# taz.de -- Ehemaliger Berliner Staatssekretär: Nilson Kirchner ist tot | |
> Er erfand die Ekelliste für die Gastronomie und wollte Verkehrssenator | |
> werden. Nun ist der Grünen-Politiker Jens-Holger Kirchner gestorben. Ein | |
> Nachruf. | |
Bild: Jens-Holger Kirchner bei der Vorstellung eines Gutachtens zur Öffnung de… | |
BERLIN taz | Er redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Soll heißen, er | |
berlinerte nicht nur, er sagte auch, was er dachte. Einmal ließ Jens-Holger | |
Kirchner im Interview mit dem Autor dieser Zeilen sogar seinem angestauten | |
Ärger über eine Bürgerinitiative zur Verkehrsberuhigung in Prenzlauer Berg | |
freien Lauf. „Da kommen die Wortführer der Bürgerinitiative im Geländewagen | |
vorgefahren, packen ihre Brut und Transparente vom Rücksitz und gehen gegen | |
den Autoverkehr auf die Straße.“ In solchen Momenten, sagte Kirchner, | |
„ringe ich um professionelle Distanz“. | |
2010, als er genüsslich von grünem Anspruch und grüner Wirklichkeit in | |
Prenzlauer Berg erzählte, war Kirchner, der sich selbst nach der | |
schwedischen Kinderbuchfigur Nils Holgersson „Nilson“ nannte, Stadtrat für | |
öffentliche Ordnung. Nach der Bezirkswahl von 2006 hatten SPD und Linke den | |
Pankower Grünen die Stadtentwicklung verweigert, und Kirchner war plötzlich | |
für Falschparker zuständig. | |
Dass er dann mit der [1][„Ekelliste“] Schlagzeilen machte, die erste | |
bezirkliche Auflistung hygienischer Mängel in Gastronomiebetrieben, zeigt, | |
welches politische Talent Kirchner hatte. Er redete nicht nur Klartext, er | |
handelte auch als Politiker mit überraschender Klarheit. | |
Natürlich ecken politische Ausnahmetalente an. Nach der | |
Abgeordnetenhauswahl 2016 wollte Kirchner im neuen rot-rot-grünen Senat | |
nichts sehnlicher als Verkehrssenator werden. Doch das Amt war einer Frau | |
vorbehalten, und so wurde Kirchner Staatssekretär unter der von außen | |
geholten, zunächst parteilosen Senatorin Regine Günther. | |
Als Kirchner 2018 an Krebs erkrankte, entließ Günther ihn gegen seinen | |
Willen. Seine letzten Jahre verbrachte er in der Senatskanzlei, wo er sich | |
als Planer um Großprojekte wie den Campus in der Siemensstadt kümmerte. | |
## Streitbarer Politiker | |
Dass er zum streitbaren Politiker wurde, war Kirchner nicht in die Wiege | |
gelegt. 1959 in Brandenburg an der Havel geboren, hatte er zunächst | |
Tischler an der Komischen Oper gelernt, weil er nicht zum Abitur zugelassen | |
worden war. In den stürmischen Wendezeiten gründete er das [2][„Netzwerk | |
Spielkultur“], ohne das es heute nicht den Abenteuerspielplatz in der | |
Kollwitzstraße gäbe. | |
Den Blick von unten hat Kirchner immer beibehalten, aber nicht selten auch | |
mit dem Blick des Machbaren konfrontiert, zum Beispiel beim Umbau der | |
Kastanienallee oder der Oderberger Straße. Ein bisschen altersweise war er | |
da schon geworden. Das mit der „Brut“ aus dem Gespräch mit dem Autor | |
änderte er beim Autorisieren dann doch in „Kinder“. | |
Nun ist Nilson im Alter von 64 Jahren am Krebs gestorben, der er | |
zwischenzeitlich überwunden hatte. [3][Die Grünen], die er zuletzt | |
verlassen hatte, würdigten Kirchner als „Macher, der dafür gebrannt hat, | |
unsere Stadt besser zu machen“. | |
22 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/ba-pankow/politik-und-verwaltung/aemter/ordnungsamt/v… | |
[2] https://www.netzwerkspielkultur.de/ | |
[3] https://gruene.berlin/pressemitteilungen/zum-tod-von-nilson-kirchner_3323 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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