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# taz.de -- Jeden Morgen eine Runde durch den Park: Ab wann sagst du Hallo zu F…
> Wer joggen geht, sieht immer gleiche morgendliche Parkgruppen. Irgendwann
> grüßt man sich. Oder lieber nicht? Unsere Kolumnistin sucht eine Antwort.
Bild: Klarer Fall: Kein Mensch da beim morgendlichen Joggen – kein Morgengru�…
Es ist wie jedes Jahr im Sommer – plötzlich sind alle weg, außer mir. Die
Stadt ist wie ausgeleert, keine Familien, kaum Teenager, außer den
Tourist*innen am Hafen natürlich. Und zurück bleiben ich und die
Rentner*innen, die vielleicht im Herbst verreisen oder nirgendwo mehr hin.
Aus dem Drang heraus, etwas in dieser entvölkerten Stadt anzufangen, habe
ich wieder mit dem Laufen begonnen. Es kam daher, dass ich im Fernsehen
eine Sendung über den Nutzen von Sport sah. Nicht dass ich von dem Nutzen
von Sport noch nichts gehört hätte, aber nun weiß ich: Kranke Mäuse, die in
einem Laufrad rumrennen, kommen besser damit zurecht als die, die kein
Laufrad benutzen.
Mein Gott, auch ich möchte zu der Gruppe der weniger kranken Mäuse gehören
und drehe nun früh im Park meine Runden. Jeden Morgen, bevor ich das Tor
passiere, treffe ich auf dieselben Menschen. Ich komme auf sie zu, da
krächzt einer, „Moin, Rosi, kannste wieder laufen, oder was!“, Räuspern,
Husten, Spucken, sie sind alle noch ganz schrecklich müde, man sieht es
ihnen an, aber: „Nützt ja nix. Muss ja.“ Natürlich begrüßen sie nicht m…
sondern eine, die gerade hinter mir mit ihrem Gehwagen angeschlurft kommt.
Just kommt mir der Gedanke, ob auch ich irgendwann anfangen werde, diese
Menschen zu grüßen, wie man das eben macht mit Leuten, denen man regelmäßig
begegnet, durch die man täglich hindurchjoggt. Natürlich tue ich das nicht,
weil ich finde, dass sie zu einer anderen Gruppe gehören als ich. Ich
gehöre zu der Gruppe derer, die im Park morgens ihre Runden drehen. Es gibt
noch die Gruppe, die ein Baby vor sich geschnallt herumträgt. Es gibt die,
die bei der Stadt angestellt ist und die Mülleimer leert. Und es gibt die
ganz frühe Tai-Chi-Gruppe.
Das sind im Großen und Ganzen die frühmorgendlichen Parkgruppen, eine
Stunde später kommen dann schon die Rentner*innen, die nichts tun, als in
der Sonne sitzen; die Erzieher*innen mit ihren Krippenwagen; bald dann
schon die Ersten, die eine Decke ausbreiten, und außerhalb gibt es
natürlich noch unendlich viele mehr, Millionen, würde ich meinen.
## Menschen, die sich täglich begegnen
Die Gruppe, die sich morgens vor dem Park trifft, ist eine Gruppe von
Süchtigen. Natürlich sind sie mehr als das, es ist nur eine Facette ihrer
Persönlichkeit, die, die mir an ihnen sichtbar wird. Sie beachten mich gar
nicht, sie sind ganz aufeinander fokussiert, während ich zwischen ihnen
hindurchjogge, so als wären nur sie selbst füreinander wichtig, und auch
ich versuche ihre Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken, sondern ihren
Pulk unsichtbar zu passieren.
Und dennoch denke ich täglich darüber nach, sie eines Tages zu grüßen, als
wären wir Menschen, die sich täglich begegnen, die sich auf diese Weise ja
auch irgendwie kennen, denn schließlich zeigen wir uns, in diesem kleinen
Ausschnitt, auch jeden Tag ein bisschen ein anderes Bild von uns, ein
anderes Äußeres, eine andere Stimmung.
Und ich mache mir Gedanken über sie: Warum stehen sie immer hier, vor dem
Park, warum treffen sie sich nicht drinnen? Mögen sie sich, sind sie
befreundet oder verbindet sie nur ein Interesse? Wie würden sie reagieren,
wenn ich plötzlich damit anfinge, sie zu grüßen? Was ist das überhaupt für
eine merkwürdige gesellschaftliche Vereinbarung, die uns einander grüßen
lässt oder eben nicht?
Ich bin verunsichert und frage mich, woher dieser plötzliche Grüßdrang
kommt. Liegt es daran, dass sie auch noch hier sind, mit mir, und nicht auf
den Kanaren oder am Comer See?
31 Jul 2023
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Joggen
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