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# taz.de -- Die Kunst der Woche: Hagebuttentee und eingekochte Äpfel
> Pegasus Product fühlen sich bei Georg Nothelfer in Vögel ein. Silke
> Schatz spürt bei Meyer Riegger einem verschwindenden Dorf nach.
Bild: Blick in die Ausstellung „Birdcage“ von Pegasus Product
Hagebuttentee hat nicht den besten Ruf. Man kennt ihn als die lauwarme
Plörre vom Abendbrottisch im Schullandheim, als süßlich-muffiges Gesöff aus
angeschlagenen Henkeltassen. Ein „Re-Branding“, wie es ihm das Kollektiv
Pegasus Product bestehend aus den Künstlern Dargelos Kersten, Anton
Peitersen und Gernot Seeliger verpasst haben, kann er nur zu gut
gebrauchen.
Nicht zu übersehen sind die Rosenfrüchte in deren Ausstellung im Showroom
der [1][Galerie Georg Nothelfer]. Als Motiv wie als Objekt. In einem hübsch
designten Booklet etwa, das von einer jener angesagten Naturkosmetikfirmen
stammen könnte, wird für sie geworben, samt Heilsversprechen und
überinszenierter Fotos. Von einem bespoke Hagebuttentee der
pseudofranzösischen Marke „Cage d’Oiseaux“, „wild-gewachsen und
hand-gepflückt“, voller „Sphäroider Stammzellen Vitamine“ ist da die Re…
Einige Elemente des irrwitzigen Narrativs, das Pegasus Product sich
ersponnen haben, sind damit bereits erwähnt. Um die wahre Bedeutung der
Längen- und Breitengrade, die vogelkäfigartig den Globus umspannen, geht
es, um kugelförmige Aliens, Genmanipulation, Vögel, Rotationsachsen von
Planeten, das Klima. Im Grunde um alles. Eine hanebüchene Story ist es, die
spaßig wirkt, aber auch gruselig. Echte Verschwörungstheorien funktionieren
schließlich ähnlich.
„Cage d’Oiseaux“, also „Vogelkäfig“ heißt die Schau und in einem eb…
solchen, nur in größerer Dimension, könnte man sich dort wähnen: Der
Fußboden ist übersät mit Sonnenblumenkernschalen, Zeitungspapier liegt
herum, Fußringe in Menschengröße gibt es, Meisenknödelartiges,
Sitzgelegenheiten für die passende Haltung, Gitter aus alten Wäscheständern
und durch eine durchbrochene Wand ragt eine Stange für Flugversuche.
Lange schon arbeiten Pegasus Product mit dem, was sie auf der Straße so
finden. Aus kaputten Möbeln aus Pressspan und billigem Plastik zimmern sie
Objekte zusammen, oft zu frankensteinartigen Verwandten von
Designklassikern, zum „Unbequeames Chair“ etwa. Auch esoterisches
Geschwurbel und dessen Kapitalisierung treibt Pegasus Product schon länger
um. In ihrem Vogelkäfig treiben sie beides erneut auf die Spitze. Nach dem
Ausstellungsbesuch braucht man definitiv einen Becher Hagebuttentee.
Bespoke oder nicht.
## Den Forst erforschen
Keine Hagebutten, dafür aber Äpfel in Einmachgläsern gibt es bei [2][Meyer
Riegger] zeitgleich zu sehen. Die Früchte stammen aus dem Dorf Manheim, das
sich nahe des Hambacher Braunkohletagebaus befindet, eine 1000 Jahre alte
Ortschaft, die demnächst weichen muss. Die Bagger werden die Reste dieses
Jahr platt machen, über zehn Jahren dauert die Umsiedelung schon an. Die
Kölner Künstlerin Silke Schatz hat die Äpfel auf verwilderten
Streuobstwiesen in dem fast schon verschwundenen Ort geerntet und
eingekocht.
Eingesammelt hat sie dort im Rahmen ihres Langzeitprojektes „Manheim
calling“ noch einiges mehr. Sie hat Baumstämme mit Ton abgeformt, so dass
sich innen die Rinde, außen die Abdrücke ihrer formenden Finger abzeichnen.
Scherben von Alltagsgeschirr hat sie aufgelesen und für die Ausstellung
„Vanishing point“ in einer Vitrine verteilt, als handle es sich um
historische Fundstücke. Eine ganze Bushaltestelle hat sie nachgebaut.
Was für ein Bild: ein künstliches Wartehäuschen, an dem nie irgendein
Verkehrsmittel halten, von wo es nie irgendwo hingehen wird. In
Originalgröße steht die Haltestelle in der Galerie, wird dort zur
Hängefläche für einen Teil ihrer Cyanotypen. Mit jenem fotografischen
Druckverfahren hat sie vor allem Pflanzen abgebildet, die in Manheim
wuchern. Denn nicht nur das menschliche Leben, das in Manheim immer weniger
vorzufinden ist, sondern vor allem auch die Vegetation, die Natur, die sich
den Boden zurückerobert hat, ist es, woran sich die Künstlerin annähert.
Zart, fast malerisch wirken die in unterschiedlich intensiven Blautönen
gehaltenen Cyanotypen, beinahe wie Skulpturen wiederum riesige Disteln, die
Schatz mit Farbe angesprüht hat. Momentaufnahmen sind die Exponate
allesamt, Anfang und Ende haben sich in sie bereits eingeschrieben. Der
politische Konflikt, die Auseinandersetzung um den Kohleausstieg, er
schwingt zweifellos mit, subtil und poetisch erzählt die Künstlerin aber
auch vom Wandel und der Vergänglichkeit des Lebens an sich.
27 Jan 2024
## LINKS
[1] https://www.galerie-nothelfer.de/de
[2] https://meyer-riegger.de/en
## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
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