# taz.de -- Gedenkstätten-Chef über AfD: „Wir möchten keine Kränze der Af… | |
> Im sächsischen Pirna könnte die AfD nach dem 17.Dezember den | |
> Oberbürgermeister stellen. Der Stiftungschef der NS-Gedenkstätte dort, | |
> Markus Pieper, grenzt sich klar ab. | |
Bild: In Pirna-Sonnenstein wurden tausende Menschen durch die Nationalsozialist… | |
taz: Herr Pieper, am Sonntag wird in Pirna ein neuer Oberbürgermeister | |
gewählt. Im ersten Wahlgang lag der AfD-Kandidat Tim Lochner mit 33 Prozent | |
und 10 Prozentpunkten vor den Kandidaten von CDU und Freien Wählern, im | |
zweiten Wahlgang reicht ihm eine einfache Mehrheit. Was würde ein | |
AfD-Oberbürgermeister für den NS-Erinnerungsort Pirna-Sonnenstein bedeuten? | |
Markus Pieper: Der Verfassungsschutz hat gerade auf die Bestrebungen der | |
AfD Sachsen gegen die freiheitlich-rechtliche Grundordnung hingewiesen. Für | |
uns ist dabei der entscheidende Punkt, dass sich das Menschenbild der AfD | |
aus nationalsozialistischen Traditionen speist. Mit extremistischen | |
Bestrebungen – egal aus welcher Richtung – können wir natürlich nicht | |
zusammen arbeiten. Wir zeigen in unseren Ausstellungen konkret, was | |
passiert, wenn zentrale Werte wie die Menschenwürde in parlamentarischen | |
und pluralistischer Demokratien ausgehebelt werden. Entsprechend halten wir | |
es für alarmierend, dass eine extremistische Organisation wie die AfD | |
derzeit so großen Zuspruch findet. | |
In Pirna ermordeten Nationalsozialisten in der NS-Zeit Tausende von | |
vorwiegend psychisch kranke und gestig behinderte Patienten. Würde ein | |
AfD-Oberbürgermeister in Pirna auf Ihre Arbeit Einfluss nehmen? | |
Wir haben hier immerhin den Vorteil – es gibt ja ähnliche Diskussionen und | |
Probleme auch in anderen Orten – dass wir die Gedenkstätte | |
Pirna-Sonnenstein in eigener Trägerschaft führen. Wer in Pirna als | |
Oberbürgermeister regiert, hat keinen unmittelbaren Einfluss auf unsere | |
Arbeit in der Gedenkstätte, die Liegenschaften sind auch nicht im | |
kommunalen Besitz. Wir könnten unsere Erinnerungsarbeit fortsetzen wie | |
bisher – auch wenn es natürlich wie überall Berührungspunkte mit der | |
Kommune gibt und in der Regel auch gemeinsame Projekte. | |
Wie würden Sie sich bei Veranstaltungen an Gedenktagen positionieren, | |
sollte ein AfD-Oberbürgermeister im Rathaus sitzen? | |
Es ist klar, dass es keine Zusammenarbeit geben kann. Unsere Gedenkorte | |
haben den gesetzlichen Auftrag, ein ehrendes Andenken an die Opfer der | |
NS-Diktatur wachzuhalten. Das schließt aus, dass wir extremistischen | |
Parteien und Organisationen Raum geben oder sie zu Veranstaltungen | |
einladen. Kranzniederlegungen oder Delegationsbesuche von der AfD lehnen | |
wir ebenso ab. Hier kann und darf sich niemand positionieren, der | |
extremistische Positionen vertritt. | |
Was ist das Besondere an der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein? | |
Das vorherige Krankenhaus für psychisch Kranke und behinderte Menschen | |
wurde im NS zu einer Tötungsanstalt umgewandelt. Es gab hier früh eine | |
Gaskammer im Keller mit angeschlossenem Krematorium, wo rund 14.000 | |
vorwiegend psychisch kranke und geistig behinderte Menschen ermordet und | |
verbrannt worden sind. Zudem wurden an diesem Ort mehr als tausend | |
Häftlinge aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern im Rahmen der | |
„Sonderbehandlung 14f13“ ermordet. | |
## Wie wurde das aufgearbeitet? | |
Nach dem Krieg ist vieles davon weitgehend in Vergessenheit geraten. Die | |
Nationalsozialisten haben noch während des Kriegs versucht, die Spuren zu | |
verwischen und die Anlagen abgebaut. Zu DDR-Zeiten war es dann weitgehend | |
vergessen, aber nicht ganz: Denn nach 1989 haben zivilgesellschaftliche | |
Initiativen für die Erinnerung gekämpft, was letztlich zur Gründung der | |
Gedenkstätte geführt hat. Heute gibt es hier moderne Angebote inklusive | |
Peer-Projekte, die Menschen mit Behinderungen einbinden und begleitete | |
Führungen ermöglichen. Als Gedenkstätte für NS-Krankenmorde reicht die | |
Bedeutung von Pirna-Sonnenstein weit über Sachsen hinaus. | |
Der AfD-Kandidat Lochner wurde im Wahlkampf unter anderem vom | |
EU-Spitzenkandidaten der AfD, Maximilian Krah, unterstützt. Der sagte | |
[1][auf dem Marktplatz in Pirna], Politiker wollten den Bürgern nur | |
einreden, dass ihre Vorfahren Verbrecher waren. Wie sehen Sie das? | |
Solche Aussagen stehen wie auch der „Fliegenschiss“-Vergleich von Gauland | |
oder die Höcke-Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 | |
Grad“ unseren Positionen diametral entgegen. Diese | |
geschichtsrevisionistischen Debatten verfolgen uns seit Jahren. Einerseits | |
sollen wir als vom Parlament eingesetzte Stiftung parteipolitisch neutral | |
sein, andererseits stehen die Positionen der AfD im krassen Gegensatz zu | |
unserem gesetzlichen Auftrag. Klar ist: Wir werden mit der AfD nicht | |
zusammen arbeiten. Es ist unser Auftrag, [2][an Geschichte und Verbrechen | |
zu erinnern, an die Shoa], rassistische Politik, die Ermordung politischer | |
Gegner – auch in dem Sinne, dass sich so etwas nicht wiederholt. Wir müssen | |
daran mitwirken, die Gesellschaft gegen Rassismus und Antisemitismus zu | |
wappnen. | |
Bei der Landtagswahl im Jahr 2024 könnte die AfD in Sachsen die stärkste | |
Kraft werden. Welche Risiken sehen Sie da für die Stiftung Sächsische | |
Gedenkstätten und die Erinnerungskultur im Land? | |
Natürlich erfüllen uns die Umfragen mit großer Sorge. Ich befürchte auch, | |
die Einstufung als gesichert rechtsextrem wird daran nicht viel ändern. | |
[3][Die AfD ist eine starke politische Kraft auch in Sachsen]. Wir sind | |
eine Stiftung ohne Vermögen, bekommen Zuwendungen vom Land und aus dem | |
Bund, sind abhängig von Haushaltsentscheidungen des Parlaments. Mit mehr | |
Einfluss oder gar in der Landesregierung könnte die AfD also Gelder | |
streichen. Ebenso ist gesetzlich geregelt, dass die Kulturministerin den | |
Vorsitz in unserem Stiftungsrat hat und dort Einfluss nehmen kann. Mit noch | |
größere Sorge betrachten wir aber gerade die Kommunalwahlen im Juni 2024. | |
Warum die Kommunalwahlen? | |
Es gibt in Sachsen ein unglaublich diverses Feld von Erinnerungsorten in | |
freier oder kommunaler Trägerschaft. Für die lokale Aufarbeitung und | |
Erinnerungskultur sind auch solche lokalen Initiativen enorm wichtig. | |
Sollte die AfD Stadtrats- oder Kreistagsmehrheiten bekommen, droht ihnen | |
die Streichung von Geldern. Bislang ist das noch kein Problem, aber es gibt | |
sachsenweit sehr viele Aufarbeitungsinitiativen, die davon betroffen sein | |
könnten. Wenn die AfD hier die Macht hätte, dezentral Gelder zu streichen, | |
könnte viel verloren gehen – und es ist viel weniger | |
öffentlichkeitswirksam. | |
Was kann man dagegen tun? | |
Wir beraten teilweise kommunale Träger sowie zivilgesellschaftlich | |
engagierte Akteure und es ist kompliziert. Wir können häufig nicht | |
einfachen übernehmen, zumal das politische System und die | |
Parteienlandschaft dort nochmal anders aufgestellt ist. Aber natürlich wäre | |
eine Überlegung, NS-Gedenkstätten in freier Trägerschaft in einen sicheren | |
Hafen wie etwa unsere Stiftung zu überführen, weil man nicht weiß, wie sich | |
die Lage entwickelt. Aber das ist zurzeit leider unrealistisch, auch wir | |
sind finanziell alles andere als gut aufgestellt, [4][der kommende | |
Doppelhaushalt ist für uns fast eine Überlebensfrage]. | |
15 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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