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# taz.de -- Iranischer Regimegegner über Folter: „Einen kleinen Schlitz in d…
> Als 2022 in Iran die Proteste begannen, war der Aktivist Kayvan Samadi
> vorn dabei. Dann wurde er in einem Foltergefängnis festgehalten. Ein
> Gespräch.
Bild: Saß drei Wochen in iranischem Foltergefängnis: Kayvan Samadi
taz: Vor Ihrer Flucht nach Deutschland waren Sie aufgrund Ihres Aktivismus
in Iran sechs Mal inhaftiert, zuletzt in einem „Geheimgefängnis“. Was hat
es damit auf sich?
Kayvan Samadi: Geheimgefängnisse sind im System nicht offiziell
registriert. Sie sind nicht ausgeschildert, niemand weiß von ihrer
Existenz. Sie können sich zum Beispiel in einem Lagerhaus oder in einer
Fabrik befinden. Am Ende einer Straße, hinter einer Schule, befand sich
mein Haftzentrum. Ich konnte den Standort im Nachhinein ausfindig machen.
Was passierte nach Ihrer Festnahme?
Das Regime hat zwei Dinge getan, um mich zum Schweigen zu bringen. Zuerst
haben sie mich schwer gefoltert, mich mental unter Druck gesetzt. Dann
haben sie eine Kaution von mir verlangt. Sie dachten, weil ich nicht wollen
würde, dass mein Eigentum, welches ich als Kaution hinterlegt habe,
verloren geht, und weil ich gefoltert wurde, würde ich schweigen und nicht
mehr aktiv sein. Deswegen haben sie mich nach 21 Tagen vorübergehend
freigelassen.
Unterscheidet sich Folter in Geheimgefängnissen von der in regulären
Gefängnissen?
In meinen früheren Gefangenschaften wurde ich nicht viel physisch
gefoltert. Damals waren nicht viele so aktiv, und es war leicht für sie,
mich zu kontrollieren. Sie misshandelten mich damals hauptsächlich durch
psychischen Druck. Sie drohten mir, schrien oder beleidigten mich. Aber in
diesem Geheimgefängnis haben sie mich so gefoltert, wie sie es wollten.
Warum? Weil du nicht mal weißt, wen du nach deiner Freilassung für die
Folter zur Rechenschaft ziehen kannst. Bis zu dem Tag, an dem sie mir das
Geständnisformular hingelegt hatten, wusste ich nicht mal, mit welchem
Organ [Revolutionsgarde, Geheimdienstministerium oder Polizei; Anm. d.
Red.] ich es zu tun hatte. Außerdem wusste ich nicht, wo ich war. Ich habe
es später herausgefunden, basierend auf den Geräuschen, die ich hörte, und
den Dingen, die einige der anderen Gefangenen mir erzählt haben. Bei der
Verhaftung stecken sie deinen Kopf in einen Sack oder drücken im Auto
deinen Kopf runter, und du hast keine Ahnung, wohin sie dich bringen.
Später sagen sie dann einfach: „Das waren nicht wir. Das waren vielleicht
Entführer oder Geiselnehmer.“
Ihre Familie wusste auch nicht, wo Sie waren?
Nach ein paar Tagen durfte ich meine Familie anrufen und habe ihnen gesagt,
dass ich am Leben, unversehrt und inhaftiert bin. Das war alles, was ich
sagen durfte. Sie haben mich gewarnt, dass sie mich sonst verprügeln
würden. Es saß jemand neben mir und hat aufgepasst. Meine Familie hat sich
bemüht, mich zu finden, ist zur Polizeiwache und den Gefängnissen gegangen.
Alle sagten: Wir haben ihn nicht, probiert es woanders. Selbst der Anwalt
konnte mich nicht finden. Das wird vielen angetan. Gefangene bekommen oft
nicht einmal das Recht anzurufen. Dies ist eine Form der [1][Folter] für
die Familien.
Warum wird den Familien das angetan?
Das ist eine Präventivmaßnahme für die Zukunft. Die Familien sollen dich
nach deiner Freilassung davon abhalten, aktiv zu sein, aufgrund der Qualen,
die sie während deiner Gefangenschaft erlitten haben. Eine weitere Folter
ist die Unwissenheit, die du als Gefangener über deine Familie hast. Du
fragst dich, was deiner Familie passiert ist. Wie geht es meiner Mutter?
Was ist mit meinem Bruder passiert? Nicht dass sie meinen Vater meinetwegen
verhaften! Es soll die Gefangenen brechen. Viele Menschen sind sehr eng mit
ihren Familien verbunden, und es ist für sie unerträglich, mehr als einen
Tag lang keinen Kontakt zu ihnen zu haben. Zum Beispiel 14- oder
15-Jährige, die im letzten Jahr bei den Protesten sehr aktiv waren und
verstärkt verhaftet wurden. Oder jemand, der ein Kind hat. Mit dieser
Methode werden diese Personen gebrochen. Sie setzen das Telefon wie eine
Belohnung ein. Wenn du ein falsches Geständnis ablegst, darfst du mit
deiner Familie sprechen. Aber wenn du gestehst, stirbst du doch! Es sind
teilweise harte Anschuldigungen, die sie dir vorlegen. Wenn du sie
akzeptierst wegen eines Anrufs, ist das vielleicht der letzte Anruf deines
Lebens. Dieses System funktioniert vor allem in Einzelhaft gut.
Waren Sie in Einzelhaft?
Ja. Geheimgefängnisse sind normalerweise Einzelhaft. Das ist eine Art
Folter für sich. Du bist in einer kleinen und sehr kalten Umgebung. In
meiner Zelle gab es eine sehr schmutzige Lampe, die anderen Zellen hatten
überhaupt kein Licht. Es gab nur einen kleinen Schlitz in der Wand, wodurch
etwas Licht kam. Und ehe du dich an diese Umgebung gewöhnt hast, wechseln
sie deine Zelle.
Wieso?
Selbst in der schlimmsten Unterkunft gewöhnt man sich nach zwei, drei Tagen
an die Bedingungen. In Gefangenschaft passiert das schneller. Und dann
kommen sie und ändern die Zelle schnell, ehe du dich zu sehr daran
gewöhnst.
Neben solchen Geheimgefängnissen gibt es in Iran auch Safehouses. Was hat
es damit auf sich?
Safehouses funktionieren ähnlich wie Geheimgefängnisse. Dort halten sie
Personen für einige Tage fest und führen Verhöre durch. Wenn sie etwas
finden, das eine Überführung ins Gefängnis rechtfertigt, wird die Person
überstellt, andernfalls lassen sie sie frei. Ein Safehouse kann sich in
normalen Wohngebieten befinden und wie ein gewöhnliches Haus aussehen. Wir
konnten anhand von Berichten aus den Nachbarschaften herausfinden, wo sich
einige Safehouses befinden. Man berichtete uns von Schreien, Weinen und
seltsamem Kommen und Gehen. Das haben wir dann überprüft, das Haus
beobachtet und gesehen, dass es Revolutionsgardisten sind, die dort ein und
aus gehen. So konnten wir feststellen, dass an dem Ort ein Safehouse sein
muss.
Hat die Anzahl solcher Geheimgefängnisse und Safehouses zugenommen?
Die Anzahl hat [2][während der Revolution] [gemeint ist die „Frau, Leben,
Freiheit“-Bewegung von 2022; Anm. d Red.] zugenommen, weil es nicht genug
Platz für Gefangene gab. Sie haben viele Menschen, teils Hunderte, auf
einmal auf der Straße festgenommen, daher wurden verstärkt Lagerhäuser,
alte Fabriken und dergleichen als Haftanstalt verwendet. Geheimgefängnisse
gibt es ausnahmslos überall. Die Anzahl variiert aber. Dort, wo mehr los
war, brauchte es mehr Geheimgefängnisse. Aber Safehouses sind
hauptsächlich in Kurdistan und auch in Belutschistan [marginalisierte
Provinzen in Iran; Anm. d. Red.] vorhanden.
2 Jan 2024
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## AUTOREN
Daniela Sepehri
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