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# taz.de -- High- und Lowtech in Taiwan: Kampf im Schatten der Chinafrage
> In Taiwan formiert sich wachsender Widerstand gegen die ausbeuterischen
> Bedingungen unter Hunderttausenden Arbeitsmigrant*innen aus
> Südostasien.
Bild: Eine Arbeitsmigrantin fordert im Januar 2022 in Taipeh die Möglichkeit z…
Taipeh taz | Bei ihrem Besuch in Taiwan hatte die deutsche
Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger im März voll Bewunderung von der
dortigen Arbeitskultur gesprochen und für einen [1][Fachkräfteaustausch]
geworben. Die Hightechfirmen des ostasiatischen Landes sind ein gefragter
Partner für den angestrebten Aufbau der europäischen Halbleiter- und
Mikrochipproduktion. Doch fehlen in vielen Branchen Taiwans Arbeitskräfte,
auch in den Fabriken der für die Insel überlebenswichtigen
Elektronikindustrie.
Die Regierung in Taipeh fördert daher die Einwanderung von Arbeiter*innen
aus Südostasien. Über 700.000 von ihnen, vor allem aus Vietnam, Indonesien
und den Philippinen, halten Taiwans Wirtschaft am Laufen. Mehr als die
Hälfte von ihnen arbeitet in der Industrie, andere in Landwirtschaft,
Fischerei und häuslicher Pflege, meist unter ausbeuterischen Bedingungen.
„In Taiwan werden die ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter meist nur
als Werkzeuge wirtschaftlicher Produktivität gesehen, nicht als normale
Menschen“, klagt Ying-Dah Wong von der Serve the People Association (SPA)
Taoyuan im Norden Taiwans. Als Direktor der Abteilung für
Arbeitsmarktpolitik in der Nichtregierungsorganisation setzt er sich für
die Rechte der Wanderarbeiter*innen ein.
Viele verdienen ihm zufolge weniger als den Mindeststundenlohn von rund 5
Euro. Sie müssten außerdem an Vermittlungsagenturen in ihrer Heimat schon
vor Ankunft in Taiwan hohe Gebühren zahlen, um sich einen Arbeitsplatz zu
sichern. So kämen sie schon hoch verschuldet in Taiwan an.
## Migrant*innen ohne Papiere arbeiten meist im Bau oder Feld
Inzwischen leben zudem mehr als 80.000 Wanderarbeiter*innen ohne
legalen Aufenthaltsstatus im Land. Seit Ende 2022 ist ihre Zahl vor allem
aufgrund der aktuell schlechten Beschäftigungslage in Taiwan dramatisch
gestiegen. Die meisten von ihnen arbeiten illegal auf Baustellen oder in
der Landwirtschaft.
In Reaktion darauf brachte die regierende Demokratische Fortschrittspartei
(DPP) unter Präsidentin Tsai Ing-wen Anfang März eine Reform des
Einwanderungsgesetzes ins Parlament ein. Noch laufen die Abstimmungen über
deren umstrittensten Teil. Einwanderer*innen ohne Aufenthaltsstatus
drohen Geldstrafen in Höhe etwa eines fünffachen Monatsgehalts.
Wong fürchtet, dass sich ihre Lage dadurch weiter verschlechtert: „Da
werden Arbeiterinnen und Arbeiter noch weniger den Weg zurück in die
Legalität wagen. Die strukturellen Probleme hinter der Illegalisierung
werden so kein Stück gelöst.“
Sowohl die liberale DPP als auch die konservative Oppositionspartei
Kuomintang (KMT) vertreten seiner Ansicht nach vor allem die Interessen der
Arbeitgeber. Fragen der sozialen Gerechtigkeit stünden selten im
Mittelpunkt der Debatte. Die Diskurse der Parteien drehen sich oft vor
allem um den Umgang mit der Bedrohung durch China.
## Arbeitsmigrant*innen gründen eigenen Vertretungen
Doch unter den Arbeitsmigrant*innen regt sich Widerstand. In den
Fabriken organisieren sich viele von ihnen in eigenen
Interessenvertretungen. Zuletzt sorgten Proteste von Arbeitern in der
Fischerei für Aufmerksamkeit. Die meisten von ihnen stammen aus
Küstenregionen Indonesiens. Auf den taiwanischen Kuttern arbeiten sie teils
in Schichten von 20 Stunden am Stück, essen und schlafen an Bord.
Hochseefischer sind über Monate auf See ohne Kontakt zur Familie und
Freund*innen in der Heimat. Seit Februar protestieren Fischer und NGOs
gegen diese Bedingungen in Taiwan im Rahmen einer Kampagne des Indonesian
Seafarers Gathering Forum (FOSPI). Sie fordern unter anderem die Einführung
von W-LAN-Netzwerken auf den Kuttern, bisher vergeblich.
In Tamsui an der Nordküste arbeiten über hundert indonesische Fischer. Auf
vielen Kuttern bilden sie neben den taiwanischen Kapitänen die gesamte
Besatzung. „Wir haben kaum Freizeit. Wir stechen abends in See und kommen
erst am nächsten Nachmittag zurück“, erklärt ein Arbeiter am Ende seiner
Schicht. Er ist Muslim wie fast alle Kollegen. Derzeit arbeiten sie im
Fastenmonat Ramadan unter erschwerten Bedingungen.
In einem Hafengebäude haben die Fischer einen behelfsmäßigen Gebetsraum
eingerichtet. Der bekommt zum Ende des Ramadan eine besondere Bedeutung. Im
letzten Jahr musste der Fischer in der Nacht des Fastenbrechens noch auf
See arbeiten. Doch an diesem Samstag wird er gemeinsam mit Kollegen im
Gebetsraum das Fasten brechen.
21 Apr 2023
## LINKS
[1] /Reform-der-Fachkraefte-Einwanderung/!5924273
## AUTOREN
Leonardo Pape
## TAGS
Taiwan
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Arbeitsmigration
Ausbeutung
Bettina Stark-Watzinger
DDPP
Tsai Ing-wen
Schwerpunkt #metoo
Hubertus Heil
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
Pflege
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