| # taz.de -- Diplomatie im Pazifik: Kleine Inseln in großer Geopolitik | |
| > Auf den Salomonen lassen sich die politischen Machtverschiebungen im | |
| > Pazifik von Australien und den USA hin zur Volksrepublik China gut | |
| > beobachten. | |
| Bild: Gute Geste mit Hintergedanken? Besuch eines chinesischen Hospitalschiffes… | |
| Honiara taz | Im überfüllten Hof des Spitals von Honiara, der Hauptstadt | |
| der Salomonen, warten in feucht-tropischer Hitze Mütter mit fiebrigen | |
| Kindern und Betagte mit eiternden Geschwüren. Sie warten stundenlang auf | |
| einen Arzt. Trotzdem beklagt sich niemand. Auf den Salomonen ist die Geduld | |
| stärker als der Schmerz. | |
| Im Besprechungsraum nimmt Hermann Oberli den Rapport der Nachtärzte ab. | |
| Während andere in seinem Alter schon lange im Ruhestand leben, hört der | |
| 83-jährige Schweizer Chirurg aufmerksam zu, stellt Fragen, prüft die | |
| Aussagen der jungen lokalen Ärzte. | |
| „Ein Mann war bei der Ankunft tot“, meldet die junge Chirurgin, er sei von | |
| einem Lkw gefallen. Ein anderer Patient warte nach einem Unfall mit einer | |
| Kreissäge auf den Handchirurgen. | |
| Vor drei Jahrzehnten hatte der Schweizer auf den Salomonen die | |
| Trauma-Chirurgie aufgebaut. Seither bildet er mit Hilfe anderer | |
| europäischer Fachkräfte südpazifische Ärzte aus. Es ist Hilfe zur | |
| Selbsthilfe in einem Land mit einem Pro-Kopf-Einkommen von jährlich nur | |
| etwas über 2.000 Euro. | |
| ## Ohne Spenden aus dem Ausland ginge es nicht | |
| Auch nach so vielen Jahren klagt Oberli über die mangelnden Mittel, mit | |
| denen das Spital zurechtkommen müsse. Ohne Spenden aus dem Ausland ginge es | |
| nicht. Für Oberli ist klar: Politiker sind an der Situation schuld. „Die | |
| können nach Australien reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu | |
| lassen. Das kostet enorm viel Geld.“ Das stehe dann dem öffentlichen | |
| Gesundheitsdienst nicht mehr zur Verfügung. „Man hat das Gefühl, das sei | |
| den Politikern Wurst“, so Oberli. | |
| Ein paar Straßen weiter stimmt Ruth Liloqula in einem grauen Geschäftshaus | |
| dem Arzt zu. Sie ist die lokale Chefin der Antikorruptionsorganisation | |
| Transparency International. Von Korruption seien die Salomonen ganz | |
| besonders betroffen, sagt Liloqula. Daran werde sich so schnell auch nichts | |
| ändern: „Denn China stellt das Geld zur Verfügung, das die Regierung an der | |
| Macht hält.“ | |
| Der 68-jährige Premierminister Manasseh Sogavare überraschte 2019 die USA | |
| und Australien, als er die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit China | |
| ankündigte. Davor waren die Salomonen im Pazifik die wichtigsten | |
| Verbündeten Taiwans, das dem Westen nahesteht, aber von Peking als | |
| abtrünnige Provinz Chinas betrachtet wird. | |
| Der Beschluss der Zentralregierung in Honiara auf der Hauptinsel | |
| Guadalcanal stieß zum Teil auf heftigen Widerstand. Die Nachbarprovinz | |
| Malaita rebellierte – die dortige Regierung wollte bei Taiwan bleiben. | |
| [1][2021 ging das chinesische Viertel in Honiara in Flammen auf]. | |
| ## Zeichen chinesischer Großzügkeit | |
| Man sucht nicht lange, um in Honiara Zeichen chinesischer Großzügigkeit zu | |
| finden. Geteerte Straßen, wo es bis vor Kurzem nur Schotterwege gab. Und | |
| dann das Stadion, Hauptaustragungsort der jüngsten Pacific Games, einer Art | |
| Olympische Spiele im Pazifik: Für Sogavare ist die Anlage mit 10.000 | |
| Sitzplätzen ein absolutes Prestigeobjekt. Über 80 Millionen Euro hat es | |
| gekostet – von China bezahlt. Für Oberli ist klar: „Das ist nur möglich, | |
| weil der Premier so korrupt ist. Die Chinesen bekommen alles von ihm.“ | |
| Tropenholz etwa, Fisch und Meeresfrüchte. Analysten sagen aber, Peking habe | |
| in den Salomonen und im übrigen Pazifik nicht nur ein Interesse an solchen | |
| Rohstoffen, weil diese von chinesischen Firmen ausgebeutet werden und damit | |
| zur Nahrungs- und Versorgungssicherheit Chinas beitragen können. | |
| Vielleicht noch wichtiger sei Peking die politische Unterstützung, die | |
| Kleinstaaten bieten können. „Obwohl die Länder sehr klein sind und | |
| praktisch keine Macht haben – in internationalen Organisationen wie etwa | |
| der UNO haben sie eine volle Stimme“, meint Alfred Palazzo, Professor für | |
| Kriegswissenschaften in Canberra. Auch den Bau einer chinesischen | |
| Militärbasis auf den Salomonen halten Experten noch für möglich. | |
| Kritiker meinen, Australien als pazifischer Statthalter habe es die letzten | |
| Jahre versäumt, den Kontakt zu den kleinen pazifischen Inselstaaten | |
| aufrechtzuerhalten. Es ist berechtigte Kritik – konservative australische | |
| Regierungen hatten in den letzten Jahren wenig Interesse an engen | |
| Beziehungen mit den kleinen Ländern. | |
| ## Australien ignorierte Klimasorgen der Inselstaaten | |
| Denn die Pazifikstaaten hatten Canberra mit wachsender Dringlichkeit | |
| aufgefordert, endlich gegen die [2][existenzielle Gefahr des Anstiegs des | |
| Meeresspiegels] vorzugehen. Ländern wie Kiribati und Tuvalu droht schon | |
| innerhalb von Jahrzehnten buchstäblich der Untergang. Australien als | |
| führender Kohleexporteur wird maßgeblich für die globale Klimaerhitzung mit | |
| verantwortlich gemacht. | |
| Die salomonische Journalistin Dorothy Wickham hat ein gewisses Verständnis | |
| für Australiens Haltung: „Canberra hatte genug davon, uns über Jahre mit | |
| Steuergeldern zu unterstützen. China sah die Chance und setzte sich in die | |
| Nische.“ | |
| Im Juli unterzeichnete Premier Sogavare einen [3][Sicherheitsvertrag mit | |
| Peking]. Polizisten lernen von chinesischen Instruktoren, wie sie bei | |
| Protesten mit Regimegegnern umgehen sollen. Ein Regierungskritiker in | |
| Honiara meint, „dass nach der Übernahme der wirtschaftlichen Kontrolle den | |
| Salomonen nun auch der Verlust der sozialen und politischen Kontrolle an | |
| Peking droht“. | |
| Kritik an der Regierung werde schwieriger, stellt auch Korruptionswächterin | |
| Liloqula fest. Ausländischen Medien, die kritische Fragen stellten, drohte | |
| Sogavare mit Einreisesperre. | |
| ## Wahlen gewinnen mit Pekings Hilfe | |
| Laut der Korruptionswächterin greift China vor den Parlamentswahlen auch in | |
| den demokratischen Prozess ein. Peking unterstütze in den Provinzen | |
| Abgeordnete mit Bargeld, um sich Loyalität zu sichern. | |
| Liloqula sagt: „Die Politiker haben die totale Kontrolle über diese | |
| Mittel.“ Sie nutzten einen Teil davon, um sich ihre Position in den | |
| Wahlkreisen zu sichern – und damit wohl auch die Wiederwahl der | |
| Sogavare-Regierung. Was mit dem Rest des Geldes geschehe, darüber könne nur | |
| spekuliert werden. Im September 2019 nahm auch Kiribati Beziehungen zu | |
| China auf und brach die zu Taiwan ab. | |
| 16 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Urs Wälterlin | |
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