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# taz.de -- Kunstprojekt zum Zuhören: Der Sound der vermessenen Arktis
> Eine Performance im ehemaligen Krematorium in Wedding zeigt, wie
> schwierig es ist, Datenströme hörbar zu machen. Über Töne und Daten.
Bild: Spannendes Kunstprojekt „klimaton“: wie lassen sich Datenströme in L…
Es macht seinem Namen alle Ehre, das [1][„silent green“] in Berlin-Wedding.
Tritt man durch die äußere Pforte auf das Areal des ehemaligen
Krematoriums, öffnet sich eine andere Welt. Eingefriedet von schmucken
Mauern versteckt sich hier eine kleine Grünanlage, die einst als mentale
Pufferzone zwischen der lärmenden Außenwelt [2][und dem eigentlichen
Krematorium diente], einem auffälligen Kuppelbau, der schon seit vielen
Jahren seiner ursprünglichen Bestimmung entwöhnt ist und als eine der
originellsten Kultur-Locations der Hauptstadt fungiert.
Originell ist nicht nur der Bau, sondern das müssen auch die Formate der
hier stattfindenden Veranstaltungen sein, denn der achteckige Saal mit
seinen zwei in luftiger Höhe rundum laufenden Galerien verweigert sich
jeder konventionellen Guckkasten-Bespielung.
An diesem Abend sind im Saal technische Gerätschaften aufgebaut, die
teilweise identifizierbar sind – viele Lautsprecherboxen –, aber auch
Rätsel aufgeben: Vor allem das eigenartige Instrument auf dem Podium hat
eine sehr spezifische Bestimmung. Über einer Synthesizertastatur findet
sich eine Schalttafel mit zahlreichen Reglern, an denen naturbezogene
Begriffe stehen wie „snowfall“, „cracking“ oder „plankton“, die ihr…
sechs Überbegriffen untergeordnet sind.
Man habe, erklärt Nina Softić, die gemeinsam mit Adnan Softić das
[3][Kunstprojekt „klimaton“] federführend verantwortet, aus der gewaltigen
Menge an Daten, die während der großen Arktis-Expedition des
Alfred-Wegener-Instituts 2019–20 gewonnen wurden, einige Reihen
herausgegriffen, also das Datenmaterial stark komprimiert. Diese
Datenreihen seien in Kurven umgewandelt und diese Kurven wiederum
anschließend hörbar gemacht worden durch die Art, wie sie einen bestimmten
Grundton verändern.
## Emotionaler Zugang zu abstrakten Daten
In der Selbstbeschreibung des Projekts heißt es: „Wie kann die Katastrophe
des menschengemachten Klimawandels anders als in verschlüsselten und schwer
verständlichen Messergebnissen erzählt werden?“ Und: „Über Töne wird ein
emotionaler Zugang zu den abstrakten Daten ermöglicht, die so erfahrbar und
greifbarer werden.“
Das klingt schön und ist ein großes Ziel. Die Softićs haben drei Jahre lang
daran gearbeitet. Ferner haben zwei Komponisten mitgewirkt, zwei
Schriftstellerinnen, außerdem Techniker und Datenspezialisten, um das
Instrument zu bauen und drumherum eine aufwändige Performance zu
inszenieren. Und für dieselbe sind wir also hier, hingegossen auf bequeme
Sitzsäcke im großen Achteck.
Die Sitzsäcke werden sich im Laufe der Performance als sehr nützlich
erweisen, denn der schönste Teil spielt sich zwischendurch an der fernen
Saaldecke ab. Während die Lautspur eines arktischen Sturmes – nicht in
echt, sondern als in elektronisches Gewabere übersetzte Daten –, durch die
Lautsprecher fegt, erscheinen dort oben von den Rändern her erste
Zahlenreihen, schwimmen durcheinander wie Fischchen im Wasser, vermehren
sich allmählich, formieren sich immer wieder um, vervielfältigen sich ins
Unermessliche, schlingen sich zu dreidimensionalen Gebilden, erweitern den
optischen Raum ins Unendliche, und sind die ganze Zeit unablässig in
Bewegung …
Das ist so eindrucksvoll, dass man darüber glatt vergisst, auf die
gleichzeitige akustische Beschallung zu achten, die doch angeblich den
Auftrag der emotionalen Berührung des Publikums in sich trägt. Es ist aber
einfach so, dass das Übersetzen von Messergebnissen in Ton die Abstraktheit
der Daten noch einen Schritt weiter treibt, statt sie zu entschärfen.
Vielleicht war dieses Problem den Beteiligten ja auch irgendwann
aufgefallen, und deswegen wurden dann noch ein paar Szenen in die
Aufführung eingebaut, in denen von allen PerformerInnen im
Kirchentagsgestus Betroffenheitstexte gesungen werden. Diese Momente sind
dann wirklich emotional berührend, aber eher im Fremdschämmodus. Immerhin:
Der Nachweis, [4][dass das Kommunizieren von Forschungsergebnissen zum
Klimawandel nicht einfach ist], wurde an diesem Abend erbracht. Und im Café
des silent green gibt es übrigens ganz hervorragenden Kuchen.
15 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.silent-green.net/
[2] /Klimafreundliche-Krematorien/!5863959
[3] https://rudolf-augstein-stiftung.de/foerderbereich-kunst-projekte/klimaton/
[4] /Gute-Klima-Kommunikation/!5915372
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
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