| # taz.de -- Kritik an Radwege-Ausbau: Vor Gericht gerollt | |
| > Was tun gegen den lahmen Ausbau der Radinfrastruktur? Der Verein Changing | |
| > Cities erprobt eine neue Taktik: einfach mal die Senatsverwaltung | |
| > verklagen. | |
| Bild: Kein Zuckerschlecken: Rad fahren auf der Schönhauser Allee | |
| Berlin taz | Sechs Jahre Mobilitätsgesetz – aber [1][beim Ausbau der | |
| Radinfrastruktur kommt nichts voran]? Weil der Verein Changing Cities bei | |
| seiner jüngsten Jahresbilanz zu genau diesem Schluss gekommen ist, wollen | |
| die stadtbekannten AktivistInnen jetzt andere Saiten aufziehen. Von ihnen | |
| koordiniert und vertreten durch einen Rechtsanwalt, haben mehrere | |
| radfahrende BerlinerInnen förmliche Anträge an die Senatsverkehrsverwaltung | |
| gestellt: Fünf Abschnitte von Hauptverkehrsstraßen sollen mit geschützten | |
| Radstreifen ausgestattet werden. Weist das Haus von Senatorin Manja | |
| Schreiner (CDU) die Anträge ab, soll vor dem Verwaltungsgericht dagegen | |
| geklagt werden. | |
| „Uns ist der Geduldsfaden gerissen“, teilt Changing Cities mit. Nicht | |
| einmal 5 Prozent des vorgesehenen Radnetzes seien bislang fertiggestellt. | |
| Weil das Fehlen sicherer Infrastruktur besonders dort ins Gewicht fällt, wo | |
| der Verkehr besonders gefährlich ist, wurden für den aktuellen Vorstoß fünf | |
| Straßenabschnitte ausgewählt, die zu den Berliner Unfallschwerpunkten | |
| zählen. Konkret geht es um Teile der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg, | |
| der Neuköllner Hermannstraße, der Lichtenberger Treskowallee, der | |
| Kaiser-Friedrich-Straße in Charlottenburg und der Leipziger Straße in | |
| Mitte. | |
| „Wenn die Politik nicht in der Lage ist, uns Bürger*innen im Verkehr zu | |
| schützen, müssen wir reagieren“, findet Changing-Cities-Vorstandsmitglied | |
| Paul Jäde. „Der Ball liegt jetzt bei Frau Schreiner.“ Deren | |
| MitarbeiterInnen fanden am Donnerstag in ihrem Posteingang fünf mehrseitige | |
| Schreiben der Lichtenberger Kanzlei Leonhardt, die jeweils die | |
| „verkehrsrechtliche Anordnung auf Errichtung von geschützten | |
| Radfahrstreifen“ oder aber „hilfsweise eine vergleichbare | |
| verkehrsrechtliche Anordnung“ beantragen, „um den Radverkehr an dieser | |
| Stelle ausreichend zu schützen“. | |
| Diese knappe Forderung wird dann ausführlich begründet. Im Fall der | |
| Schönhauser Allee etwa führt Anwalt Leonhardt auf, dass der vorhandene | |
| bauliche Radweg lediglich 1,50 bis 1,60 Meter breit ist und damit den | |
| aktuell gültigen Mindestbreiten zum sicheren Überholen nicht genügt. | |
| Gleichzeitig komme es zu vielen Konflikten mit dem umfangreichen Fußverkehr | |
| auf dem Gehweg. Die Benutzungspflicht des Altradwegs ist auch längst | |
| aufgehoben, allerdings sei das Fahren auf der Fahrbahn – bei werktäglich | |
| bis zu 22.000 Pkws und bis zu 5.600 Lkws – für die 5.000 bis 10.000 | |
| Radfahrenden (die Zahl schwankt jahreszeitlich stark) sehr riskant. | |
| ## Nur 700 Meter umgebaut | |
| Zwischen 2018 und 2022 habe es laut Unfallstatistik auf beiden | |
| Fahrtrichtungen des Abschnitt insgesamt 37 verletzte Radfahrende gegeben, | |
| davon 2 schwer verletzte. Der Forderung der Pankower BVV, den rechten der | |
| drei vorhandenen Fahrstreifen dem Radverkehr zu widmen und dafür | |
| Pkw-Stellplätze zu opfern, sei die Senatsverwaltung bislang nur [2][auf | |
| einem weiter südlich gelegenen, rund 700 Meter langen Abschnitt] | |
| nachgekommen – hier wird der mit Betonelementen geschützte Radstreifen zum | |
| Teil noch fertiggestellt. | |
| Eine „zeitnahe Fortführung“ dieser sei aber „nach Aussagen der SenMKVU | |
| nicht wahrscheinlich“, argumentiert das anwaltliche Schreiben und verweist | |
| auf Äußerungen der Senatorin, man werde jetzt immer „prüfen, ob es auch | |
| Sicherheit für Radfahrer gibt, ohne sich rigoros gegen Parkplätze zu | |
| entscheiden.“ Das entspricht auch dem internen Dokument „Hinweise für die | |
| Planung von Radverkehrsanlagen“, das die Verkehrsverwaltung zur aktuellen | |
| Grundlage aller Planungen gemacht hat. | |
| Vor diesem Hintergrund leitet der Anwalt allerdings den „Anspruch auf | |
| verkehrsrechtliches Einschreiten“ seiner MandatInnen nicht vom Berliner | |
| Mobilitätsgesetz, sondern von § 45 der Straßenverkehrsordnung (StVO) ab. In | |
| dem geht es um die Errichtung von Verkehrszeichen zur Erhöhung der | |
| Sicherheit – wozu auch farblich markierte oder baulich geschützte Radspuren | |
| gehören. Er argumentiert, es bestehe eine „konkrete Gefahr für die | |
| Individualrechtsgüter der Antragsstellenden, nämlich ihr Recht auf Leben | |
| und körperliche Unversehrtheit sowie ihr Eigentumsrecht an dem Fahrrad“. | |
| Die entscheidende Frage lautet nun: Sind Einzelpersonen überhaupt | |
| berechtigt, derartige Anträge zu stellen? „Ja“, sagt Paul Jäde von Changi… | |
| Cities: Man sei nach gründlicher Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass | |
| individuelle Rechte aus der Gesetzeslage abgeleitet werden könnten. „Die | |
| StVO soll ja Sicherheit herstellen, also den Anspruch Einzelner auf | |
| körperliche Unversehrtheit schützen.“ Sprich: Es müsse quasi umgehend | |
| gehandelt werden, gegebenenfalls mit vorläufigen Maßnahmen. Lehne die | |
| Senatsverwaltung die Anträge ab, könne dagegen Widerspruch eingelegt | |
| werden. Führe auch das nicht zum Erfolg, könne man eine Klage beim | |
| Verwaltungsgericht einreichen, so Jäde. | |
| ## „Keine Rechtsprechung bekannt“ | |
| In der Verwaltung hat man da Zweifel, auch wenn sich deren HausjuristInnen | |
| den Fall noch einmal genau ansehen dürften. „Dazu, ob einzelne | |
| Verkehrsteilnehmer einen Anspruch auf geschützte Radinfrastruktur haben, | |
| ist bisher keine Rechtsprechung bekannt“, teilte Sprecherin Britta Elm der | |
| taz mit. Dagegen dürfte sprechen, „dass die Priorisierung der Anlage und | |
| die Ausgestaltung der Radwegeinfrastruktur in Umsetzung des | |
| Radverkehrsplans im Ermessen des Landes Berlin liegt“, so Elm – „und die | |
| Bestimmungen des Mobilitätsgesetzes oder der Straßenverkehrsordnung | |
| grundsätzlich im öffentlichen Interesse stehen“. | |
| Genau das sieht Jäde hier nicht gegeben: Der Ermessensspielraum der | |
| Verwaltung, etwa indem sie auf Umbauten irgendwann in der Zukunft verweise, | |
| sei angesichts der Gefahrenlagen „auf null reduziert“. Genau genommen habe | |
| die Politik ihr Ermessen schon durch die Verabschiedung des | |
| Mobilitätsgesetzes ausgeübt – und das spreche eine eindeutige Sprache. | |
| 1 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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