# taz.de -- Correctiv-Recherche im Theater: Es braucht Aufklärung für alle | |
> Die Lesung der Correctiv-Recherche im Berliner Ensemble diente der | |
> politischen Aufklärung. Doch sie richtete sich nur an das | |
> Bildungsbürgertum. | |
Bild: Eine Höcke-Puppe bei der Demo gegen Rechtsextremismus am 17.01.2024 in B… | |
Vielleicht wird dieser Abend auch Teil einer neuen Erzählung: Einer | |
Erzählung, die damit beginnt, dass wir uns gegen die faschistischen Kräfte | |
in unserem Land wehren. Es könnte eine Erzählung sein, die zeigt, dass wir | |
viele sind. Dass wir laut sind. Dass wir als Zivilgesellschaft nicht | |
pennen. Sondern dass wir hellwach sind. Und dass wir unsere [1][Demokratie | |
nicht kaputt machen lassen].“ | |
Mit diesem Appell endet nach gut einer Stunde am Dienstag die szenische | |
Lesung der [2][Correctiv-Recherche] zum „Geheimplan gegen Deutschland“ auf | |
der Bühne des Berliner Ensembles. | |
Die Recherche hatte aufgedeckt, wie hochrangige AfD-Politiker*innen, | |
Neonazis und Unternehmer*innen bei einem Treffen in Potsdam im | |
November die Vertreibung von rund 25 Millionen Menschen aus Deutschland | |
planten. Nachdem die Veranstaltung im Theater angekündigt und im Internet | |
scharf kritisiert wurde, entstand beinahe der Eindruck, die Gegner säßen | |
nicht ganz rechts im Bundestag, sondern auf der Bühne. | |
## Belustigung des weißen Bildungsbürgertums? | |
Der Journalist Deniz Yücel etwa sprach auf der Kurznachrichtenplattform X | |
von einer [3][„kulturindustriellen Verramschung des Politischen“]. Der | |
Vorwurf: Correctiv beute die reale Bedrohung durch den Rechtsextremismus | |
aus Sensationsgier und zur Belustigung des weißen Bürgertums aus. | |
Die Inszenierung war in der Tat überraschend lustig. Das lag aber nicht am | |
Inhalt der Gespräche, sondern vielmehr daran, wie sicher sich die Gäste des | |
Treffens darüber zu sein schienen, dass nichts davon nach außen dringen | |
würde. | |
Und dann sind da noch die Passagen, in denen eine Figur auf der Bühne einer | |
anderen Figur halbironisch sagt, sie solle nicht von einem „Haufen Faschos“ | |
sprechen. Schließlich sei das ja nicht belegt. Humor kann helfen, Nazis auf | |
eine Normalgröße zu schrumpfen, die bekämpfbar ist – solange man den Ernst | |
der Lage nicht aus den Augen verliert. Das wusste schon Charlie Chaplin. | |
Und so zeigt der Abend, dass Schauspiel leisten kann, was dem | |
investigativen Journalismus nicht zusteht. Um als Reporter*in | |
glaubwürdig zu bleiben, muss man alles beweisen können, was man schreibt. | |
Die Kunst hingegen darf überspitzen, fiktionalisieren und Partei ergreifen. | |
Politisches Theater, Theater als Ort des Diskurses hat in Deutschland aus | |
gutem Grund eine lange Tradition. Mit der Inszenierung der Recherche kehrt | |
das Berliner Ensemble nun zu den Wurzeln seines Gründers Bertolt Brecht | |
zurück. | |
## Neue, kreative Wege im Journalismus | |
Natürlich sind die Übergänge zwischen Theater und Journalismus manchmal | |
fließend, wie der in Akte gegliederte Originaltext des Correctiv-Teams | |
beweist. In Zeiten von Instagram, Tiktok & Co müssen Medienschaffende neue, | |
kreative Wege finden, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf relevante | |
Themen zu lenken. | |
Studien aus der Kommunikationswissenschaft zeigen, dass Storytelling ein | |
Weg sein kann, ein Thema verständlich und einprägsam zu präsentieren. Dass | |
dies im Hinblick auf den „Geheimplan gegen Deutschland“ gelungen ist, haben | |
die mehr als [4][100.000 Demonstrant*innen deutschlandweit] in den | |
letzten Tagen bewiesen. | |
Die Aufführung am Berliner Ensemble hat diesen Effekt weiter verstärkt. | |
19.000 Menschen schalteten am Mittwochabend den Livestream ein, viele | |
weitere kamen zu den Public Viewings in Bochum, Dresden, Hannover, Rostock | |
und Oberhausen, die alle in Theaterhäusern stattfanden. Sie alle erfuhren | |
weitere Details über den rechtsextremen Hintergrund der Gäste in Potsdam | |
und ihre tiefe Verstrickung in die AfD. | |
Solche Details sollten aber nicht nur dem ausgewählten Publikum im Theater | |
vorbehalten bleiben. Warum nicht investigative Recherchen im Fernsehen | |
präsentieren? In der Halbzeitpause eines Fußballspiels zum Beispiel. Oder | |
anstelle von Werbeblöcken im Abendprogramm? Schließlich ist das Skript der | |
szenischen Lesung für jede*n im Internet frei zugänglich. | |
## Die Diskussion dauert an | |
War die Lesung im Berliner Ensemble tatsächlich nur eine | |
„kulturindustrielle Verramschung“? Wäre es besser gewesen, wenn sich das | |
Theater nicht zu den Deportationsplänen positioniert hätte? Dann würde der | |
Vorwurf wohl lauten, dass sich das linke Bildungsbürgertum in seinen | |
Privilegien eingerichtet hätte und sich scheue Stellung zu beziehen. | |
Immerhin geht mit der Lesung die Diskussion über das Gesehene noch lange, | |
nachdem der Vorhang gefallen ist, weiter. | |
18 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Reaktion-auf-das-rechte-Geheimtreffen/!5983000 | |
[2] /Geheimtreffen-mit-Rechtsextremen/!5984871 | |
[3] https://twitter.com/Besser_Deniz/status/1747729569103147206 | |
[4] /Proteste-gegen-rechts/!5986385 | |
## AUTOREN | |
Clara Löffler | |
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