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# taz.de -- Berliner Musiklabel Altercat: Die Wiederauferstehung Werthers
> Das Berliner Label Altercat stöbert verschollen geglaubte Musik aus aller
> Welt auf und kontextualisiert sie. Überraschungen gehören zur
> Philosophie.
Bild: Leitfaden für das Programm von Altercat ist der persönliche Geschmack v…
Ein gewisser Werther aus Rio de Janeiro, der wirklich so heißt wie die
Romanfigur von Goethe, nahm vor mehr als 50 Jahren eine Platte mit
astreinem Bossa Nova auf. Erschienen ist sie ursprünglich auf einem
Mini-Label, dem die finanziellen Möglichkeiten fehlten, diese im großen
Stil zu promoten. Somit ging die Platte kommerziell komplett unter – und
jener Werther nahm danach nie eine weitere auf.
Ende der Neunziger, als brasilianische Musik der Sechziger und Siebziger
neu entdeckt wurde, auch Dank amerikanischer Popgrößen wie Beck oder David
Byrne, interessierten sich ein paar Plattensammler erneut für diese
Obskurität. Und wer heute eine Originalpressung von ihr haben möchte,
sollte bereit sein, einen vierstelligen Betrag hin zu blättern.
[1][Das Berliner Label Altercat] hat vor zwei Jahren das Album wieder
veröffentlicht und so erneut eine gewisse Aufmerksamkeit auf das einst
verschollene Album gelenkt. Und nun, so berichtet Sergi Roig von Altercat
in seinem Friedrichshainer Wohnzimmer-Office, sei Werther gerade dabei, als
inzwischen alter Mann doch noch eine weitere Platte aufzunehmen. Er sagt
das nicht ohne Stolz und in dem Wissen, dass seine Arbeit einen großen
Anteil an dem unerwarteten Comeback hat.
Reissue-Labels gibt es viele. Das Aufstöbern verschollen geglaubter Musik
aus aller Welt ist längst ein funktionierendes Business geworden. Vor allem
Sammler von Vinylschallplatten werden hier angesprochen, die seltenen
Scheiben hinterher jagen und diese sich so endlich leisten können.
Somit könnte man meinen, Altercat sei nur ein Label unter vielen. Was
Altercat dann doch zu einem besonderen Unternehmen macht, ist, dass mit den
Ausgrabungen nicht nur ein bestimmtes musikalisches Interesse bedient wird,
sondern dass Überraschungen unbedingt zur Philosophie gehören. „Ich will
nicht den Geschmack der Leute füttern, den sie schon haben“, sagt Roig,
„ich will nicht nur liefern, was gewollt wird, etwas, das funky und groovy
ist. Ich will auch Unerwartetes bieten.“
## Offen für alles
Brasilianische Musik gehöre klar zu seinem Interessensgebiet, sagt Roig.
Das lässt sich allein schon an seiner Plattensammlung in seinem Musikzimmer
erkennen. Aber auch Afro-Jazz, Psychedelic- und Garage-Rock aus aller Welt
seien für ihn wichtig. Er selbst komme eher aus der Garage-Rock-Szene, sagt
er, bevor er auch andere musikalische Gefilde für sich entdeckt habe. „Das
Label ist somit offen für alles“, sagt er, „aber es gibt einen Leitfaden:
meine Person und meinen Geschmack.“ Aus all den Bereichen, für die er sich
inzwischen erwärmen kann, macht er, der aus der Nähe von Barcelona stammt
und nun schon seit mehr als einer Dekade in Berlin lebt, bestimmte Alben
neu zugänglich.
Außerdem ist Altercat gar nicht festgelegt auf Reissues. Die allererste
Platte, die auf dem Label veröffentlicht wurde, stammt vom zeitgenössischen
Afrodyssey Orchestra, einer Combo aus Griechenland, die [2][Afro-Jazz]
spielt. Roig hatte diese zufällig bei einem Konzert im Badehaus in
Friedrichshain gesehen, kam mit der Band ins Gespräch und stellte fest,
dass diese noch gar keine Plattenfirma hatte. Er, der davor hauptsächlich
in Bars aufgelegt und Konzerte organisiert hatte, dachte sich: Dann bring
ich halt eine Platte von denen heraus.
Der primäre Fokus seiner Arbeit liegt jedoch auf dem Heben vergriffener
musikalischer Schätze. Im letzten Jahr hat er ausschließlich
Wiederveröffentlichungen herausgebracht. Er bedient damit die Interessen
dieses Marktes. Die meisten seiner Platten gibt es zusätzlich zur regulären
Version noch limitiert und in farbigem Vinyl.
Sie sind immer versehen mit einem sogenannten Obi, einem informativen
Flyer, mit dem die Platte präsentiert wird. Und im Normalfall gibt es noch
ein Booklet mit Texten und Fotos, teilweise von ihm selbst verfasst, aber
auch von ihm bekannten Experten. All das spricht den typischen
Plattensammler an, der ständig etwas Neues für sein Regal bracht. Man
erkennt darin aber auch die Mission, eine bestimmte, meist weitgehend
unbekannte Musik ausreichend zu kontextualisieren, einem sich selbst
gestellten Bildungsauftrag nachzugehen.
Geheimnisvolle Platte
Allein schon wie beispielsweise die aktuellste Altercat-Veröffentlichung
präsentiert wird, könnte das auch bei Neueinsteigern dazu führen, dass sie
sich spätestens jetzt endlich einen Plattenspieler zulegen möchten. Die
Platte „Inpiracion“ von Ara Tokatlian sieht so geheimnisvoll aus und das
Cover mit dem halbnackten Saxophonisten mit einer Frau in Ekstase wirkt so
vielversprechend, dass man sich diese wirklich nicht bloß bei Bandcamp
anhören möchte.
Dass das ursprünglich 1975 erschienene Album des Argentiniers ein
sagenhafter Spiritual-Jazz-Trip ist, eine Mischung aus John Coltrane und
Esoterik-Geflöte, macht diese Platte zudem auch rein musikalisch zu einem
echten Wunderwerk. Und man fragt sich, wie so oft bei Altercat: Warum bitte
hat man nie zuvor etwas von diesem Album gehört?
14 Jan 2024
## LINKS
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[2] /Musikfestival-FEMUA-in-Elfenbeinkueste/!5932172
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Label
Musik
Vinyl
taz Plan
Brasilien
Postpunk
Brasilien
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