Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Südafrikas Klage gegen Israel: „Genozidale Absicht“
> Mit der Anhörung der Anklage beginnt in Den Haag der Völkermord-Prozess
> gegen Israel. Premier Benjamin Netanjahu reagiert mit einer Klarstellung.
Bild: Südafrika spricht von einem „Apartheids-System“ in Gaza: Delegation …
Den Haag/Tel Aviv taz | Zum Auftakt der Anhörung zur Völkermord-Klage gegen
Israel hat die Republik Südafrika am Donnerstag vor dem Internationalen
Gerichtshof die Begründung ihres Vorwurfs dargelegt. Die Grundlage dafür
seien „angedrohte, angewendete, geduldete, unternommene sowie aktuell
ausgeführte Handlungen von Regierung und Militär des Staates Israel gegen
das palästinensische Volk in der Folge der Angriffe in Israel am 7. Oktober
2023“, heißt es in der Anklageschrift, die von Mitgliedern der
südafrikanischen Delegation in Den Haag vorgestellt wurde.
Ziel Israels sei die Zerstörung eines substanziellen Teils der
palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen, wird in dem 84-seitigen
Dokument ausgeführt. Für Vusi Madonsela, den Botschafter Pretorias in den
Niederlanden, steht außer Frage, dass beim Vorgehen der israelischen
Regierung und Militär „der Beweis für die genozidale Absicht überwältigen…
ist. Diese Absicht ist ein zentrales Kriterium der „Übereinkunft über die
Verhütung und Bestrafung des Völkermords“, die vor 72 Jahren in Kraft trat.
Anhand dessen wird bewertet, ob Verbrechen gegen eine bestimmte
Bevölkerungsgruppe tatsächlich deren Auslöschung zum Ziel haben.
Die südafrikanische Delegation, zu der am Donnerstag auch Justizminister
Ronald Lamola zählte, sieht das als erwiesen an. Als Belege führt sie
Zitate von Ministern und Mitgliedern der Knesset sowie des israelischen
Militärs an, in denen wiederholt dazu aufgerufen worden sei, Gaza
„auszulöschen“, zu „verbrennen“ oder „dem Erdboden gleichzumachen“…
dass es dort „keine Unschuldigen“ gebe. Letztere Aussage stammt von dem
Likud-Abgeordneten Nissim Vaturi und sorgte im Vorfeld der Anklage
international für Aufsehen. Bei mehreren Aussagen ist freilich umstritten,
ob sich Bezeichnungen wie „Monster“ oder „menschliche Tiere“ nur auf die
Hamas-Terroristen oder aber Bewohner*innen des Gazastreifens im
Allgemeinen beziehen.
## Demonstrant*innen mit Mandela-Konterfrei
Aus südafrikanischer Perspektive ist nicht nur die humanitäre Situation im
Gazastreifen Teil einer entsprechenden Strategie seitens der israelischen
Regierung. Vielmehr handele diese seit der Staatsgründung 1948 in
genozidaler Absicht und habe die palästinensische Bevölkerung einem
Apartheid-System unterworfen. Als dieser Vorwurf kurz nach Beginn der
Anhörung am Donnerstagmorgen erstmals vorgetragen wurde, reagierten die
Teilnehmer*innen der pro-palästinensichen Demonstration vor dem
Gerichtsgebäude mit lautem Jubel.
Insgesamt hatten sich etwa 1.500 Menschen mit zahlreichen palästinensischen
Fahnen und Kufiyas versammelt, auch türkische Fahnen und eine mit Hammer
und Sichel der tunesischen Arbeitspartei war zu sehen. Auf einer anderen
befand sich das Konterfei Nelson Mandelas, daneben sein Zitat: „Wir wissen
nur allzu gut, dass unsere Freiheit unvollständig ist ohne die Freiheit der
Palästinenser*innen.“ Dass die Genozid-Anklage Israels ausgerechnet aus
Südafrika kommt, geht unter anderem auf die Verbindungen zwischen
Anti-Apartheid- und palästinensischen Befreiungsbewegungen zurück.
Die anhaltende Welle von Demonstrationen gegen den Gazakrieg sorgte auch
dafür, dass in Den Haag, das als Hauptstadt des internationalen Rechts
schon zahlreiche Kundgebungen vor Tribunalen erlebt hat, dieser Donnerstag
ein besonderer Tag war. Schon kurz nach Sonnenaufgang zogen Menschen mit
palästinensischen Fahnen in Richtung des Gerichtshofs durch die Straßen und
skandierten „From the river to the sea, Palestine will be free“. Zu Beginn
der Sitzung gab es eine kurze, angespannte Situation, als berittene
Polizist*innen manche Demonstrierende hinter die Absperrungen
zurückdrängten.
Ein wenig später kam eine Gruppe von mehreren Hundert proisraelischen
Demonstrant*innen vor dem Gelände an. Viele von ihnen trugen Fotos
entführter oder ermordeter Geiseln, deren Porträts auch auf einem
Videobildschirm gezeigt wurden. Zu Bringt-sie-zurück-Rufen setzte sich der
Zug in Bewegung, zu einer Kundgebung in der Innenstadt, wo der Vater einer
entführten Geisel eine Ansprache halten sollte.
## Israels Gewissheit hat Risse bekommen
Shay, ein junger Israeli, der in der Nähe von Amsterdam lebt, sagt, dass
auch die Mutter eines Freundes seit dem 7. Oktober in der Gewalt der Hamas
ist. „Es ist furchtbar, dass dieser Krieg schon mehr als 20.000
Menschenleben gekostet hat“, betont er. Wenn man aber mit Genozid
argumentiere, müsse man auch sehen, dass auch die Hamas-Massaker diesen
Charakter hätten.
Dabei verurteilt die Anklageschrift Südafrikas die Taten der Hamas
deutlich. Zugleich könne kein bewaffneter Angriff auf das Territorium eines
Staates das israelische Vorgehen seither rechtfertigen – „selbst nicht,
wenn dieser Gräueltaten beinhaltet“. [1][Darum fordert Südafrika vom
Gerichtshof „vorläufige Maßnahmen]“, die Israel dazu anhalten, die
Kriegshandlungen schnellstmöglich einzustellen und alles in seiner Macht
Stehende zu unternehmen um einen Völkermord zu verhindern. Israel weist den
Vorwurf des Genozids zurück und beruft sich auf sein Recht der
Selbstverteidigung.
Doch die Gewissheit, dass sich die Richter auf Israels Seite schlagen
werden, hat im Land selbst Risse bekommen. Jeremy Sharon warnte etwa in der
Times of Israel davor, das Verfahren auf die leichte Schulter zu nehmen.
„Schon die Plausibilität eines Völkermordes reicht für den Beginn eines
Verfahrens aus“, so der Journalist.
## Netanjahu bezieht endlich Stellung
Auch in politischen Kreisen kommt langsam an, dass die Anklage Israels vor
dem Internationalen Gerichtshof am ehesten ein Punktsieg für die Hamas ist.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu pochte am Mittwochabend noch einmal
darauf, dass man nicht gegen die Palästinenser, sondern ausschließlich
gegen die Hamas vorgehe.
„Wir tun dies in voller Übereinstimmung mit internationalem Recht, so der
Premier. Auf der Plattform X (vormals Twitter) lehnte er zudem erstmals die
Forderung einiger Regierungsmitglieder ab, die sich [2][offen für eine
Vertreibung der Palästinenser] oder neue jüdische Siedlungen eingesetzt
hatten. Unter anderem auf diese Äußerungen stützt sich die Klage
Südafrikas.
Das Verfahren in Den Haag könnte Netanjahu nun veranlasst haben, gegen
seine radikalen Koalitionspartner nach langem Schweigen Stellung zu
beziehen. „Ich möchte absolut klarstellen: Israel hat nicht die Absicht,
den Gazastreifen dauerhaft zu besetzen oder die Zivilbevölkerung zu
vertreiben“, so sein Tweet. Auch Besucher in den Cafés von Tel Aviv
verfolgen den ersten Tag der Anhörungen in Den Haag eher gelassen. „Wir
sind es gewohnt, dass uns eine Allianz von Staaten das
Selbstverteidigungsrecht absprechen will“, sagt der Ingenieur Itai Shabtai,
der auf seinem Smartphone die Reden der südafrikanischen Rechtsanwälte
hört.
Am Freitag soll die israelische Delegation in Den Haag zu Wort kommen.
11 Jan 2024
## LINKS
[1] /Anklage-wegen-Voelkermord/!5981347
[2] /Zukunft-des-Gazastreifens/!5980050
## AUTOREN
Tobias Müller
Mirco Keilberth
## TAGS
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Internationaler Strafgerichtshof
GNS
Völkermord
Südafrika
Gaza
Gaza-Krieg
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Hamas
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Internationaler Gerichtshof: Kein Ende der Kämpfe in Gaza
Der Internationale Gerichtshof weist den Antrag auf Einstellung der
Angriffe ab. Israel müsse aber Maßnahmen ergreifen, um einen Genozid zu
vermeiden.
Deutsche Waffenlieferungen: Solidarität mit welchem Israel?
Deutschland beliefert Israel mit immer mehr Waffen – das verlängert den
blutigen Krieg unnötig. Die militärische Unterstützung Netanjahus ist
falsch.
Klavierkonzert für Israel-Geisel: Solidarität ist ein Marathon
Bei der Soli-Aktion „Das gelbe Piano“ setzt der Star-Pianist ein Zeichen
für die Entführten der Hamas. Auch in anderen Städten gab es Konzerte.
Namibia zu Den Haag: „Schockierende Entscheidung“
Die Bundesregierung steht im Völkermord-Prozess in Den Haag an der Seite
Israels. Namibia übt daran scharfe Kritik – und zieht historische
Parallelen.
Völkermord-Prozess ​in Den Haag: Israel führt Selbstverteidigung an
Nach der Anklage kommt die Verteidigung zu Wort. Israel weist den
Genozidvorwurf von sich und verweist auf die Bedrohung durch die Hamas.​
Protestaktion „Run for their lives“: Solidarität im Laufschritt
Jeden Sonntag gibt es vielerorts den „Run for their lives“, der die
Freilassung der israelischen Geiseln fordert. Ein Besuch bei der Hamburger
Gruppe.
Drei Monate Israel-Gaza-Krieg: Diplomatische Schmerzgrenze
Außenministerin Baerbock ist in Nahost unterwegs. Der Ton gegenüber Israel
verschärft sich. Humanitäre Hilfe erreicht den Gazastreifen derzeit kaum.
Anklage wegen Völkermord: Mit der Waffe des Rechts
Südafrika hat Israel in Den Haag wegen Völkermordes verklagt. Geht das? Es
gibt einen Präzedenzfall, den auch Deutschland unterstützt.
Afrika und der Krieg in Nahost: Keine einheitliche Haltung
Die Staaten Afrikas positionieren sich unterschiedlich im Konflikt zwischen
Israel und der Hamas. Das sorgt für Probleme.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.