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# taz.de -- Neue Siemensstadt 2.0: Zukunft findet Stadt
> Der Siegerentwurf für die neue Siemensstadt steht. Bis 2030 soll in
> Spandau ein Stadtteil entstehen, in dem gearbeitet, gewohnt und geforscht
> wird.
Bild: Die neue Siemensstadt mit Turm im Hintergrund
Es sind große Fußstapfen, in die das Architekturbüro Ortner & Ortner da
tritt. Die Großssiedlung Siemensstadt, von 1929 bis 1931 unter der Regie
von Hans Scharoun und dem damaligen Stadtbaurat Martin Wagner errichtet,
ist inzwischen als Weltkulturerbe geadelt. Nötig war sie geworden, weil die
alte Siemensstadt entlang der Nonnnendamallee mit ihren
spätgründerzeitlichen Bauten nicht mehr die Beschäftigten aufnehmen konnte,
die im Siemenswerk am Rohrdamm ein und aus gingen.
Nun plant Siemens den nächsten Entwicklungsschritt, und wieder wird eine
neue Siemensstadt geplant. Der Sieger des städtebaulichen Wettbewerbs wurde
am Mittwoch Abend im repräsentativen Mosaiksaal im historischen
Verwaltungstrakt am Rohrdamm vorgestellt. Es ist jenes Büro Ortner &
Ortner, von dem die Jury erwartet, das es auf dem 70 Hektar großen Gelände
zwischen Nonnendammallee, Paulsternstraße und der ehemaligen Siemensbahn
einen Stadtteil der Zukunft errichten kann.
Diese Siemensstadt 2.0 soll nicht nur für die Zukunft des Arbeitens stehen,
sondern auch für die Zukunft der Stadt, betonte dabei der Regierende
Bürgermeister Michael Müller (SPD). „Bislang war das Gelände ein
geschlossener Industrie- und Gewerbestandort, der sich jetzt zur Stadt hin
öffnet“, freute sich Müller, der auch betonte, dass nicht nur Siemens und
der Senat gut zusammengearbeitet hätten, sondern auch die jeweiligen
Verwaltungen. „Das ist keine Selbstverständlichkeit“, sagte Müller im
Beisein von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) und
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).
„Manchmal sagt man ja, Berlin sei langsam“, betonte auch Siemens-Vorstand
Cedrik Neike. „Aber das stimmt nicht.“ Der in Berlin geborene Manager, der
seine Ausbildung als 18-Jähriger in der Siemensstadt begann, betonte, dass
2022 die ersten Baumaßnahmen beginnen sollten. 2030 soll die Siemensstadt
2.0 dann fertig sein. 600 Millionen Euro will der 1847 in Berlin gegründete
Konzern in das Vorhaben investieren.
## Mit viel Pomp
Die Bekanntgabe des Siegerentwurfes war in der Mosaikhalle inszeniert
worden wie eine Fernsehgala. Zuerst öffneten sich die Wände hinter der
Bühne, dann schob sich der Quader mit dem Modell von Ortner & Ortner in den
Vordergrund, das dann für das obligatorische Gruppenfoto in die Waagerechte
gedreht werden konnte. Das Modell des 150 Meter hohen Turmes, der künftig
weithin eine Landmarke sein soll, war zu diesem Zeitpunkt aber schon
heruntergefallen.
Ein hübsches Bild, das der Jury-Vorsitzende Stefan Behnisch sogleich
aufgriff. „Wir haben den Siegerentwurf nicht wegen, sondern trotz des
Hochhauses ausgewählt“, verriet er. Auch Siemens habe es abgelehnt. Dennoch
fiel das Votum der Jury einstimmig aus. Die 16 Juroren und Jurorinnen,
darunter auch der Regierende Bürgermeister, hatten zwei Tage lang getagt
und ihre Entscheidung erst eine Stunde vor der Präsentation gefällt.
Neben dem Turm besteht die neue Siemensstadt aus zahlreichen Blöcken, die
teils bis zu 60 Meter hoch sind. Die historischen Gebäude sollen erhalten
werden. „Wir wollen Altes bewahren und Neues schaffen“, sagte Neike.
Siemens selbst will auf dem Gelände „die Zukunft der Arbeit erfinden und
einen lebendigen Stadtteil schaffen“.
Dazu gehört auch der Bau von 2.750 Wohnungen, von denen ein Drittel
preisgebunden sein werde, so Neike. „Hinzu kommt eine Europaschule mit
Schwerpunkt Englisch, die gleich von Anfang an mit gebaut wird“, freute
sich Spandaus Bezirksbürgermeister Hartmut Kleebank (SPD). Auch zwei Kitas
und ein Hotel im Schaltwerkshochhaus sollen entstehen. In den alten
Schaltwerkshallen ist eine kulturelle Nutzung vorgesehen. Insgesamt
entstehen in der Siemensstadt 2.0 420.000 Quadratmeter Nutzfläche.
„Viel wichtiger als die Gebäude sind aber die Räume dazwischen“, betonte
der Jury-Vorsitzende Behnisch. So werde es zum Beispiel keine langen
Straßen und durchgehenden Achsen geben, sondern eine Abfolge verschiedener
Freiräume und Plätze. Und dann ist da noch die Nachhaltigkeit. „Die
Siemensstadt 2.0 ist Co2-neutral“, versichert Vorstand Neike. In der
Pressemitteilung des Konzerns, dessen Zentrale nach der Teilung der Stadt
nach München verlegt worden war, der in Berlin aber immer noch seinen
größten Produktionsstandort hat, heißt es: „Dabei sollen innovative
Mobilitätskonzepte und Lösungen des Klimaschutzes genauso eingebracht
werden, wie Möglichkeiten der Digitalisierung, die das Internet of Things
oder Künstliche Intelligenz eröffnen.“ Wie viele klassische Arbeitsplätze
entfallen, ist unklar. Erst im vergangenen Jahre hatte Siemens bekannt
gegeben, 410 Stellen im Bereich Hochspannung zu streichen.
Für den Spandauer Bürgermeister Kleebank ist die neue Siemensstadt dagegen
ein Grund zur Freude. „Die Zukunft von Spandau ist heute entscheidend
geprägt worden“, sagt er. „Ein geschlossenes Industrieareal wird sich
zukünftig für die Bürgerinnen und Bürger öffnen. Leben und Arbeiten finden
eine sinnvolle Verbindung und es wird eine attraktive soziale Infrastruktur
geben.“
In einem Bürgerdialog, der dem Wettbewerb vorangegangen war, waren zuvor
die Wünsche erfragt worden. In Onlineforen, aber auch in einer
Bürgerversammlung waren dazu fünf Themenblöcke gebildet worden: Urbanes
Leben, innovative Mobilität, nachhaltiger Campus, öffentlicher Raum und
neue Arbeitswelten. „Die geplante enge Verknüpfen von Wohnen und Arbeiten“,
heißt es im Auswertungsbericht, „ermöglicht aus Sicht der Teilnehmer*innen
Raum für einen Siemens-Kiez, der neue Lebens- und Arbeitsstile
unterstützt.“
Wichtig war den Anwohnerinnen und Anwohnern aber auch die verkehrliche
Anbindung. Hier ist nun das Land Berlin in der Pflicht, das zugesagt hat,
die 1980 stillgelegte Siemensbahn bis zum S-Bahnhof Gartenfeld
wiederzubeleben. Das könnte ab 2026 der Fall sein. Unklar ist noch, ob die
S-Bahntrasse weiter nach Hakenfelde geführt wird, um die neuen Wohngebiete
an der Havel anzuschließen.
## Eng und kleinteilig
Die Geschwindigkeit, von der sowohl der Regierende Bürgermeister als auch
Siemens sprechen, ist tatsächlich erstaunlich für Berliner Verhältnisse.
Erst vor gut einem Jahr, Ende 2018, hatte Siemens angekündigt, einen Campus
in Berlin errichten zu wollen. Für das Projekt hatte die Senatskanzlei
eigens eine Stabsstelle eingerichtet. Mit dabei ist auch der ehemalige
Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner, der nun „Beauftragter für die
Koordinierung größerer Stadtentwicklungsprojekte“ ist. Kirchners Job ist
unter anderem die Koordination aller Beteiligten bei der
Wiederinbetriebnahme der Siemensbahn.
Aber auch so ging bislang fast alles reibungslos. Im August wurden 18
Architekturbüros aufgefordet, sich am städtebaulichen Wettbewerb zu
beteiligen. Im Dezember hat Stadtentwicklungssenatorin Lompscher den
Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan verabschiedet. Nachdem der
Siegerentwurf nun ausgewählt ist, folgen im Frühjahr die
Architekturwettbewerbe für die einzelnen Gebäude.
Fast demütig präsentierte sich am Mittwoch der Architekt Markus Penell von
Ortner & Ortner. „Die Stadt von morgen ist schneller da als man denkt, und
dann ist sie auch schon wieder die Stadt von gestern“, sagte er. „Doch das
hat Siemens ja auch schon vor hundert Jahren erlebt.“
Dennoch ist das Label „Stadt von morgen“ nicht ganz aus der Luft gegriffen.
Anders als die künstliche Vergnügungsstadt rund um den Mercedes-Benz-Platz,
wird die Siemensstadt eine gemischte Stadt sein, in der gelebt, produziert
und geforscht wird. Und auch gegenüber der Wissenschaftsstadt Adlershof hat
die Siemensstadt einen Vorteil. Die Mischung von Wohnen und Arbeiten ist
enger und kleinräumiger.
Wird dann auch noch die Verbindung zwischen Siemensstadt und der Urban Tech
Republic TXL geschlossen, die auf dem Gelände des Flughafens Tegel
entstehen soll, ist Spandau nicht mehr länger graue Maus, sondern Berlins
Boombezirk.
9 Jan 2020
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Spandau
Siemens
Michael Müller
Prenzlauer Berg
Anja Karliczek
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Kalle Ruch
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