# taz.de -- Bilanz Forschungsjahr 2023: Erwartungen nicht erfüllt | |
> Das Forschungsministerium wollte eigentlich mit sechs „Missionen“ | |
> punkten. Aber einige Konzepte konnten nicht überzeugen. | |
Bild: Forschungsministerin Betrtina Starck-Watzinger (FDP) | |
Die Forschungspolitik ist ein dickes Brett. Um es zu durchbohren und somit | |
in die Zukunft vorzudringen, braucht es die richtigen Instrumente: Geld, | |
Labore, kluge Köpfe. Wie sich das Bundesministerium für Bildung und | |
Forschung (BMBF) als wichtigster politischer Akteur und Koordinator in | |
diesem Wissenschaftssegment 2023 geschlagen hat, zeigt ein Blick auf die | |
Bilanz. | |
Auch wenn sich BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in der | |
Öffentlichkeit vor allem zu bildungspolitischen Themen äußert, versteht | |
sich das Ministerium mit seinen beiden Dienstsitzen in Berlin und Bonn vor | |
allem als Haus der Forschung. Das zeigt sich in der Mittelverteilung: Von | |
den 20,6 Milliarden Euro des BMBF-Etats im Jahr 2023 flossen 13,2 | |
Milliarden Euro in die großen Forschungsorganisationen wie die | |
Helmholtz-Gemeinschaft oder die [1][Fraunhofer-Gesellschaft] sowie in die | |
Förderung einzelner Forschungsprogramme. | |
Ein zweiter Indikator ist die Darstellung nach außen: Von den 94 | |
Pressemitteilungen des Jahres 2023 betrafen 39 Themen aus der Grundlagen- | |
und angewandten Forschung und 34 Themen aus dem Bereich Hochschule, | |
Berufsbildung und Schule. Ein drittes Handlungsfeld mit wachsender | |
Bedeutung ist der Wissenstransfer, insbesondere durch die beiden neuen | |
[2][Agenturen für Sprunginnovationen] und für Transfer und Innovation. | |
Die wichtigste strukturelle Neuerung der [3][Forschungspolitik] im | |
vergangenen Jahr war die Vorlage der „Zukunftsstrategie Forschung und | |
Innovation“ im Februar. Sie wurde im Herbst durch die Einsetzung einer | |
21-köpfigen Expertenkommission ergänzt. Die Zukunftsstrategie gliedert die | |
großen, langfristigen Forschungsaufgaben in sechs „Missionen“, an deren | |
Umsetzung auch die anderen Ressorts der Bundesregierung beteiligt sind. | |
Neben dem Forschungsministerium sind dies vor allem die Häuser für | |
Wirtschaft und Klimaschutz (Robert Habeck, Grüne) sowie für Digitales und | |
Verkehr (Volker Wissing, FDP). Die sechs zentralen Forschungsaufgaben | |
wurden im Koalitionsvertrag festgelegt. | |
## Industrietransformation | |
Im Sommer wurde eine neue Wasserstoffstrategie verabschiedet, an der auch | |
das Forschungsministerium beteiligt ist. Es finanziert vier große | |
Kopernikus-Leitprojekte, in denen unter anderem Energiespeichertechnologien | |
erforscht werden, die für den Einsatz von „grünem“, also umweltfreundlich | |
erzeugtem Wasserstoff notwendig sind. | |
Während das Wirtschaftsministerium größere Projekte wie die Produktion von | |
„grünem Stahl“ mit Wasserstoff bei der Salzgitter AG vorantreibt, kommen | |
vom Innovationsbeauftragten für grünen Wasserstoff des BMBF, Till Mansmann, | |
nur wenige Impulse. Der FDP-Bundestagsabgeordnete gilt in Fachkreisen als | |
Fehlbesetzung für den Energiejob. | |
## Klimawandel | |
Im Klimabereich, zu dem auch die Forschung für ein „nachhaltiges | |
Landwirtschafts- und Ernährungssystem“ zählt, konzentrierte sich das BMBF | |
verstärkt auf die sogenannte grüne Gentechnik. Sie wird dort allerdings | |
nicht so genannt, sondern als „neue Züchtungstechnologien“ bezeichnet. | |
Gemäß der FDP-Agenda, die seit Jahren geltenden Beschränkungen zum Einsatz | |
gentechnischer Methoden im Pflanzenbau und der Lebensmittelwirtschaft | |
aufzuweichen, wurde vom BMBF im Oktober eine neue „Förderrichtlinie zur | |
Pflanzenzüchtungsforschung mit Neuen Züchtungstechniken“ veröffentlicht. | |
Ein Fachworkshop in Brüssel sollte die gentechnische | |
[4][Crispr/Cas-Methode] außerhalb der Medizin salonfähig machen. Der | |
politische Erfolg blieb allerdings aus: Im Dezember entschied die | |
EU-Ministerrunde, von einer Lockerung der Gentechnikregulierung abzusehen. | |
## Gesundheit | |
In der Medizinforschung wurden vor allem die großen Programme zur | |
[5][Krebsforschung] vorangetrieben. Für Teile der Öffentlichkeit war aber | |
wichtig, dass sich das BMBF endlich auch für die medizinische Erforschung | |
der weitgehend ungeklärten Long-Covid-Folgen engagierte, wenn auch zunächst | |
nur mit einer Informationswebsite. Der Hauptakteur, das | |
Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach, punktete dagegen in einem | |
anderen, stärker digital getriebenen Bereich. | |
Während das Forschungsministerium das ganze Jahr über mit der Formulierung | |
eines Forschungsdatengesetzes nicht vorankam, konnte der Bundestag im | |
Dezember 2024 immerhin auf Vorlage Lauterbachs nun das | |
Gesundheitsdatennutzungsgesetz verabschieden – ein wichtiger Schritt in | |
Richtung digitale Medizin mit der Erwartung besserer Diagnosen und | |
individualisierter Therapieansätze. | |
## Digitalisierung | |
Insbesondere bei der Mission „digitale Souveränität“ blieb das BMBF im | |
derzeit heißesten Forschungsfeld zur künstlichen Intelligenz (KI) eklatant | |
hinter seinen Möglichkeiten zurück. Im August hatte Stark-Watzinger einen | |
„KI-Aktionsplan“ vorgelegt, der allerdings nur für ihr Haus galt, obwohl | |
ein generelles Update der KI-Strategie der Bundesregierung aus dem Jahr | |
2018 fällig gewesen wäre. | |
Die zentrale Zuständigkeit für den KI-Bereich konnte das BMBF aber nicht an | |
sich ziehen, sodass es bei einem Flickenteppich der Zuständigkeiten bleibt. | |
Auch das eigene Konzept des BMBF konnte die Experten nicht überzeugen, da | |
es strategisch zu vage blieb und im Finanzbereich konkrete Meilensteine | |
vermissen ließ. | |
## Weltraum und Meere | |
Der Forschungssektor Weltraum und Meere brachte 2023 nur wenige Highlights, | |
etwa den Beitritt Deutschlands zum Superteleskop SKAO (Square Kilometre | |
Array Observatory), das in Südafrika und Australien aufgebaut wird. Größere | |
Aufmerksamkeit erregte jedoch das Wissenschaftsjahr „Unser Universum“, das | |
mit einer Vielzahl von Aktionen die Faszination der Astronomie in die | |
breite Öffentlichkeit trug: Mehr als 400 Veranstaltungen zogen 160.000 | |
Besucher an. | |
## Soziale Innovationen | |
Den Überraschungserfolg des Jahres konnte das BMBF in der Mission | |
„gesellschaftlicher Wandel“ verbuchen. Die von der Ministeriumsbeauftragten | |
Zarah Bruhn entwickelte Strategie für soziale Innovationen fand breite | |
Anerkennung. Bruhn hat in München das Sozialunternehmen Social Bee | |
gegründet, das Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt vermittelt. Das | |
Strategiepapier, das generell die Erneuerungsfähigkeit der Gesellschaft | |
stärken will, sieht unter anderem eine „Innovations- und | |
Gründungsinitiative für digitale Bildungstechnologien (Ed Tech)“ vor. | |
Als Ziel wird in dem Strategiepaier auch genannt, dass diese in Deutschland | |
im internationalen Vergleich wenig verbreiteten Technologien „zum | |
besseren Kompetenzerwerb, zur flexiblen und inklusiven Lernerfahrung sowie | |
zur Individualisierung und Durchlässigkeit des Lernprozesses beitragen“ | |
könnten. | |
4 Jan 2024 | |
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[3] /Mitgestaltung-von-Forschungspolitik/!5961639 | |
[4] /Debatte-ueber-Gentechnik-bei-Pflanzen/!5948828 | |
[5] /Pandemie-und-Krebsforschung/!5934584 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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