| # taz.de -- Regierung in Nordirland: Die Kraft symbolischer Bedeutung | |
| > Zum ersten Mal steht an der Regierungsspitze in Nordirland eine | |
| > Politikerin der Sinn Féin. Die DUP-Unionisten haben ihren Boykott | |
| > aufgegeben. | |
| Bild: Michelle O'Neill stammt aus einer Arbeiterfamilie und ist nun die erste R… | |
| Dublin taz | Auf den Tag genau zwei Jahre lang musste Nordirland auf seine | |
| Regionalregierung warten. Nun übernimmt Michelle O’Neill das Amt der Ersten | |
| Ministerin. An der nordirischen Regierungsspitze steht damit zum ersten Mal | |
| ein Mitglied von Sinn Féin, dem ehemaligen politischen Flügel der | |
| inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA). | |
| So hatte das die britische Regierung nicht geplant, als sie vor gut hundert | |
| Jahren die Grenze durch Irland so zog, dass die | |
| protestantisch-unionistische Bevölkerung die deutliche Mehrheit stellte. | |
| Die bisherigen elf Premierminister waren alle Unionisten. Doch [1][bei den | |
| Wahlen 2022 wurde Sinn Féin stärkste Partei] – vor allem, weil die | |
| Unionisten zerstritten waren. | |
| Eine Sinn-Féin-Regierungschefin hat vor allem symbolische Bedeutung, denn | |
| ihre Stellvertreterin ist Emma Little-Pengelly von der Democratic Unionist | |
| Party (DUP). Beide sind laut Friedensabkommen vollkommen gleichberechtigt. | |
| Durch diese Eigenheit des politischen Systems Nordirlands sollen beide | |
| Konfessionen eine Einheitsregierung bilden, in der keiner stärker ist. Aber | |
| Symbole spielen in der nordirischen Politik, wo die Farbe Grün für das | |
| irisch-katholische Lager steht und die Farbe Orange für das | |
| britisch-protestantische, seit jeher eine große Rolle. | |
| O’Neill stammt aus einer Arbeiterfamilie und wuchs in dem Dorf Clonoe in | |
| der Grafschaft Tyrone auf. Mit 16 bekam sie eine Tochter. Damit O’Neill | |
| sich auf ihren Schulabschluss konzentrieren konnte, übernahm ihre Mutter | |
| die Erziehung. Wegen des „Fehltritts“ beteten Mitschülerinnen und das | |
| Lehrpersonal für sie. | |
| ## Ob IRA- oder Königinnen-Beerdigung | |
| Ihr Vater war Mitglied der IRA und saß eine Weile im Gefängnis. Sie selbst | |
| trat 1998 in Sinn Féin ein, nachdem das Belfaster Friedensabkommen | |
| unterzeichnet worden war. Seit 2018 ist sie stellvertretende Parteichefin. | |
| Die 47-jährige Michelle O’Neill gilt als Vertreterin einer neuen | |
| Generation, die mit der IRA nichts zu tun hat. Trotzdem nahm sie an | |
| Beerdigungen von IRA-Kämpfern teil. Allerdings fuhr sie auch nach London | |
| zur Beerdigung von Königin Elisabeth II. und zur Krönung von König Charles | |
| III. In ihrer Antrittsrede am Samstag betonte O’Neill, dass sie eine „Erste | |
| Ministerin für alle“ sein wolle – auch für die Unionisten. | |
| Die sind nach wie vor misstrauisch. Während sie Teil des Vereinigten | |
| Königreichs bleiben wollen, strebt Sinn Féin eine Vereinigung Irlands an – | |
| das genaue Gegenteil. | |
| Vor zwei Jahren hatte die DUP die Regierung durch ihren Austritt zu Fall | |
| gebracht, weil ein Zusatzprotokoll [2][zum Brexit-Vertrag von 2019 | |
| Sonderregelungen für Nordirland] enthielt: Die Provinz blieb im | |
| EU-Binnenmarkt. Das hieß: keine Grenzkontrollen in Irland, aber zwischen | |
| Nordirland und Großbritannien. | |
| ## DUP umschifft Wirtschaftsprobleme | |
| Damit die DUP in die Regierung zurückkehrt, vereinbarte die britische | |
| Regierung 2023 mit der EU eine Neuregelung: keine Kontrollen für Waren, die | |
| aus Großbritannien nach Nordirland kommen – außer, die Waren gehen weiter | |
| in die Republik Irland, also in die EU. Dann sind Kontrollen nötig. Eine | |
| weitere Nachverhandlung über strittige [3][Details ermöglichte es DUP-Chef | |
| Jeffrey Donaldson, den Boykott zu beenden]. | |
| Nach der Wahl von O’Neill und Little-Pengelly bestimmten die Parteien ihre | |
| Minister reihum. Sinn Féin sicherte sich das Wirtschaftsministerium. Danach | |
| war die DUP dran, wählte aber das Bildungsministerium statt des erwarteten | |
| Finanzministeriums – das nun Sinn Féin übernommen hat. Es kommen gewaltige | |
| wirtschaftliche Probleme auf die Regierung zu. Michelle O’Neill wird | |
| unpopuläre Entscheidungen treffen müssen, um Geld heranzuschaffen. | |
| 5 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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