| # taz.de -- Kein Frieden im äthiopischen Tigray: Vergessen von der Welt | |
| > Bis Ende 2022 tobte in der äthiopischen Region Tigray ein mörderischer | |
| > Krieg. Überlebende und Vertriebene sind verloren, zugrundeliegende | |
| > Konflikte ungelöst. | |
| Die Angst, sagt der Mann, klebe an ihm wie ein Magnet. Sie verfolge ihn bis | |
| in seine Träume. Langsam schreitet er über das saftige Gras, durch die | |
| kleinen Baracken der Schule, in denen heute statt der Schulkinder die | |
| Vertriebenen des Krieges leben. „Tod dem Tigray, vorwärts Äthiopien“ steht | |
| an einer Wand, daneben sind Elefanten und Zebras aufgemalt, das kleine | |
| Einmaleins, ein Globus – sie alle durchlöchert von den Kugeln der Gewehre. | |
| Hailu Abreha* ist ein kleiner Mann, 48 Jahre alt, kahlköpfig und in einem | |
| dunklen Polohemd, das nur notdürftig von den Nähten zusammengehalten wird. | |
| Er führt an diesem Nachmittag im Herbst, ein Jahr nach Kriegsende, über den | |
| Schulhof am Rande der Stadt Adi Daero im äthiopischen Hochland. Seine | |
| Stimme zittert kurz, als er zu erzählen beginnt, dann wird sie flüssig, | |
| seine Worte werden präzise. | |
| Bis heute, sagt er, könne er die Tritte und Schläge der Soldaten nicht | |
| vergessen, die er einst seine Freunde und Nachbarn nannte. Wie sie ihm | |
| befahlen, niederzuknien, wie er hinter sich den Abzug eines Gewehrs spannen | |
| hörte und dachte, dass sein Leben nun zu Ende sei. Und wie die Soldaten ihm | |
| schließlich einfach nur befahlen, nie wieder zurückzukehren – unter | |
| Gelächter, als sie seine Todesangst sahen. | |
| „Was ist das für ein Frieden“, sagt er, „wenn sie noch immer über unser | |
| Land herrschen?“ | |
| Der Krieg in der nordäthiopischen Region Tigray war einer der blutigsten | |
| Konflikte der jüngeren Geschichte. Zwei Jahre lang kämpfte die Armee von | |
| Äthiopiens Regierung unter Ministerpräsident Abiy Ahmed gegen die | |
| Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die Machthaber in der gleichnamigen | |
| Region. Es ging um einen Machtkonflikt zwischen Zentralismus und | |
| Föderalismus. | |
| Abiy wollte die Macht im Land zentralisieren, die TPLF dagegen fürchtete um | |
| ihre politische Stellung im Tigray. Als im November 2020 der Konflikt | |
| eskalierte, schickte Abiy seine Armee in die Region. Unterstützung erhielt | |
| er aus dem Nachbarland Eritrea und dem äthiopischen Bundesstaat Amhara. Für | |
| den eritreischen Diktator Isaias Afewerki ist die TPLF seit dem | |
| äthiopisch-eritreischen Krieg von 1998 bis 2000 ein Erzfeind; der | |
| Bundesstaat Amhara erhebt seit Jahrzehnten Anspruch auf Gebiete im | |
| westlichen Tigray. | |
| In dem fast zweijährigen Krieg starben schätzungsweise bis zu 600.000 | |
| Menschen. Im November 2022 unterzeichneten die Konfliktparteien im | |
| südafrikanischen Pretoria einen Friedensvertrag. Doch bis heute sind weite | |
| Teile der Region, darunter Westtigray, ein Gebiet so groß wie | |
| Schleswig-Holstein, von amharischen Milizen besetzt. Mehr als eine Million | |
| Menschen können nach UN-Angaben nicht in ihre Heimat zurückkehren. | |
| Untergebracht in provisorischen Flüchtlingslagern, ehemaligen Schulen, | |
| Kasernen und Fabriken überall in Tigray leben sie bis heute in einer Art | |
| Schwebezustand. | |
| [1][Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International] sowie die | |
| Vereinten Nationen berichten zudem seit Kriegsende immer wieder von | |
| Kriegsverbrechen und Vertreibungen aus den noch besetzen Gebieten. So auch | |
| im Fall von Hailu Abreha, der der ethnischen Gruppe der Tigray angehört. | |
| Einen Monat nach dem Friedensabkommen wurde er gewaltsam aus seiner Heimat | |
| vertrieben. | |
| Zusammen mit einem Freund und Geschäftspartner, der dem Volk der Amhara | |
| angehörte, betrieb er ein Restaurant in der Stadt Humera. Sie züchteten | |
| ganzjährig Ochsen und Stiere, trockneten das Fleisch nach der Schlachtung | |
| und bereiteten es in der eigenen Küche zu. „Das Restaurant war im ganzen | |
| Land bekannt“, sagt Abreha. Sogar aus der Hauptstadt Addis Abeba kamen | |
| Gäste, um bei ihnen zu essen. Kurz vor Ausbruch des Krieges wollte er ein | |
| zweites Restaurant eröffnen, um seinen Kindern ein Studium in der | |
| Hauptstadt zu ermöglichen. Das war sein Traum. | |
| In der knapp 20.000 Einwohner zählenden Gemeinde Baeker in Westtigray | |
| hätten viele seiner Nachbarn zu den Amhara gehört. Für ihn hätte es nie | |
| einen Unterschied zwischen den Volksgruppen gegeben. „Wir haben uns | |
| toleriert“, sagt er. Doch als im November 2020 der Krieg ausbrach, habe | |
| sich die Stimmung in seinem Dorf und in der ganzen Region schlagartig | |
| verändert. | |
| Hasstiraden und Beleidigungen hätten um sich gegriffen. Die Tigrayer seien | |
| als „Ratten“ und „Ungeziefer“ beschimpft worden. Nachbarn und Freunde | |
| wurden plötzlich zu Feinden, erzählt Abreha. Wenige Tage später seien die | |
| Fano-Milizen, eine paramilitärische Bürgerwehr der Amhara, zusammen mit der | |
| äthiopischen Armee in das Dorf eingefallen. | |
| Abreha erinnert sich noch genau – es sei wie der Einbruch der Hölle | |
| gewesen. Die Soldaten gingen von Tür zu Tür und erschossen jeden | |
| erwachsenen Mann, den sie verdächtigten, die tygrischen Truppen zu | |
| unterstützen. „Wir werden euch auslöschen“, brüllte einer der Soldaten. … | |
| plünderten die Vorräte, stahlen Kühe und Saatgut. Dann brannten sie die | |
| Häuser nieder. | |
| Abreha floh mit seiner Familie in die Berge. Die Überlebenden erzählten ihm | |
| später, wie überall auf den Straßen die Toten in ihrem eigenen Blut lagen, | |
| wie die Frauen aus der Nachbarschaft, die sich nicht rechtzeitig in | |
| Sicherheit bringen konnten, von den Soldaten vergewaltigt wurden. Erst eine | |
| Woche später zogen die Soldaten ab. Die Bewohner trauten sich nur langsam | |
| zurück, die Stimmung blieb angespannt. „Wir lebten inmitten von Feinden“, | |
| sagt er. | |
| Vor einer kleinen Schulbaracke, deren Fenster mit weißen Planen verhängt | |
| sind, bleibt Abreha schließlich stehen und zieht einen blauen Plastikstuhl | |
| heran. Sein Blick schweift kurz über die zerschossene Mauer des Gebäudes, | |
| dann über das Schulgelände. Kinder in schmutziger, teils zerrissener | |
| Kleidung schreien durcheinander. | |
| Etwas abseits ringt eine Gruppe von Frauen, alle in Weiß gekleidet, mit der | |
| Pumpe eines kleinen Steinbrunnens. Vom Grundwasser bekämen die Menschen im | |
| Lager regelmäßig Durchfall, sagt er. Es fehle an ausreichend frischem | |
| Wasser und Lebensmitteln, bisher lebten sie vor allem von Spenden aus der | |
| Stadt. | |
| ## „Sie wollen unser Land“ | |
| Heute, sagt er, hat er keinen Zweifel mehr daran, dass es den amharischen | |
| Milizen um Habgier und Raub ging. Der Boden im westlichen Tigray sei viel | |
| fruchtbarer als im restlichen Teil der Region. „Sie haben unsere Traktoren | |
| mitgenommen, unsere Vorräte geplündert, die Maschinen aus den großen | |
| Fabriken abtransportiert“, erzählt er, „sie wollten unser Land.“ | |
| Der Streit um das Gebiet im äthiopischen Hochland ist tief verwurzelt: Die | |
| Amharen betrachten den Westen Tigrays seit Langem als Teil ihres Staates. | |
| Im Laufe der Geschichte wechselte die Verwaltung immer wieder zwischen den | |
| beiden benachbarten Regionen. Amhara war historisch die dominierende Region | |
| Äthiopiens, sowohl unter dem Kaiserreich als auch unter der kommunistischen | |
| Militärdiktatur nach dessen Sturz 1975. | |
| Dies änderte sich erst in den 1990er Jahren, als die damalige | |
| Rebellenbewegung TPLF aus Tigray erfolgreich die kommunistische | |
| Militärjunta Äthiopiens vertrieb und an der Spitze einer neuen Regierung | |
| ethnischen Föderalismus einführten. Sie teilten das Land nach Sprache und | |
| Ethnie in zehn Bundesstaaten auf. Das heutige Westtigray gehörte seitdem | |
| zum Bundesstaat Tigray. | |
| Einflussreiche Amhara-Akteure beanspruchen das Land jedoch mit der | |
| Begründung, es habe schon immer zu Amhara gehört. Bereits in den 1990er | |
| Jahren formierte sich eine Bewegung zur Wiederherstellung von „Welkait“, | |
| wie das Land von den Amhara oft genannt wird. Als 2018 Abiy Ahmed | |
| Ministerpräsident von Äthiopien wurde und der jahrzehntelangen Dominanz der | |
| TPLF den Kampf ansagte, gewann auch die Welkait-Bewegung wieder an Dynamik. | |
| Mit Ausbruch des Krieges zwischen Armee und TPLF um die Macht in Tigray | |
| 2020 nutzte Abiy die Gunst der Stunde, um die Unterstützung Amharas zu | |
| gewinnen und die beiden rivalisierenden Regionen gegeneinander | |
| auszuspielen. Innerhalb weniger Wochen vertrieben amharische Milizen und | |
| die äthiopische Armee die tigrayschen Kräfte und annektierten Westtigray. | |
| Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und [2][Human Rights | |
| Watch] berichteten in der Folge von zahlreichen Massakern, sexueller Gewalt | |
| und ethnischen Säuberungen durch amharische Milizen und die äthiopische | |
| Armee. Allein in den ersten Wochen des Krieges flohen Hunderttausende | |
| Menschen aus Westtigray. Auch tigrayische Truppen begingen laut Vereinten | |
| Nationen später Kriegsverbrechen, wenn auch mutmaßlich in geringerem | |
| Ausmaß. | |
| ## Vorwurf des Völkermords | |
| Experten wie der Friedens- und Konfliktforscher [3][Kjetil Tronvoll vom | |
| Oslo New University College], der seit Jahrzehnten über Äthiopien forscht, | |
| sprechen angesichts der Schwere der Verbrechen von einem Völkermord. Die | |
| Gräueltaten hätten sich „sehr systematisch und gezielt“ gegen die | |
| Zivilbevölkerung gerichtet, so Tronvoll. Es sei Sache eines internationalen | |
| Gerichts, darüber zu urteilen, aber angesichts der gezielten Absicht, die | |
| Tigrayer zu vernichten, müsse man von Genozid sprechen. | |
| Als die äthiopische Regierung im November 2022 Frieden mit der TPLF | |
| schloss, fühlten sich die Führer der Amhara betrogen. Sie witterten Verrat. | |
| Das Friedensabkommen erwähnt die umstrittenen Gebiete in Westtigray zwar | |
| nicht, soll aber die „verfassungsmäßige und territoriale Integrität“ | |
| Tigrays wiederherstellen, was einer Rücknahme der Eingliederung Westtigrays | |
| in die Amhara-Region gleichkommt. Amhara werfen nun Abiy vor, die | |
| umstrittenen Gebiete, die sie während des Krieges erobert hatten, an Tigray | |
| zurückgeben zu wollen. | |
| Die Spannungen nahmen weiter zu, als im vergangenen Sommer in ganz Amhara | |
| Kämpfe zwischen Regierungstruppen und den Fano, den bisher mit der | |
| Regierung verbündeten Amhara-Milizen, ausbrachen. Diese verweigerten sich | |
| einem Befehl Abiys, die regionalen paramilitärischen Einheiten aufzulösen | |
| und sich in die äthiopische Armee zu integrieren. Seitdem herrscht Krieg in | |
| Teilen Amharas. | |
| Äthiopiens Regierung steht nun vor einem Dilemma. Sie will weder das | |
| Friedensabkommen mit Tigray gefährden noch den Konflikt in Amhara | |
| eskalieren lassen. Beides ist eine reale Gefahr. Ministerpräsident Abiy | |
| erklärte kürzlich, die Zukunft Westtigrays solle durch ein Referendum der | |
| Einwohner geklärt werden. Aber nach den Massakern und Massenvertreibungen | |
| der vergangenen Jahre ist das schwierig. | |
| Experten wie Kjetil Tronvoll befürchten, dass der Streit zu einem neuen | |
| Konflikt führt, sollten die Gebiete dauerhaft von Amhara besetzt bleiben | |
| und die Tigrayer beispielsweise versuchen, sie gewaltsam zurückzuerobern. | |
| Es gibt Berichte über neue Vertreibungen aus Westtigray durch | |
| Amhara-Milizen, die ihre Kontrolle über die Region jetzt festigen wollen. | |
| Hailu Abreha berichtet, im August 2022 seien amharische Milizen und die | |
| Polizei in sein Dorf gekommen und hätten ihn zusammen mit einem Dutzend | |
| anderer Männer festgenommen. Er lacht. „Sie warfen uns vor, ohne Erlaubnis | |
| nach Tigray telefoniert zu haben, obwohl damals alle Telefonleitungen | |
| zerstört waren“, sagt er. | |
| Abrehas Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, doch sie gleichen | |
| sich mit denen anderer Vertriebener, mit denen die taz gesprochen hat, und | |
| mit Berichten von Menschenrechtsorganisationen und den Vereinten Nationen. | |
| Zusammen mit 40 anderen Gefangenen sei er monatelang in einer kleinen Zelle | |
| eines Gefängnisses in Humera inhaftiert gewesen, sagt er. | |
| Fast alle seien wegen derselben Anklage dort gewesen: unerlaubter Kontakt | |
| mit Tigray. Sein amharischer Geschäftspartner habe ihm jede Woche Essen ins | |
| Gefängnis gebracht habe. Mit der Zeit sei das Gefängnis immer voller und | |
| die Wärter seien immer brutaler geworden. „Sie folterten uns mit | |
| Elektroschocks, schlugen uns mit Kabeln“, erzählt er. | |
| Erst Monate später, im Dezember 2022, wenige Wochen nach dem | |
| Friedensschluss, hätten Soldaten der Fano-Milizen ihn und rund 70 weitere | |
| Männer sowie fünf Frauen eines Nachts auf einen Lastwagen gezwängt und über | |
| den Fluss Tekeze gebracht, also von Westtigray in den Rest der Region. | |
| Hinter dem Fluss hätten die Soldaten ihnen befohlen, sich minutenlang in | |
| zwei Reihen auf den Asphalt zu knien. „Wir dachten, wir würden sterben“, | |
| sagt Abreha heute. Doch dann ließen die Soldaten die Gruppe ziehen. | |
| Stundenlang seien sie über die Hochebene zur nächsten Stadt gelaufen. | |
| ## Von der Familie nichts mehr gehört | |
| Seit fast einem Jahr lebt Abreha nun in der kleinen Schulbaracke. Von | |
| seiner Familie, seinen drei Kindern und seiner Frau, hat er seit der | |
| Vertreibung nichts mehr gehört. In dem kleinen Klassenzimmer liegen | |
| sorgfältig zwischen den Schulbänken Matratzen, darüber spannen sich blaue | |
| Moskitonetze. An der Wand ist noch das Alphabet, die Zahlen von 1 bis 20, | |
| ein menschliches Skelett gemalt. | |
| Knapp 35 Menschen lebten hier, sagt Abreha. In der ganzen Schule seien es | |
| mehrere Hundert, alles Vertriebene aus Westtigray. Selbst seine Matratze | |
| habe er sich geliehen, erzählt Abreha. Hilfsorganisationen seien seit | |
| Monaten nicht mehr im Lager gewesen. Die Schule soll bald öffnen, „aber | |
| wohin mit den Menschen?“, fragt er. Der Krieg sei zwar vorbei, sagt er, | |
| aber solange er nicht wieder zu Hause bei seiner Familie sei, könne er | |
| keinen Frieden schließen. | |
| Doch er bezweifelt, dass dies in naher Zukunft geschehen wird. Von der | |
| äthiopischen Regierung könnten die Menschen in Tigray nichts erwarten, aber | |
| was sei mit der TPLF-Regionalverwaltung, fragt er. Es sei richtig gewesen, | |
| Frieden zu schließen, der Krieg habe nur Tod und Gewalt gebracht. Jetzt | |
| brauche es aber mehr Unterstützung für jene, die noch immer unter den | |
| Folgen litten, die noch immer nicht nach Hause könnten. | |
| Er trifft die Stimmung vieler Menschen in diesen Tagen in Tigray. Vor allem | |
| junge Menschen sehen im Friedensabkommen eine Kapitulation der TPLF und | |
| fühlen sich bei der Bewältigung der Kriegsfolgen alleingelassen. | |
| Ein paar Straßen von der Schule entfernt steht hinter einem Wall aus | |
| Trümmern die 61-jährige Hiwet Demez und zeigt auf ein Loch im Boden. Hier, | |
| sagt sie, sei die Bombe eingeschlagen. Demez, eine kleine Frau in blauem | |
| Kleid, spricht mit energischer Stimme. Ein Schleier aus Staub hat sich über | |
| ihre Hände und ihr Gesicht gelegt. Sie hat die Schamma, das traditionelle | |
| weiße Tuch, fest um die Schultern gewickelt. | |
| In der Schlussphase des Krieges im September 2022 entbrannte der Kampf um | |
| die nahe gelegene Stadt Shire, auch Adi Daero wurde von äthiopischen | |
| Kampfflugzeugen bombardiert. Mehrere Bomben trafen die gesamte | |
| Nachbarschaft, darunter auch das Haus der Familie. Eine Nachbarin und ihr | |
| Neugeborenes starben in den Trümmern. | |
| Demez und ihre beiden Söhne wurden schwer verletzt. Erst nach Stunden | |
| konnten sie von Nachbarn geborgen werden. Wenig später drangen eritreische | |
| Soldaten in den kleinen Ort ein. Sie plünderten, mordeten und brannten | |
| viele Häuser der Stadt nieder, erzählt auch Demez. | |
| Dabei sei der Krieg nicht einmal das Schlimmste gewesen. Ein Jahr vorher, | |
| im Sommer 2021, hatte die TPLF Adi Daero zurückerobert. Damals war die | |
| Freude in der Stadt zunächst groß. Doch die äthiopische Regierung verhängte | |
| eine Blockade über Tigray mit dem Ziel, die Region auszuhungern. Mehr als 5 | |
| Millionen Menschen litten Hunger, die Zahl der Toten wird auf | |
| Hunderttausende geschätzt. „Der Krieg war vorbei. Der Hunger kam“, sagt | |
| Demez. | |
| ## Keine Mittel für den Wiederaufbau | |
| Heute, ein Jahr nach Ende des Krieges, kann sie ihre Wut kaum unterdrücken. | |
| „Wir wollen die Häuser wieder aufbauen, aber uns fehlen die Mittel“, sagt | |
| sie. Seit neun Monaten habe sie keine Unterstützung mehr erhalten, weder | |
| von der äthiopischen Regierung, der Tigray-Regionalverwaltung noch von | |
| internationalen Hilfsorganisationen. | |
| Die beiden wichtigsten Hilfsorganisationen für Tigray, das | |
| UN-Welternährungsprogramm (WFP) und die US-Entwicklungshilfebehörde USAID, | |
| setzten im Juni 2023 ihre Verteilungen monatelang aus, wegen mutmaßlicher | |
| Veruntreuung von Hilfslieferungen durch lokale Beamte. Seit Mitte Dezember | |
| laufen die Verteilungen zwar wieder, allerdings bisher nur in kleinem | |
| Umfang. | |
| An der Stelle, an der einst das Haus der Familie stand, hat Demez mit ihrem | |
| Sohn begonnen, aus Bambus das Gerüst für ein neues Haus zu bauen. Doch es | |
| fehle der Familie an Beton, Holz und vor allem Lebensmitteln, sagt sie. | |
| Demez hat wenig Hoffnung, dass sich das in absehbarer Zeit ändern könnte. | |
| Es brauche mehr humanitäre Hilfe, fordert sie. Die Verbrechen müssten | |
| international anerkannt werden. Nur wenn Täter zur Rechenschaft gezogen | |
| würden, könne es auch einen dauerhaften Frieden geben. „Die Welt hat uns | |
| vergessen“, sagt sie. | |
| Kurz bevor die Sonne an diesem Tag untergeht, reiht Hailu Abreha sich in | |
| der Schule in eine kleine Schlange ein. Ein privater Geschäftsmann aus der | |
| Stadt hat Essen gebracht. Das sei jetzt sein Leben, sagt er. Anstehen, | |
| statt selbst kochen. Dabei sei er bereit zu verzeihen, wenn er nur endlich | |
| in seine Heimat zurückkehren könne. Im Frieden. | |
| * Name zum Schutz des Protagonisten geändert | |
| 16 Jan 2024 | |
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