# taz.de -- Taiwan stimmt ab: Eine Insel mit zwei Wahlen | |
> Die Menschen in Taiwan entscheiden über Präsidentschaft, Parlament und | |
> den Umgang mit dem großen Nachbarn China. Fragen und Antworten. | |
Bild: Anhänger von Ko Wen-je, Präsidentschaftskandidat der TPP, während eine… | |
Was steht am 13. Januar in Taiwan zur Wahl? | |
19 Millionen Wahlberechtigte waren dazu aufgerufen, mittels einer | |
Direktwahl einen Präsidenten und dessen Vize zu küren. Parallel wird auch | |
das 113-köpfige Parlament in einer Mischung aus Mehrheits- und | |
Verhältniswahl bestimmt. Dabei geht es auch um das Verhältnis zur | |
Volksrepublik China. Die beansprucht Taiwan gemäß seiner Ein-China-Politik | |
für sich. Nach der Schließung der Wahllokale begann unter den Augen der | |
Öffentlichkeit ab 16 Uhr Ortszeit (9 Uhr Mitteleuropäische Zeit) die | |
Auszählung der Stimmen. | |
Worum geht es im Konflikt zwischen China und Taiwan? | |
Taiwan heißt offiziell „Republik China“. Diese wurde 1911 auf dem Festland | |
gegründet und bestand dort bis zum Sieg der kommunistischen Revolution | |
1949. Dann rief Mao Tsetung die Volksrepublik aus, während der bisherige | |
Machthaber Chiang Kai-shek von der Nationalen Volkspartei KMT mit Getreuen | |
[1][nach Taiwan floh, das bis 1945 Kolonie Japans war]. Fortan strebten | |
beide Chinas die Wiedervereinigung an, unter ihrem jeweiligen System. Doch | |
wandelte sich Taiwan ab den 1980er Jahre zur Demokratie und ließ nach und | |
nach den Anspruch auf die Volksrepublik fallen. | |
Für Chinas Kommunistische Partei gehört die Vereinigung mit Taiwan hingegen | |
zum nationalistischen Credo, mit dem sich Xi Jinping zunehmend selbst unter | |
Zugzwang setzt. In seiner Neujahrsansprache nannte er die Vereinigung | |
„historisch unvermeidlich“. Peking bietet Taiwan das Modell „ein Land, zw… | |
Systeme“ an, das aber schon in Hongkong gescheitert ist und in Taiwan stets | |
abgelehnt wurde. Doch Peking behält sich auch eine Vereinigung mit Gewalt | |
vor. | |
Zudem ist Taiwan eine ideologische Herausforderung für Xi: Es zeigt, dass | |
Demokratie und chinesische Kultur sehr gut zusammenpassen. | |
Wie positionieren sich [2][Taiwans drei Präsidentschaftskandidaten] zu dem | |
Konflikt? | |
Alle drei sprechen sich für den Status quo aus und dafür, dass über Taiwan | |
nur seine Bürger entscheiden sollen. Der derzeitige Vizepräsident Lai | |
Ching-te von der liberalen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) führt in | |
Umfragen. Er sprach sich früher für die Unabhängigkeit aus, ist aber auf | |
den pragmatischen Kurs der scheidenden Präsidentin Tsai Ing-wen (DPP) | |
eingeschwenkt, die nicht mehr kandidieren darf. Beide halten eine | |
Unabhängigkeitserklärung (für Peking ein Kriegsgrund) für unnötig – de | |
facto agiere Taiwan doch längst unabhängig. Peking sieht in Tsai und Lai | |
gefährliche Separatisten, weshalb es deren Dialogangebote ablehnt. Pekings | |
rote Linie ist ein angeblich mit der KMT vereinbarter „Konsens von 1992“. | |
Demnach gäbe es nur ein China, auch wenn beide Seiten sich uneinig seien, | |
was das sei. Ein Bekenntnis dazu ist Pekings Vorbedingung für Dialog. | |
Peking ist offen für Hou Yu-ih, den Kandidaten der konservativen Partei | |
KMT. Die schließt eine Vereinigung nicht aus und lehnt eine formale | |
Unabhängigkeit Taiwans ab. Hou wirft Lai vor, Krieg zu provozieren. | |
Umgekehrt wirft Lai Hou einen Ausverkauf an Peking vor. | |
Ko Wen-je von der Taiwan People’s Party (TPP) präsentiert sich als | |
unverbrauchte Kraft zwischen KMT und DPP. Er mobilisiert viele junge | |
Menschen, die zuvor zur DPP tendierten, aber ihr hohe Preis- und | |
Mietsteigerungen vorwerfen. In Bezug auf China gibt Ko sich als | |
Pragmatiker, wobei unklar bleibt, was das konkret heißen soll. | |
Was ist bei den Parlamentswahlen zu erwarten? | |
Weil bei der Präsidentschaftswahl die einfache Mehrheit zum Sieg reicht und | |
sich die KMT mit der TPP nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen | |
konnten, sind ihre getrennten Chancen jetzt gering. Während hier also ein | |
Sieg des Peking-kritischen DPP-Kandidaten Lai vorhergesagt wird, könnte | |
seine Partei die bisherige Mehrheit im Parlament verlieren. Ohne diese | |
Mehrheit dürfte es Lai schwerer fallen, Gesetze durchzubringen. Deshalb | |
könnte die politische Instabilität zunehmen und China noch mehr Chancen | |
haben, Politik und Gesellschaft in Taiwan zu beeinflussen. | |
Wie versucht Peking Taiwans Wahlen zu beeinflussen? | |
China unterstreicht seine Drohungen einer Zwangsvereinigung mit [3][fast | |
täglichen Luftraumverletzungen, Militärmanövern, Raketentests und | |
Blockadeübungen]. Das lässt manche Taiwaner trotz Herausbildung einer | |
eigenen Identität zögern, die DPP zu wählen – andere reagieren wiederum | |
trotzig. Viele sehen aber eine eigentlich gewünschte Unabhängigkeit als zu | |
großes Risiko an. Da [4][China Taiwans größter Handelspartner ist], hat | |
Peking viele taiwanische Geschäftsleute auf seiner Seite und mittels | |
Handels- und Reisemöglichkeiten auch Hebel, um Taiwan zu beeinflussen. | |
China versucht zudem durch Cyberattacken und Fake News in Taiwan für | |
Verunsicherung zu sorgen. | |
Wie gehen die Menschen in Taiwan mit Chinas Drohungen und Manipulationen | |
um? | |
Sie haben sich an die Drohungen gewöhnt und versuchen, sich nicht | |
beeinflussen zu lassen. Trotzdem hat [5][China Einfluss und löst Ängste | |
aus]. Taiwan rüstet auf und hat gerade erst die obligatorische | |
Wehrdienstzeit verlängert. Pekings Drohungen wirken sich aber nicht immer | |
in seinem Sinne aus, sondern erzielen manchmal gegenteilige Effekte. So | |
haben 1996 Raketentests der Volksrepublik in der Straße von Taiwan im | |
Vorfeld von Wahlen nicht nur zur Entsendung eines US-amerikanischen | |
Flugzeugträgers geführt, sondern auch dem Peking-kritischen Kandidaten | |
einen Schub gebracht. Seit einigen Jahren wirft China, das Taiwan fast | |
täglich bedroht, DPP-Kandidaten vor, ihrerseits künstlich Spannungen und | |
Ängste zu produzieren, um davon bei Wahlen zu profitieren. | |
Das kleine Taiwan ist fern. Warum können Wahlen dort auch uns betreffen? | |
Taiwan gilt als größter potenzieller Konfliktherd zwischen China und den | |
USA. Washington verpflichtet sich zum Schutz des [6][nur noch von 12 | |
Staaten anerkannten Taiwan]. Das kann bloße Waffenhilfe bedeuten, aber auch | |
eine Militärintervention. [7][Joe Biden neigt zum Letzten], Donald Trump | |
zum Ersten. Diese „strategische Ambiguität“ soll für Peking das Risiko | |
eines Angriffs auf Taiwan unkalkulierbar machen und dort zugleich | |
verhindern, dass der US-amerikanische Schutz als Blankoscheck für die | |
Unabhängigkeit dient. | |
Die USA und die EU-Staaten erkennen Taiwan nicht als unabhängig an, sondern | |
favorisieren den Status quo und lehnen Gewalt ab. Da Taiwan fast ein | |
Monopol auf modernste Halbleiter hat und durch die Taiwan-Straße ein | |
Großteil des Welthandels erfolgt, hätte ein Krieg dort globale Folgen. | |
[8][Ein Angriff Pekings dürfte zu westlichen Sanktionen führen] und die vom | |
Handel mit China abhängige deutsche Wirtschaft stärker treffen als Putins | |
Krieg in der Ukraine. | |
13 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /78-Jahrestag-des-Kriegsendes-in-Asien/!5950048 | |
[2] /Praesidentschaftswahlen-in-Taiwan/!5975465 | |
[3] /Spannungen-zwischen-China-und-Taiwan/!5954595 | |
[4] /Chinas-Taiwan-Strategie/!5960351 | |
[5] /Prepper-in-Taiwan/!5978932 | |
[6] /Taiwans-Praesidentin-in-Eswatini/!5958970 | |
[7] /Gipfeltreffen-zwischen-USA-und-China/!5973436 | |
[8] /Oekonom-ueber-Wirksamkeit-von-Sanktionen/!5931816 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
## TAGS | |
Taiwan | |
China | |
Präsidentschaftswahl Taiwan | |
Demokratie | |
Wahlen | |
Taiwan | |
Präsidentschaftswahl Taiwan | |
Kolumne Fernsicht | |
Südchinesisches Meer | |
China | |
Präsidentschaftswahl Taiwan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Präsidentenwahl in Taiwan: China-Kritiker gewinnt die Wahl | |
William Lai hat sich seinen Erfolg schwer erarbeitet. Der 64-Jährige, der | |
als Konservativer gilt, ist für Peking eine Provokation. | |
Wahlen in Taiwan: Peking-Kritiker Lai wird Präsident | |
Taiwan wählt mit William Lai erneut einen Präsidenten, der Abstand zu China | |
halten möchte. Der Peking gewogene Hou Yu-ih kriegt aber auch viele | |
Stimmen. | |
Zensur in China: Ein Essen oder eine Beleidigung? | |
Schweinekopf essen ist in China etwas schwierig. Schließlich könnte man | |
unvorteilhafte Assoziationen mit der Gestalt von Xi Jinping bekommen. | |
Konflikt im Südchinesischen Meer: China setzt auf Recht der Stärke | |
Mit Wasserwerfern geht Chinas Küstenwache gegen philippinische | |
Versorgungsschiffe vor. Der Regionalkonflikt könnte außer Kontrolle | |
geraten. | |
Asienspiele in China: Xi applaudiert Taiwan | |
Der chinesische Staatspräsident Xi nutzt die Asienspiele zur | |
Machtdemonstration. Dass er taiwanische Erfolge bejubelt, ist Teil der | |
Propaganda. | |
Kandidatur für Präsidentschaftswahl: Foxconn-Chef will Taiwan führen | |
Der Gründer des Apple-Produzenten will Präsident Taiwans werden. Bei einer | |
chinafreundlichen Partei hat es nicht geklappt, nun macht er es allein. |