# taz.de -- 78. Jahrestag des Kriegsendes in Asien: Gespaltene Erinnerung | |
> In Taiwan kämpfen Opfer der Kolonialherrschaft gegen das Vergessen. Doch | |
> die Regierung ist Japan gegenüber sehr vorsichtig. | |
Bild: Taiwaner*innen gedenken den Zwangsprostituierten der japanischen Armee, T… | |
TAIPEH taz | Japans Kapitulation im Zweiten Weltkrieg bedeutete eine Zäsur | |
in der Geschichte der ehemaligen japanischen Kolonie Taiwan. Doch während | |
der [1][15. August 1945] in den meisten Ländern Ost- und Südostasiens als | |
Tag der Befreiung gilt, ist die Erinnerung an das Ende von Krieg und | |
Kolonialherrschaft in Taiwan in dieser Woche kaum präsent. | |
Die Schlagzeilen dominiert der USA-Besuch des Vizepräsidenten und künftigen | |
Präsidentschaftskandidaten Lai Ching-te. Japan taucht dagegen in den | |
Nachrichten vor allem im Zusammenhang der jüngsten Taifunwarnungen auf. | |
Eine kritische Aufarbeitung des japanischen Kolonialerbes findet in der | |
taiwanischen Gesellschaft heute nur vereinzelt statt. Dies zeigte sich auch | |
zu Monatsbeginn im Zuge der Diskussionen über ein neues Denkmal im Süden | |
Taiwans. Damit geehrt werden taiwanische Freiwillige, die Japan in der | |
Endphase des Zweiten Weltkriegs unterstützten – insbesondere beim Bau von | |
Flugzeugen, die Japans Militär als Kamikazebomber nutzte. | |
„So wie Großbritannien oder die USA für ihre Ideologie eintraten, kämpften | |
auch Japan und Taiwan für ihre nationale Ideologie“, erklärte Chu | |
Chia-huang von der örtlichen Veteranenvereinigung anlässlich der Einweihung | |
des Denkmals. | |
## 200.000 Taiwaner*innen kämpften für Japan | |
Mehr als 200.000 Taiwaner*innen dienten in den japanischen | |
Streitkräften – darunter knapp die Hälfte von ihnen an der Front in Tokios | |
imperialistischem Pazifikkrieg. | |
Taiwan befand sich nach Japans Kapitulation vor 78 Jahren zunächst im | |
politischen Schwebezustand. Denn das chinesische Kaiserreich, das Taiwan | |
vor der zwangsweisen Abtretung an Japan 1895 für gut zwei Jahrhunderte | |
beherrscht hatte, existierte nicht mehr. | |
Die spätere „Rückgabe“ Taiwans an die Republik China unter der | |
nationalistischen Regierung der Kuomintang (KMT) bedeutete für viele | |
Taiwaner*innen eher neuerliche Unterdrückung als Befreiung. Die KMT | |
errichtete unter Chiang Kai-shek eine Einparteiendiktatur, bis sich Taiwan | |
ab Ende der 1980er Jahre schrittweise demokratisierte. | |
Das Trauma der KMT-Diktatur trug nach Aussage von Expert*innen auch | |
teilweise zu einer Verklärung der vorigen japanischen Kolonialherrschaft | |
bei. | |
## Verklärung der Kolonialzeit | |
„Viele Menschen verbinden mit der Kolonialzeit vor allem wirtschaftliche | |
Entwicklung und den Ausbau der Schulbildung. Die Schattenseiten der | |
japanischen Herrschaft sind in Taiwan bis heute eher wenig bekannt. Viele | |
der Opfer stammten aus armen und gesellschaftlich benachteiligten | |
Verhältnissen, etwa Frauen und Indigene. Und ihr Leid wurde lange | |
tabuisiert“, sagt Du Ing-chiu von der Taipei Women’s Rescue Foundation. | |
Die Organisation will mit ihrer Arbeit unter anderem die Erinnerung an die | |
sogenannten Trostfrauen bewahren. Während des Zweiten Weltkrieges [2][zwang | |
das japanische Militär geschätzt bis zu 200.000 Frauen aus Korea, China, | |
den Philippinen und weiteren Ländern im Pazifikraum in die Prostitution], | |
um die Moral seiner Truppen zu unterstützen. Auch etwa 2.000 taiwanische | |
Frauen wurden als Zwangsprostituierte missbraucht. | |
Taiwan fordert bis heute vergeblich eine umfängliche Anerkennung und | |
Entschuldigung Japans für dieses Verbrechen. Doch die Regierung hält sich | |
zugleich mit öffentlichen Äußerungen zurück – auch jüngst anlässlich des | |
internationalen Gedenktags für die Opfer der japanischen Zwangsprostitution | |
am 14. August. | |
Ein Sprecher des Außenministeriums versicherte auf Anfrage der taz, „die | |
taiwanische Regierung verfolgt das Anliegen der Trostfrauen weiterhin“, | |
machte aber deutlich, dass Taiwan heute auch um die „politische Stabilität | |
des indo-pazifischen Raums“ bemüht sei. | |
## Taiwan braucht Japan heute als Verbündeten | |
Die Regierung der chinakritischen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) | |
unter Präsidentin Tsai Ing-wen bemüht sich um Japan als Verbündeten | |
gegenüber China. Und regelmäßig besuchen Delegationen japanischer | |
Politiker*innen ihrerseits Taiwan, um die Freundschaft beider Ländern | |
zu beschwören. Laut Du Ing-chiu tritt die taiwanische Regierung Japan | |
gegenüber sehr vorsichtig auf. | |
Vor allem aber mangele es schon in Taiwans Schulbildung an Aufklärung über | |
das Schicksal der Zwangsprostituierten. Sie fordert für sie zudem die | |
Errichtung einer nationalen Gedenkstätte. Denn die Erinnerung an die | |
Kolonialzeit rückt in immer weitere Ferne. Im Mai dieses Jahres ist die | |
letzte in Taiwan bekannte Betroffene japanischer Zwangsprostitution | |
verstorben. | |
15 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Leonardo Pape | |
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