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# taz.de -- Digitalisierung beim Bafög: Online-Antrag, ausgedruckt
> Digitales Bafög sollte vieles leichter machen – doch bisher ist oft das
> Gegenteil der Fall. Studierende warten teils noch länger auf ihren
> Bescheid.
Bild: Digitalisierung kann in Bayern mitunter auch analog sein: Bafög-Antrag 2…
München taz | Das Studierendenwerk München Oberbayern hat ziemlich viel
Arbeit mit ins neue Jahr geschleppt. In dieser Woche werden die
Sachbearbeiter:innen immer noch Bafög-Anträge aus dem August
abarbeiten. Isabella Engelke wartet sogar schon seit Juni auf ihren
Bescheid. Die 22-Jährige studiert Kunstgeschichte an der
Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Als sie sich zuletzt im November nach dem Stand der Bearbeitung erkundigte,
reagierte der Sachbearbeiter dünnhäutig: „Wenn ich morgen vom Bus
überfahren werde, macht niemand meine Arbeit.“ Auf seiner Website bittet
das Münchner Studierendenwerk, keine Nachfragen zum Bearbeitungsstand zu
stellen. Wegen der hohen Arbeitsdichte fielen über den Jahreswechsel auch
die Telefonsprechzeiten für drei Wochen aus.
Dass die Bafög-Ämter bis zu zwei Monate brauchen können, um einen Antrag zu
bearbeiten, ist bekannt. Doch aktuell häufen sich die Fälle, in denen
Studierende deutlich länger warten. Bei einer Umfrage der „Tagesschau“
unter fast 3.000 Studierenden gab jede:r Dritte an, bis zu fünf Monate
oder länger zu warten. Die Bafög-Ämter begründen das teils mit der höheren
Nachfrage. Im Jahr 2022 erhielten knapp 490.000 Studierende Bafög – und
damit 5 Prozent mehr als 2021.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) führt den Anstieg
auf die Bafög-Reform zurück, die die Ampel zu Beginn ihrer Amtszeit
durchgeführt hat. Damals erhöhten SPD, Grüne und FDP nicht nur die
Fördersätze, sondern auch Freibeträge und Altersgrenzen. Der Kreis der
Studierenden, die Bafög beantragen dürfen, ist damit größer geworden.
## Auswirkungen des Fachkräftemangels
Das bemerken auch die Bafög-Ämter. Beim Studierendenwerk München
Oberbayern, das für Studierende von 19 Hochschulen zuständig ist, gingen im
vergangenen Jahr 270 Anträge mehr als noch 2022 ein. Das Deutsche
Studierendenwerk (DSW) schätzt, dass ein:e Sachbearbeiter:in im
Durchschnitt pro Jahr mittlerweile 650 Fälle bearbeitet.
DSW-Geschäftsführer Matthias Anbuhl beobachtet, dass der Fachkräftemangel
auch die Bafög-Ämter trifft. Es werde immer schwerer, Fachpersonal mit der
nötigen juristischen und verwaltungstechnischen Ausbildung zu finden, sagt
Anbuhl der taz. „Die Konkurrenz durch die Kommunen ist groß, die können
auch mehr bezahlen.“ Allerdings scheint nicht überall Personal zu fehlen:
Das Studierendenwerk Berlin beispielsweise teilt auf Anfrage mit, nicht vom
Personalmangel betroffen zu sein – und Bafög-Anträge im Schnitt in 8–10
Wochen zu bearbeiten.
Davon kann Martina Jobst, Sachbearbeiterin im Studierendenwerk Regensburg,
nur träumen: „Aktuell ist der Stand, dass viele von uns mit den
Weiterförderungsanträgen aus dem Jahr 2022 noch nicht fertig sind.“ Seit
1991 bearbeitet Jobst Bafög-Anträge. Sie kennt noch die Zeiten, als Anträge
schriftlich bearbeitet und Datenblätter an ein externes EDV-Institut
weitergeleitet wurden. Ganz so umständlich läuft die Bearbeitung nicht mehr
ab, dennoch stapeln sich die Aktentürme. „Momentan gibt es einen enormen
Mehraufwand, weil der Antrag digital ist, aber die Bearbeitung nicht.
Früher kamen die Anträge per Post und wir konnten es direkt abheften. Jetzt
muss man es immer ausdrucken, sortieren und zuteilen“, sagt Jobst.
## In Bayern ist die Digitalisierung analog
Wie in allen anderen Bundesländern wurde vor zwei Jahren auch im
Studierendenwerk Regensburg ein einheitliches digitales Antragssystem für
das Bafög-Verfahren eingeführt. Die Problematik dabei: Studierende können
die Anträge zwar online stellen, doch die Sachbearbeiter:innen müssen
diese nach wie vor ausdrucken und in analoge Akten sortieren. Für die
Sachbearbeiter:innen bedeutet das: unnötige Mehrarbeit. „Die ganze
Papierflut führt zu Bearbeitungsstaus“, so Jobst. Hinzu komme, dass manche
Studierende den Antrag über das Onlineportal stellten, ihre Unterlagen aber
zusätzlich noch postalisch schickten. „Das muss man dann erst mal
durchblicken.“
Als „Digitalisierung ad absurdum“ bezeichnet DSW-Geschäftsführer Anbuhl d…
aktuellen Stand: „Wir haben zwar den digitalen Antrag, aber es gibt keinen
digitalen Bescheid und keine digitale Akte.“ Die Leidtragenden seien
letztlich die Studierenden, die lange auf ihren Antrag warten müssten – und
die Beschäftigten in den Bafög-Ämtern.
Eigentlich sollte diese Problematik inzwischen zumindest in Sachsen-Anhalt
gelöst sein. Im Digitalisierungsprozess des Bafög-Verfahrens ist es das
erste Bundesland, das eine elektronische Akte einführen sollte,
vorangegangen mit den Studierendenwerken Halle und Magdeburg. Dieser
Prozess gerät nun aber auch ins Stocken: „Der Testbetrieb für die E-Akte
ist im Studierendenwerk Halle inzwischen abgeschlossen, dabei wurde
festgestellt, dass es noch Erweiterungen bei der Datenbank-Infrastruktur
des Bafög-Verfahrens bedarf“, sagt Stefanie Loreck, Pressesprecherin des
Studierendenwerk Halle.
## Verzögerte Auszahlung schafft soziale Härten
Geplant sei, dass die E-Akte zum Frühjahr 2024 genutzt wird. Bis dahin
stapeln sich die Anträge weiter, eine enorme Mehrbelastung für die
Sachbearbeiter:innen, besonders vor dem Hintergrund steigender
Onlineanträge: In Halle stellten dieses Jahr dreimal so viele Studierende
einen Online-Antrag wie noch im Vorjahr. Nach Angaben des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat sich die Zahl der
Onlineanträge bundesweit in den ersten sieben Monaten des Jahres im
Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 15.000 erhöht.
Für manche Student:innen hat die stark verzögerte Auszahlung des Bafög
harte Konsequenzen. Etwa für Phoebe Adamietz, die an der LMU München
Philosophie und Anglistik studiert. Sie muss jetzt von München in das
Umland ziehen, weil sie ihre Miete nicht mehr zahlen kann und von ihrer
Familie auch nicht entsprechend unterstützt werden kann. „Um weiter
studieren zu können, nehme ich jetzt einen Kredit bei der KfW auf“, sagt
Adamietz.
Warum die Einführung der E-Akte nicht in allen Ländern zeitgleich
stattfindet, liegt an der gesetzlichen Regelung für die
Bundesauftragsverwaltung. Gemäß dieser sind ausschließlich die Länder und
Kommunen für die Bearbeitung der Bafög-Anträge zuständig und somit auch für
deren Digitalisierung. Die 150 Millionen Euro, die der Bund in diesem Jahr
zusätzlich für Bafög zur Verfügung stellt, können deshalb auch nicht dafür
ausgegeben werden. Aus dem BMBF heißt es dazu auf Anfrage: „Der Bund kann
lediglich eine zeitnahe Einführung der E-Akte fordern, was er in der
Vergangenheit mehrmals getan hat.“
## Komplizierte Prüfverfahren
Neben der stockenden Digitalisierung sorgen aber auch die komplexen
Bearbeitungsvorgaben für Verzögerungen. „Bei vielen Anträgen müssen wir
Unterlagen nachfordern“, sagt Sachbearbeiterin Jobst. Besonders bei den
Einkommensnachweisen der Eltern könne es kompliziert werden: „Wenn sie
geschieden sind und neue Partner:innen haben, müssen wir auch Nachweise
über die Unterhaltsleistungen dieser anfordern, um die Freibeträge
berechnen zu können“, sagt Jobst.
Zudem würden die Fälle auch immer komplexer: „Wir haben auch viele
internationale Studierende. Da gibt es auch Sprachbarrieren und Fragen zum
Aufenthaltsstatus.“ So sei etwa die Zahl der Bafög-Anträge von ukrainischen
Studierenden gestiegen. Da, so Jobst, müssten die Nachweise der Vorstudien
geprüft werden.
Die häufigen Nachforderungen von Unterlagen treffen bei vielen Studierenden
und deren Eltern auf Unverständnis. Die Münchner Studentin Engelke musste
beispielsweise nachweisen, dass ihre 11-jährige Schwester nicht arbeitet
und nicht zu einem höheren Gesamteinkommen der Eltern beiträgt. Ihre
Kommilitonin Adamietz wurde dazu aufgefordert, Dokumente einzureichen, die
das Amt eigentlich bereits mit ihrem Erstantrag erhalten hatte.
## Es fehlen die Sachbearbeiter:innen
Martina Jobst weiß um diese Diskrepanz, sie nimmt viele verärgerte Anrufe
von Eltern und Studierenden entgegen. „Die Studenten denken dann, wir
wollen ihnen was Böses. Ich verstehe ihre Seite auch, aber es ist eben die
gesetzliche Vorgabe, entsprechende Dokumente anzufordern.“
Nicht selten läuft die Kommunikation aber auch einfach deshalb schief, weil
Sachbearbeiter:innen schlicht überlastet sind. Im Studierendenwerk
München wäre eine „Aufstockung des Personals um 30 Prozent wünschenswert�…
teilt ein Sprecher mit. Das Studierendenwerk Niederbayern/Oberpfalz, dem
auch das Amt in Regensburg angehört, in dem Martina Jobst arbeitet, hat
diesbezüglich bereits einen Antrag an das Bayerische Finanzministerium
gestellt.
Ob die Bafög-Ämter gehört werden, ist ungewiss. Bis es so weit ist, bleibt
Student:innen wie Isabella Engelke und Phoebe Adamietz nichts weiter
übrig, als zu warten, bis Sachbearbeiterinnen wie Martina Jobst irgendwann
ihren Antrag im Stapel erreichen.
3 Jan 2024
## AUTOREN
Sara Rahnenführer
## TAGS
Bildung
Bafög
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