
die Bereitschaft zu klimafreundlichem Ordnungsrecht begrenzt ist. Deswegen
muss noch mehr über hohe Preise auf klimaschädliche Brennstoffe gehen. Das
ist aber nur gerecht, wenn es eine soziale Rückverteilung gibt.
7 Feb 2024
## LINKS
[1] /Streit-ueber-EU-Klimaziele/!5987262
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[3] /Aktuelle-Daten-zum-Klimawandel/!5942731
## AUTOREN
Susanne Schwarz
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