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# taz.de -- Energiepolitik in Taiwan: Wind machen gegen China
> Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus dem Ausland gefährdet die
> Sicherheit des Inselstaats. Die Opposition liebäugelt mit Atomkraft.
Bild: Beim Windkraftausbau gibts noch Potenzial: Gaomei Wetlands in Taichung
Berlin taz | In Taiwan hat [1][der chinakritische William Lai von der
Demokratischen Fortschrittspartei DPP die Präsidentschaftswahl klar
gewonnen]. In der Energie- und Klimapolitik dürfte sich damit der bisherige
Kurs seiner Partei fortsetzen, die bereits seit acht Jahren das
Präsidentenamt besetzt: Sie will die grüne Energie deutlich ausbauen.
Regieren dürfte gleichwohl schwieriger werden, da die Mehrheit der DPP im
Parlament verloren ging. Probleme mit einer zentralen Abhängigkeit vom
Ausland gibt es schon jetzt.
Taiwans Achillesferse ist die fossile Energie. Mehr als 97 (!) Prozent des
Energiebedarfs kommt aus Übersee. Strom stammt zu mehr als 80 Prozent noch
immer aus klimaschädlichen Brennstoffen. Der Knackpunkt: Die Insel muss
Kohle, Öl und Gas auf dem Seeweg in der Taiwanstraße einführen. Das macht
sie nach Ansicht von Expert*innen besonders anfällig für Störungen.
Immerhin 63,6 Millionen Tonnen Kohle hat Taiwan 2022 importiert, [2][vor
allem aus Australien] und Indonesien. Beträchtliche Mengen an Kohle und Gas
stammen laut Statistischem Jahrbuch auch aus Russland – ein Staat, der im
Falle einer Blockade wohl zu China halten würde. Die Volksrepublik
betrachtet die Insel vor ihrer Südküste als abtrünnige Provinz, die wieder
mit dem Festland vereinigt werden soll – notfalls mit militärischer
Intervention.
„Bereits Chinas Marineübungen rund um Taiwan könnten die Versorgungslinien
für einen begrenzten Zeitraum beeinträchtigen oder abschneiden“,
[3][schreibt Eugene Chausovsky, Analyst vom US-Thinktank New Lines
Institut, im Magazin Foreign Policy.] Selbst eine begrenzte Blockade der
Taiwanstraße könnte laut Chausovsky für die Insel verheerend sein. Die
Energiebehörde, Teil des Wirtschaftsministeriums in Taipeh, hat berechnet,
dass die Vorräte bei Erdgas derzeit nur für 11 Tage und bei Kohle für 39
Tage reichen. Beim Öl wären es demnach immerhin 146 Tage.
## Sorgen der Chip-Industrie
Der wachsende Hunger nach Energie im Land dürfte die Lage indes noch
verschärfen. Die nicht nur [4][für Taiwans Wirtschaft, sondern auch global
wichtige Chip-Industrie] klagt schon jetzt über Netzausfälle. Das größte
Halbleiter-Unternehmen TSMC verschlingt allein mehr als 6 Prozent des
gesamten Energieverbrauchs des Landes. Halbleiter stecken in jedem Computer
und Smartphone. Etwa 90 Prozent der weltweiten Spitzenfertigung stammen aus
Taiwan.
Die Klimakrise selbst wird ebenfalls zur Gefahr. 2021 sorgte eine Dürre für
Exportausfälle der Chip-Unternehmen. Diese benötigen zur Produktion viel
Wasser. „Die Folge war der Zusammenbruch der globalen Lieferketten“,
berichtet die Ökonomin Alicia Garcia Herrero. Sie forscht zur
Halbleiterindustrie und bekräftigt, Taiwan sei „gefangen in der
Abhängigkeit fossiler Energie – mangels einer wirklich besseren Option“.
Die Regierung in Taipeh hat das klima- und geopolitische
Bedrohungspotenzial erkannt. Der Plan bis 2025 lautet: 20 Prozent
Erneuerbare im Strommix, 30 Prozent Kohle, 50 Prozent Erdgas und 0 Prozent
Atomstrom. Bis 2050 soll die Insel klimaneutral sein. Doch der Grünstrom
allein kann es kaum richten: Der Ausbau von Solar- und Windkraft hinkt den
angepeilten Zielen bereits hinterher. Einem Bericht des
Wirtschaftsministeriums zufolge dürften bis 2025 tatsächlich nur gut 15
Prozent des Stroms regenerativ erzeugt werden. Ende 2023 waren erst 8,9
Prozent erreicht.
## Umstrittene grüne Projekte
Gründe für die schleppende Energiewende gibt es viele. Gebiete für
Windräder oder Solaranlagen sind umkämpft. Mal sind es Bedenken von
Fischer:innen oder Umweltrisiken von Windanlagen im Meer. An Land
verhindern meist Konflikte um Agrarflächen die Freiland-Photovoltaik.
Einmal war es der Gebietsanspruch Indigener, die nicht gefragt worden
waren, als ein Projekt geplant wurde. Hinzu kommt: Laute
Klimaschutzforderungen als Treiber von Politik und Wirtschaft gibt es in
Taiwans junger Demokratie kaum. Anders als in Deutschland existieren keine
großen Verbände, die die Klimawende pushen.
„Die Herausforderung ist: Es gibt viele NGOs, aber sie sind unglaublich
zersplittert“, berichtet Raoul Kubitschek. Als Energieberater kennt er sich
aus mit den Hürden der Energiewende. Laut ihm erschweren die Trendwende
zusätzlich „ein zu niedriger Strompreis und schlecht isolierte, stark
klimatisierte Wohnungen“. Manch ausländischer Investor bedenke auch die
Gefahr eines möglichen chinesischen Angriffs auf die Insel.
„100 Prozent Erneuerbare sind unter Taiwans Voraussetzungen nicht
realistisch“, sagt Kubitschek. Der Volkswirt leitet das Taipeh-Büro der
Ingenieursfirma Niras, die ausländischen Energieunternehmen hilft, in
Taiwan zu investieren. „Taiwan hat sehr gute Windbedingungen aufgrund der
Taiwanstraße. Zurzeit sind 5,5 Gigawatt bis 2025 schon erteilt.“ Nur mit
On- und Offshore-Wind und Solarkraft sei die Versorgung aber nicht zu
machen. „Es geht darum, eine Grundversorgung herzustellen. Also müssen
weiter Gaskraftwerke benutzt werden.“
Die Halbleiterbranche plädiert dafür, auch auf Atomkraft zu setzen. Zwar
ist [5][der Ausstieg bis 2025 beschlossene Sache]. Nukleare Energie macht
aber noch 6,3 Prozent der Stromerzeugung aus. Die chinafreundlichere
Nationalpartei KMT hatte im Wahlkampf auch für den Bau neuer AKW geworben,
um den Energiebedarf des Landes zu decken.
## Neue Atomdiskussion
Die Regierungspartei DPP dagegen erteilt dem eine Absage. Auch Brennstäbe
müssten wieder aus dem Ausland importiert werden, heißt es. Für die
unabhängige Energieversorgung wäre so nichts gewonnen. Und auch die
Endlagerfrage ist in Taiwan ungeklärt. Kubitschek glaubt, dass der
Atomausstieg ohnehin nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Provinzpolitiker*innen würden den Bau neuer AKW nicht zulassen.
Bleibt Taiwan nur, doch alle Anstrengungen in Erneuerbare zu investieren.
Denn die Wirtschaft gerät auch indirekt zunehmend unter Druck. Zwar ist
Taiwan auf Betreiben Chinas nicht Teil internationaler Klimaverträge. Doch
westliche Unternehmen wollen ihre Lieferketten mit Ökostrom versorgt sehen.
[6][Apple fordert seine Zulieferer auf, bis 2030 klimaneutral zu sein].
Weil der US-Konzern ein wichtiger Chip-Abnehmer ist, schärfe das durchaus
die Transformationsnot der Industrie, meint Kubitschek.
Hoffnung macht dem Firmenberater, dass die Taiwaner:innen „aus Fehlern
lernen“, etwa bei vergangenen Ausschreibungen. Im Netzausbau gebe es viel
Potenzial, ebenso im Offshore-Wind. Sprich: Taiwan muss Wind machen, um das
zu bleiben, als was es viele Menschen liebevoll bezeichnen: eine grüne
Insel.
Transparenzhinweis: Die Recherche für diesen Artikel wurde im Rahmen einer
Pressereise von Journalist Network e.V. nach Taiwan durchgeführt.
21 Jan 2024
## LINKS
[1] /Praesidentenwahl-in-Taiwan/!5985262
[2] /Klimapolitik-in-Australien/!5964125
[3] https://foreignpolicy.com/2023/07/31/energy-taiwan-semiconductor-chips-chin…
[4] /Rolle-von-Taiwans-Chipindustrie/!5867937
[5] /Taiwans-Opposition-lobt-Atomausstieg/!5118965
[6] /Konzerne-und-ihre-Klimaversprechen/!5912463
## AUTOREN
Maximilian Arnhold
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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Schwerpunkt Atomkraft
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