| # taz.de -- „Heimatlieder“ im Theater: Wo ist zu Hause, Mama? | |
| > Im Berliner Schillertheater waren musikalisch doppelte | |
| > Staatsbürgerschaften zu hören. Mit dabei: entrückter Swing und auch die | |
| > Frage nach dem Eigenen. | |
| Bild: Miteinander und große Sprünge beim Heimatlieder-Finale | |
| Es gibt so Fragen, die einen nicht loslassen. [1][„Wo ist zu Hause, Mama?“] | |
| zum Beispiel. Johnny Cash hat das mal gesungen. Ob dieser besondere Ort auf | |
| der Straße zu finden sei, fragt er in dem Lied mit seinem markanten | |
| Bassbariton, vielleicht hinter den blauen Bergen, in den grünen Tälern oder | |
| doch bei den hellen Sternen? | |
| Wo ist nun dieses Zuhause? | |
| Mit Sternen war jedenfalls schon mal nichts in dieser Nacht, an grünen | |
| Tälern kommt man so spät im November in Berlin auch nicht vorbei. Die | |
| Straße aber führte zuverlässig zum Schillertheater, in dem möglicherweise | |
| sogar eine weitere Begriffsklärung zu erwarten war: „Heimatlieder aus | |
| Deutschland“ war das Motto des Konzertabends. | |
| Als dieses Format vor zehn Jahren seine Premiere feierte, war das | |
| musikalisch nicht wirklich was Neues. Ein derart vielfach sortiertes | |
| Folkloreprogramm war in Deutschland schon lange zu hören, bei Festivals, | |
| auf Straßenfesten, nicht nur in Berlin. | |
| ## Musikalisch doppelte Staatsbürgerschaften | |
| Neu war nur die Blickrichtung: dass diese mit den Menschen nach Deutschland | |
| eingewanderten Lieder eben nichts Exotisches sind, sondern Lieder aus in | |
| Deutschland gepflegten Traditionen. Musikalisch doppelte | |
| Staatsbürgerschaften, die sich halt zum „Ännchen von Tharau“ gesellen (we… | |
| dieses Lied überhaupt noch wo gesungen wird). | |
| Mit dem Trio Fado waren im Schillertheater Sehnsuchtslieder aus Portugal | |
| zu hören in einer ausgezirkelten Eleganz und danach hypnotische Melodien | |
| aus Vietnam, die einen so betörten wie die Schlange Kaa im Dschungelbuch | |
| Mowgli. Serbische Lieder schnitten sich mit schmerzvollem Gesang ins Herz, | |
| der Maghreb präsentierte sich mit lässig entrücktem Swing, sanft wiegend | |
| und beschwörend die Klänge aus Kamerun. Farbenfrohe Kostüme waren zu sehen | |
| auf der Bühne, die man mit ein wenig touristischer Erfahrung auch gleich | |
| wieder einer Weltregion zuordnen konnte, während der Moderator einem mit | |
| auf den Weg gab, dass es an diesem Abend und auch überhaupt doch „um die | |
| Überwindung von Klischees“ gehe. | |
| Schön war, dass sich das Publikum und die vielen Künstler*innen des | |
| Abends die ganze Zeit gegenübersaßen. Die einen im hinteren Teil der Bühne | |
| (wobei schon darauf geachtet wurde, die Kostüme mit den größeren | |
| Schauwerten weiter vorn zu drapieren), die anderen im Saal. Dazwischen | |
| sangen die jeweils Auftretenden ihre Lieder, die sich am Schluss ihrer | |
| Runde – beklatscht von beiden Seiten – dann auch zu beiden Seiten hin | |
| dankend verneigten. | |
| An dem Abend wurde das Finale dieses [2][Heimatliederabends] gefeiert, das | |
| Format wird verabschiedet, die Musik und die Ensembles aber bestehen ja | |
| weiterhin. So wie der Koreanische Meari Chor Berlin. Die meisten der | |
| älteren Frauen in ihren traditionellen gebauschten Kleidern sind in den | |
| 60er Jahren als Krankenschwestern im Rahmen eines Anwerbeabkommens aus | |
| Südkorea nach Deutschland gekommen. | |
| Auch anatolische Lieder waren zu hören in einer strahlenden Schönheit. | |
| Gesungen wurden sie von Petra Nachtmanova. Die in Wien geborene Nachtmanova | |
| hat polnische und tschechische Wurzeln. Ein Patchwork. Auf der Bühne saßen | |
| die MusikerInnen gemeinsam, in der Musik blieben sie getrennt, um so das je | |
| Eigene klar konturiert zur Schau zu stellen. | |
| Aber was ist das, das Eigene? Und wer darf sich das aneignen? Und wo soll | |
| es hingehen mit den Traditionen?, das waren so Gedanken, die man sich | |
| eingeklemmt in den Stuhlreihen machte, und ob das mit den blauen Bergen und | |
| den grünen Tälern überhaupt die wirklich zielführenden Fragen sind, während | |
| auf der Bühne die Musik mit Rafael Martinez und seinen Compadres und | |
| schmissigen kubanischen Liedern plötzlich einen tänzelnden Hüftschwung hat. | |
| Der auf der Bühne auch ausgenutzt wurde. Erst waren es einzelne, und am | |
| Schluss tanzten wirklich alle der Heimatliedermacher*innen zur Musik | |
| der Compadres, alleine oder paarweise, zusammen, durcheinander, wie auch | |
| immer. | |
| Und das ist es doch letztlich, um was es geht. | |
| 29 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=M5XQHmKIH1g | |
| [2] http://heimatliederausdeutschland.de/home.html | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Mauch | |
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