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# taz.de -- Wo bleibt denn jetzt das Positive?: Grauer Himmel
> Das Jahr ist erst einige Wochen alt, aber es ist schon ganz und gar
> verdreckt. Es gibt genug Gründe für Niedergeschlagenheit. Aber auch für
> Zuversicht.
Bild: Blick auf Hamburg als Blick ins Grau
Wie sieht die Stadt aus, an diesem 15. Januar 2024, was ist meine
persönliche Aussicht? Grauer Himmel, nackte Bäume, Autos, Müll. Jeden
Morgen die Nachrichten. Am Abend Fernsehen. Niedergeschlagenheit.
Meine Freundin fuhr mit der S-Bahn und eine Frau bat sie um Geld. Meine
Freundin griff in die Tasche und gab ihr das, was sie fand. Die Frau
spuckte drauf, warf es ihr ins Gesicht und beschimpfte meine Freundin.
Meine Freundin war niedergeschlagen.
Was noch? Unsere Mülltonnen sind voll, die Leute schmeißen alles daneben.
Am Abend Fernsehen, am Morgen die Nachrichten, Niedergeschlagenheit, und
immer so weiter.
Manche Leute [1][haben gute Vorsätze für das neue Jahr]. Ich habe mir
vorgenommen, alles langsamer zu machen. Ich bin eigentlich schon langsam,
aber noch nicht langsam genug. Ich finde das einen guten Vorsatz.
## Die Möglichkeit, laut zu sein
Vergangene Woche war ich auf einer Demonstration vor dem Hamburger
AfD-Büro. Es gab mir die Möglichkeit, laut zu sein. In den AfD-Fenstern
brannte manchmal Licht, dann wieder nicht. Sahen sie aus ihren Fenstern auf
uns nieder? Oder standen sie hier vielleicht zwischen uns? Oder saßen sie
zu Hause und sahen fern?
Das Jahr ist erst zwei Wochen alt, aber es ist schon ganz und gar
verdreckt. Auf den Straßen, vor unseren Müllcontainern, in den Nachrichten.
Ein verdrecktes Land, Hass und Dreck und Angst. Ist das jetzt eine positive
Kolumne zum Jahresbeginn, die irgendjemandem etwas schenkt, Katrin?
Ich reiße mich zusammen und überlege mir ein paar schöne und nützliche
Worte. Ich wünsche allen ein gutes neues Jahr! Ein gutes, neues Jahr, in
dem wir nicht alleine sind, nicht alleine bleiben. Ich möchte mich
zuwenden, möchte unterstützen, zuhören, aufmerksam sein, mutig.
Niedergeschlagenheit ist in Ordnung. Ich bin niedergeschlagen, aber ich bin
nicht gelähmt, niedergeschlagen, aber aktiv, das geht doch.
## Der Anfang ist kein richtiger Anfang
Einige Tage hatten wir Frost und Schnee. Und da waren sie Sonntagmittag
alle draußen, die ganzen Eltern und Kinder und Hunde, und sie liefen durch
den Schnee und die Sonne schien und alle machten einen guten Eindruck. Die
Hunde sprangen rum, waren ganz außer sich, vergnügt. Die Kinder freuten
sich und waren auch vergnügt. Sonnenstrahlen auf meiner Netzhaut, die Stadt
glitzerte und strahlte. Da war keine Niedergeschlagenheit, das war auch das
neue Jahr, Schönheit und Melancholie, es gehört zusammen.
Wir wünschen uns vielleicht alle einen Anfang, der rein ist. Damit wir
hoffen können, dass alles gut wird. Aber der Anfang ist ja kein richtiger
Anfang, sondern eine Fortführung des Alten. Wir sind ja nicht nackt, nicht
gerade geboren.
Meine Straße ist kurz und hat dies und das, einen Sportplatz, Bäume, Autos,
zwei Büros, viele Wohnungen, viele Menschen. Manche Menschen habe ich noch
nie gesehen. Andere sehe ich so gut wie jeden Tag. Ich weiß sehr wenig oder
gar nichts über die meisten von ihnen. Das ist die Stadt. Wir wohnen hier
und kennen uns nicht und wir wohnen hier und haben uns angefreundet, feiern
zusammen Silvester und wissen schon, was uns bedrückt, sind uns nah.
Die Stadt ist alles. Man kann hier alles finden. Man kann verzweifeln, kann
alleine bleiben. Wer ich hier bin, in diesem neuen Jahr, in dieser alten
Stadt, in meiner Straße wird sich noch herausstellen. Aber es ist nicht
alles Schicksal, ich bin nicht gelähmt und bin bereit, mich zu ändern,
jeden Tag, ich bin bereit, etwas zu tun. Wir brauchen Mut und Zuversicht,
trotz allem. Und schon wieder schneit es.
21 Jan 2024
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## AUTOREN
Katrin Seddig
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