# taz.de -- Proteste nach der Wahl in Serbien: Großdemo in Belgrad | |
> Bei der bisher größten Kundgebung protestierten am Samstag Tausende gegen | |
> die manipulierte Wahl in Serbien. Die Proteste gehen 2024 weiter. | |
Bild: 30. Dezember, Belgrad: Bei der bisjer größten Protestdemo gegen das Wah… | |
BELGRAD taz | Am Samstag fand in Belgrad der bisher größte Protest gegen | |
die mutmaßlich gefälschten Wahlen vom 17. Dezember statt. Seit Tagen hatten | |
Oppositionspolitiker und ProGlas, eine Initiative der Zivilgesellschaft, | |
[1][für den Termin getrommelt], um diesmal möglichst viele Demonstrierende | |
auch von außerhalb Belgrads anzulocken. Viele Tausend Menschen waren | |
gekommen, um friedlich ihren Unmut zu artikulieren. | |
Seit mittlerweile zwei Wochen wird gegen die Wahlbehörden und die | |
regierende Partei SNS demonstriert. Sowohl die Parlamentswahl als auch die | |
Belgrader Kommunalwahl, beide vor zwei Wochen abgehalten, entschied die SNS | |
deutlich für sich. Wahlbeobachter, unter anderem vom Europäischen Parlament | |
und der OSZE, kritisieren jedoch [2][schwere Mängel] im Zusammenhang mit | |
den Wählerlisten. Experten zufolge seien Tausende Wähler aus Bosnien | |
herangekarrt worden, um in Belgrad ihre Stimme abzugeben. Der Umfang der | |
Wahlmanipulation hat eine neue Qualität erreicht, sagt der | |
Politikwissenschaftler Florian Bieber. | |
Die Protestierenden fordern daher eine Öffnung der Wählerregister sowie die | |
Annullierung der genannten Ergebnisse. Beiden Forderungen verweigert sich | |
jedoch die zuständige Behörde. Die Regierung und der zunehmend autoritär | |
agierende Präsident Aleksandar Vučić widersprachen den Vorwürfen. | |
Oppositionsvertreter wollen Anfang Januar gesammelt alle beobachteten | |
Unregelmäßigkeiten vorlegen. | |
Wie schon in den vorangegangenen zwei Wochen war die Kundgebung am | |
Samstagmittag zu einem großen Teil von Studierenden getragen. Viele von | |
ihnen hatten bereits am Vortag Zelte aufgestellt und bei Temperaturen knapp | |
über Gefrierpunkt übernachtet, um Präsenz zu zeigen und eine | |
Straßenkreuzung zu blockieren. | |
Die Protestierenden skandierten immer wieder [3][„Diebe“, adressiert an | |
Vučić und seinen zunehmend autoritär agierenden Staatsapparat]. | |
Insbesondere am 24. Dezember, als einige Demonstrierende das Belgrader | |
Rathaus stürmen wollten, ging die Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas | |
auch gegen Unbeteiligte vor. Die Oppositionsgruppe „Serben gegen Gewalt“ | |
spricht von Polizeigewalt. | |
## Hausarrest für Protestierende | |
Ema Milenković, die als Vertreterin der Studierenden sprach, kritisierte | |
unter anderem die mindestens 38 Festnahmen der vergangenen Tage. Einige | |
Protestierende wurden wegen „Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung“ | |
verurteilt und unter Hausarrest gestellt. „Ist das ein Zeichen, dass die | |
Wahlen fair abgelaufen sind?“, fragte Milenkovic in ihrer Rede. | |
Eine Liste mit Unregelmäßigkeiten bei der Wahl verlas die Schauspielerin | |
Svetlana „Ceca“ Bojković. Ihr zufolge wurde etwa einer Krebspatientin, die | |
auf eine Operation wartete, versprochen, terminlich vorgerückt zu werden, | |
wenn sie die SNS unterstützen würde. Auch seien verstorbene Personen in der | |
Wählerliste wieder zum Leben erweckt worden, sagte Bojković unter Berufung | |
auf einen Lokalbeamten. | |
Umjubelt war insbesondere der Auftritt der Oppositionsführerin Marinika | |
Tepić, die sich [4][seit 18. Dezember im Hungerstreik] befand. „Das Einzige | |
was ich Ihnen sagen kann, ist, dass bereits alles gesagt wurde“, sagte | |
Tepić, bereits sichtlich geschwächt, in Anspielung auf die täglichen | |
Proteste der Vorwochen. Sie forderte eine Annullierung der Wahlergebnisse. | |
Unmittelbar nach ihrem Auftritt musste Tepić auf ärztliche Empfehlung ins | |
Krankenhaus, wo sie schließlich das Ende ihres Hungerstreiks bekanntgab. | |
## Beobachter sprechen von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl | |
Kritisiert wurde von den Rednern die zurückhaltende Kritik innerhalb der | |
EU. Zwar hatten internationale Wahlbeobachter aus eigener Anschauung von | |
Unregelmäßigkeiten bei der Wahl gesprochen. Die meisten nationalen | |
Regierungen sowie die EU-Institutionen machen bisher aber kaum Druck, den | |
Vorwürfen nachzugehen. | |
„Ich möchte unsere Freunde in Europa einladen, mehr Augenmerk auf diese | |
Geschehnisse zu legen. Heute weht der europäische Geist durch die Straßen | |
Belgrads“, sagte Politikwissenschaftler Srđan Cvijić bei der Kundgebung. In | |
der Hand hielt er eine zerschlissene EU-Flagge aus den 1990ern, mit der er | |
und seine Familie gegen den damaligen Machthaber Slobodan Milošević | |
demonstriert hätten. Heute müsse die EU stärker gegen Vučić auftreten, der | |
seit Jahren alle Fäden in Serbien zieht. | |
Die täglichen Demonstrationen vor dem Gebäude der Wahlbehörde werden | |
vorläufig enden, hieß es am Ende der Kundgebung. Im neuen Jahr werde es | |
aber weitere Proteste geben. | |
31 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Florian Bayer | |
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