# taz.de -- Grüner hört auf: Trittin tritt ab | |
> Nach 25 Jahren verlässt Ex-Minister Trittin den Bundestag. Bei seiner | |
> letzten Rede lobt er die Kunst des Kompromisses. Friedrich Merz | |
> applaudiert. | |
Bild: Jürgen Trittin in der 144. Plenarsitzung des Deutschen Bundestags in Ber… | |
Berlin taz | Am Ende seiner Rede steht eine Mahnung. „Wenn Demokraten nicht | |
zusammenstehen, kommen Antidemokraten an die Macht“, sagt Jürgen Trittin. | |
Der Grüne lobt Kompromisse und [1][Konsense wie beim Atomausstieg] und dem | |
Sondervermögen für die Bundeswehr, auch lagerübergreifende Koalitionen. Man | |
möge sie nicht, aber mache sie. „Das ist kein Ausweis von Beliebigkeit, das | |
ist Ausdruck von Verantwortung.“ Und ganz zum Schluss sagt er: „Man darf | |
Antidemokraten keine Macht übertragen. Nie wieder. Danke, dass ich in | |
diesem Geiste 25 Jahre in diesem Haus arbeiten durfte.“ Dann tritt Trittin | |
ab. | |
Acht Minuten Redezeit waren für ihn beim „Zusatzpunkt 2“ auf der | |
Tagesordnung am Donnerstagvormittag vorgesehen, Titel: „Halbzeit der | |
Wahlperiode. Deutschland kann es besser“; die Debatte hatte die Union | |
beantragt. Trittin spricht mehr als elf Minuten lang, und sieht man von | |
Applaus und einigen Pöbeleien aus Reihen der AfD einmal ab, wird er nicht | |
unterbrochen. In manchen Momenten ist es fast still im Saal, das gibt es | |
nicht oft im Bundestag. | |
Trittin ist im dunklen Anzug gekommen, dazu ein weißes Hemd und dunkle | |
Krawatte. Er könnte jetzt Carsten Linnemann zerlegen, den Generalsekretär | |
der CDU, der gerade eine dieser „Die Ampel kann es nicht“-Reden gehalten | |
hat, wie die Union sie derzeit so gerne hält. Trittin kann das ja: scharfe | |
Reden halten, provokativ und polarisierend, spottend und schneidend. Die | |
ergrauten Haare fallen dann immer wieder in die hohe Stirn, am Ende ist der | |
Gegner filetiert. Aber so redet Trittin hier nicht. Er spricht ruhig und | |
sachlich, eindringlich fordert die Demokraten zum Schulterschluss auf. | |
Am Ende bekommt er stehenden Applaus, von den Grünen natürlich, bei denen | |
fast die ganze Fraktion erschienen ist, aber auch von den Abgeordneten von | |
SPD und FDP, den Koalitionspartnern. Applaudiert wird auch in den Reihen | |
der Union, für die der linke Grüne lange ein gut gehegtes Feindbild war; | |
selbst [2][Friedrich Merz klatscht,] aber so zaghaft, dass es gezwungen | |
wirkt. Dann dankt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas dem Grünen noch und | |
wünscht ihm alles Gute. | |
## Abschied nach 25 Jahren | |
Es war Trittins letzte Rede im Plenum, zum Jahreswechsel gibt er sein | |
Bundestagsmandat auf. Das hat er am Dienstag in seiner Fraktion verkündet, | |
nur wenige waren eingeweiht, für die allermeisten kam der Rückzug | |
überraschend. 25 Jahre im Bundestag seien ein ein guter Zeitpunkt zum | |
Abschied, sagte er dem Spiegel in einem Interview, das ebenfalls am | |
Dienstag online ging. Und dass er jetzt erst mal ein bisschen zu sich | |
selbst kommen müsse, reisen wolle – und Clash und Talking Heads hören. | |
Für die Grünen geht mit dem Abtritt Trittins eine Ära zu Ende. Der | |
69-Jährige mit der K-Gruppen-Vergangenheit, der früher diesen buschigen, | |
hängenden Schnäuzer trug, war immer schon da. Der Göttinger war eines der | |
ersten grünen Parteimitglieder, der erste grüne Umweltminister im Bund, er | |
war Fraktionschef und scheiterte als Spitzenkandidat. Er hat Joschka | |
Fischer überlebt und während Rot-Grün Demütigungen von Gerhard Schröder | |
ertragen, das Dosenpfand eingeführt und den Atomausstieg mit eingeleitet. | |
Trittin steckt, zuletzt als außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, | |
stets tief im Stoff, er ist ein ausgebuffter Stratege, ein guter Netzwerker | |
und glänzender Rhetoriker. Von solchen Vollblutpolitikern gibt es bei den | |
Grünen nicht viele. Selbst jene auf der Realo-Seite, die ihn parteiintern | |
verflucht und bekämpft haben, sprechen von einem herben Verlust. | |
Vor seinen mahnenden Worten lobt Trittin im Bundestag die Ampel, leicht | |
spöttisch, wie so oft. „Es gibt in Deutschland so viele | |
Erwerbsarbeitsplätze wie nie zuvor in der Geschichte. Wir haben 170 Gesetze | |
verabschiedet. [3][Und jetzt gibt es sogar einen Haushalt.] Offensichtlich | |
ist die Ampel handlungsfähiger, als die Ampel manchmal selbst glaubt.“ | |
Geschmeidig allerdings war Trittin für die Koalition nicht. | |
Als im vergangenen Jahr die Laufzeit für die letzten drei AKWs um einige | |
Monate verlängert wurde, stimmte er dagegen. Robert Habecks Pläne für einen | |
Industriestrompreis hielt er für „Unsinn“ und sagte das auch. Jetzt geht | |
Trittin in Rente, selbst gewählt in der Mitte der Legislatur. Von derart | |
selbstbestimmten Abschieden gibt es in der Politik nicht viele. | |
14 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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