Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Forscher über Drogenhandel in Ecuador: „Das nennt man Kakerlaken…
> Ecuadors Präsident Daniel Noboa will mit dem Militär die Drogenbanden
> bekämpfen. Das wird nicht gelingen, sagt Sozialwissenschaftler Fernando
> Carrión.
Bild: Militär auf den Straßen in Quito: Soldaten durchsuchen eine Frau im Vie…
taz: Herr Carrión, warum explodiert die Gewalt in Ecuador?
Fernando Carrión: Man muss dafür zeitlich etwas zurückschauen. Es gibt zwei
Schlüsselmomente. Einer ist der [1][„Plan Colombia]“, der 1999 von den USA
und Kolumbien unterzeichnet wurde und die Drogenkartelle mit Militär
bekämpfte. Deswegen strukturierten sie sich um. Vorher gab es das
Medellín-Kartell von [2][Pablo Escobar] und das Cali-Kartell. Sie
kontrollierten den gesamten Prozess der Kokainproduktion: den Kokaanbau,
den Transport in die USA und den Verkauf dort. Nach 1999 änderte sich das.
Es entstanden die von der US-Drogenbehörde „kriminellen Banden“ in
Kolumbien, die sich auf bestimmte Teile des Drogengeschäfts
spezialisierten. Das Drogengeschäft wurde arbeitsteilig. Außerdem hat sich
der Drogenhandel internationalisiert. Das nennt man den Kakerlakeneffekt.
Man bekämpft das Ungeziefer konzentriert, und danach taucht es überall auf.
Ab circa 2006 wurde ein großer Teil der Kokainproduktion in andere Länder
wie Ecuador und Venezuela verlagert.
Ecuador ist doch kein Produktionsland für Kokain, sondern nur ein
Transitland, oder?
Das behauptet sogar die ecuadorianische Polizei. Aber das ist seltsam,
denn sie selbst heben die Drogenlabore im Land ja aus. Im Jahr 2000 führt
Ecuador den [3][Dollar als Landeswährung] ein. Seither ist es ein
bevorzugtes Land für Geldwäsche, und von diesem Moment an beginnt es Kokain
zu produzieren und zu transportieren. Ecuador betritt also den Raum des
internationalen Drogenhandels als Konsequenz der US-Militärstrategie „Plan
Colombia“.
Und was ist der zweite Schlüsselmoment?
9/11. Nach den Terroranschlägen erklären die USA den Krieg gegen drei
Feinde: Terroristen, Migranten und Drogenhändler. Und sie riegeln den
Seeweg und Luftweg für Drogen nach Florida ab. Dadurch wird die Grenze nach
Mexiko wichtig. Die [4][mexikanischen Kartelle] treten auf den Plan und die
internationale Arbeitsteilung der Narcos beginnt. Einige Gruppen
kontrollieren den Anbau in Kolumbien, Peru und Bolivien, andere die
Produktion in vielen Ländern und andere übernehmen andere Aufgaben. Ich
nenne das ein globales kriminelles Netzwerk, ein transnationales
Unternehmenskonglomerat. Ein Beispiel dafür ist das Sinaloa-Kartell, das in
51 Ländern der Welt an 3.700 Unternehmen beteiligt ist. Während früher
Pablo Escobar oder Rodríguez Gacha alle Aktivitäten des Drogenhandels in
der Hand hielten, gibt es heute Gruppen in Costa Rica und Guatemala, in
Mexiko, Peru und so weiter. Was gerade in Ecuador passiert, ist nicht
isoliert von all dem, sondern ein Teil davon.
In Ecuador existieren laut Regierung [5][22 kriminelle Gruppen], die für
die Kartelle arbeiten. Wie mächtig sind sie?
Ich schätze, diese Gruppen haben 50.000 Mitglieder. Dem stehen 38.000
Soldaten und 60.000 Polizisten gegenüber. Das Verhältnis ist also etwa 1:2.
Am Wichtigsten ist ihr Einfluss in der Gesellschaft. Diese Gruppen sind
einer der größten Arbeitgeber für junge Leute. 50.000 Menschen bekommen
praktisch Gehalt von ihnen für Erpressung, für Morde, für Botendienste,
Entführungen, Drogenverkauf.
Wie groß ist der Einfluss der Banden auf den Staat?
Sie unterwandern durch Korruption und Einschüchterung staatliche
Institutionen. Aber wichtiger ist der ökonomische Einfluss. Der Umfang der
Geldwäsche in Ecuador beträgt etwa 3,5 Milliarden Dollar, knapp 3,5 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts. Wahrscheinlich ist die ecuadorianische
Wirtschaft wegen dieser Drogengelder nach der Pandemie nicht völlig
abgestürzt. 3,5 Milliarden Dollar müssen in den legalen Markt investiert
werden – von Luxustourismus wie Reisen nach Galapagos bis zu Autohäusern.
Große Unternehmen bekommen billige Kredite – und werden damit Teil der
kriminellen Strukturen. Die legale Wirtschaft ist unterwandert.
Also hat die Regierung kein Interesse daran, die Geldwäsche zu bekämpfen?
Nein, angesichts der schwachen ecuadorianischen Wirtschaft kann die
Regierung sich das nicht leisten. Und das gilt für ganz Lateinamerika. Ohne
die circa 400 Milliarden Dollar, die die globale Kriminalität pro Jahr zur
Wirtschaft in Lateinamerika beisteuert, würden manche nationalen Ökonomien
zusammenbrechen.
[6][Präsident Daniel Noboa] will das organisierte Verbrechen mit dem
Militär besiegen. Kann das funktionieren?
Noboas Akzeptanz nach 100 Tagen Regierung war gering. Nach der [7][Flucht
von zwei Drogenbossen] ist sie weiter gesunken. Also ruft er nicht nur den
Ausnahmezustand aus, so [8][wie es sein Vorgänger Lasso 22 Mal erfolglos
getan hat], sondern geht weiter und erklärt den kriminellen Gruppen den
Krieg. Eine Mehrheit der Bevölkerung unterstützt ihn. Das Parlament stellt
sich einstimmig hinter ihn. Selbst Ex-Präsident Rafael Correa begrüßte
seine Kriegserklärung. Noboa ist jetzt der Präsident der nationalen
Einheit. Da gibt es Parallelen zu anderen Ländern. [9][Alvaro Uribe] konnte
sich in Kolumbien fast 20 Jahre als politischer Anführer halten – weil er
diesen Kriegsdiskurs bediente. Aktuell bringt El Salvadors Präsident
[10][Nayib Bukele] mit seiner militarisierten Sprache 90 Prozent der
Bevölkerung hinter sich. Autoritäre Lösungen sind im Augenblick in
Lateinamerika sehr populär. Das ist das Schlimmste: Noboas autoritäre
Antwort taugt sachlich nichts. Denn nur mit Militär besiegt man die Narcos
nicht. Aber sie verschafft ihm politisches Kapital.
Und was wäre eine Antwort auf globale Kriminalität?
Die Voraussetzung wäre eine lateinamerikanische Integration und damit eine
eigenständige, abgestimmte Politik. Denn die Alternative ist, dass die
Rolle der USA, von IWF und Weltbank immer größer wird. Sie alle
unterstützen die autoritären Politiken, noch mehr Militär, noch mehr
Waffen. Leider sind die Aussichten auf eine Integration Lateinamerikas
nicht gut.
Europa hat die USA als Hauptkonsumentenmarkt für Kokain abgelöst, auch weil
die Droge [11][Fentanyl] in den USA extrem billig ist. Gibt es noch andere
Gründe?
Wegen der Dynamik des Marktes. Ein Grund ist die Überproduktion von Kokain.
Im Jahr 2021 verdoppelten Kolumbien und Peru die Produktion fast.
Guatemala, Honduras und Paraguay stiegen in die Produktion ein. Deshalb
sank der Preis für Kokain extrem. In Kolumbien lag er im Jahr 2020 bei 980
Dollar pro Kilo, ein Jahr später nur noch bei 200 Dollar. Deshalb ändern
die kriminellen Unternehmen ihre Geschäftslogik. Sie bauen einen
Konsument*innenmarkt in Lateinamerika auf, der vorher praktisch nicht
existierte. Und sie expandieren nach Europa. Dadurch kommen kriminelle
Netzwerke aus Italien, dem Balkan und Brasilien ins Spiel. Sie heißen
überall anders, Kartelle in Mexiko, Mafia in Italien, Kommandos in
Brasilien. Aber es ist eine kriminelle globale Unternehmensstruktur, die
ihre Zuarbeit auslagert, so wie hier nach Ecuador.
In Ecuador ist die Mordrate wegen der Drogenkriminalität und den
Bandenkriegen extrem gestiegen …
Es gibt in Lateinamerika den Spruch: Im Norden machen sie das Geld und hier
sterben wir dafür. Das ist eine brutale Struktur mit absurden Auswüchsen.
Wie die „Paradiese für Kokskonsumenten“. Wer in New York eine große
Kokainparty veranstaltet, muss für ein Kilo 120.000 Dollar zahlen. Viel
Geld. Also laden sie ihre Freunde nach Montañita ein, einen Party- und
Surfort in Ecuador. Sie zahlen die Flüge und kaufen ein Kilo Kokain für
2.000 Dollar. Sie sparen viel Geld. Solche Orte gibt es überall in
Lateinamerika.
23 Jan 2024
## LINKS
[1] /Kommentar-Militaerabkommen-USA-Kolumbien/!5153338
[2] /Vor-20-Jahren-starb-Pablo-Escobar/!505388
[3] /Archiv-Suche/!1253986
[4] /Kriminalitaet-der-Drogenkartelle/!5873578
[5] /Bandenkrieg-in-Ecuador/!5982555
[6] /Wahlergebnis-in-Ecuador/!5966469
[7] /Eskalation-in-Ecuador/!5984869
[8] /Ausnahmezustand-in-Ecuador/!5950623
[9] /Kolumbiens-Ex-Praesident-unter-Hausarrest/!5705539
[10] /Kriminalitaetsbekaempfung-in-El-Salvador/!5921998
[11] /Fotografin-ueber-US-Opioidkrise/!5605942
## AUTOREN
Karin Gabbert
## TAGS
Ecuador
Drogen
Organisierte Kriminalität
Geldwäsche
Kokain
Kolumbien
Ecuador
Ecuador
Ecuador
Ecuador
Kokain
Ecuador
Ecuador
Ecuador
## ARTIKEL ZUM THEMA
Referendum in Ecuador: Freie Hand fürs Militär
Ecuadors Präsident Noboa gewinnt ein Referendum, das es ihm erlaubt,
künftig auch ohne Ausnahmezustand das Militär im Innern einzusetzen.
Krise zwischen Ecuador und Mexiko: Im Wahlkampf nicht ungelegen
Die Verletzung der mexikanischen Souveränität löst Empörung aus – in ganz
Südamerika. Doch für López Obrador hat das Ganze auch eine gute Seite.
Nach dem Sturm auf Mexikos Botschaft: Internationale Kritik an Ecuador
In Ecuador hat die Polizei den früheren Vizepräsidenten Jorge Glas in
Mexikos Botschaft festgenommen und eine diplomatische Krise ausgelöst.
Verhaftung von Ecuadors Ex-Vizepräsident: Mexiko sieht Souveränität verletzt
Der wegen Korruption gesuchte Jorge Glas wurde von der Polizei in der
mexikanischen Botschaft in Quito verhaftet. Die Beziehung beider Länder
liegt nun auf Eis.
Kampf gegen Drogenhandel: Alle Macht den Drogenfahndern?
Die deutsche Polizei soll im Kampf gegen Kartelle mit ihren Kollegen in
Südamerika zusammenarbeiten, hat Faeser vereinbart. Die Grünen haben
Bedenken.
Gewalteskalation in Ecuador: Ein Land am Abgrund
In Ecuador explodiert die Gewalt. Präsident Noboa setzt auf das Militär, um
den Bandenterror zu bekämpfen. Doch das könnte schiefgehen.
Gewalteskalation in Ecuador: 21 Schüsse am helllichten Tag
Ein Staatsanwalt, der zum Überfall auf einen TV-Sender ermittelte, wird auf
offener Straße erschossen. Der Krieg zwischen Banden und Staat eskaliert.
Gewalteskalation in Ecuador: Regierung vermeldet erste Erfolge
In Ecuador sind alle von bewaffneten Banden als Geiseln genommenen
Gefängniswärter wieder frei. Die Armee geht im ganzen Land gegen Banden
vor.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.