# taz.de -- Zusammenleben mit 70: Der Traum vom Alten-Hausprojekt | |
> Nur mit tollen Leuten in einer Hausgemeinschaft wohnen. So hat sich | |
> unsere Kolumnistin das Leben im Alter vorgestellt. Die Realität ist eine | |
> andere. | |
Bild: Wenn Vorstellung und Realität voneinander abweichen: zu laut im Proberau… | |
Früher hab ich mir das tolle Hausprojekt im Alter manchmal so vorgestellt: | |
Ich wohne mit Christoph in einer Hausgemeinschaft und überall im Haus leben | |
nur tolle Leute, die ich schon lange kenne. Darunter sind | |
Hobbymusiker:innen, Künstler:innen, politisch eher links. Wir gehen auf | |
Umweltdemos, installieren [1][Solarpanele auf dem Dach]. Am Abend machen | |
wir Musik im Proberaum im Keller [2][und drehen so richtig auf.] Am Sonntag | |
lädt man reihum zum Brunch. Im Sommer veranstalten wir Hoffeste, wovon die | |
Nachbarn lange schwärmen. | |
So weit mein Traum. Ich wohne immer noch mit Christoph zusammen, aber die | |
Hausgemeinschaft gibt es nicht. Was die Kollektiverfahrungen meiner | |
Altersgenoss:innen betrifft, sieht es so aus: Meine Jugendbekannte | |
Gabriele, 68, wohnt noch im Wedding in ihrem Hausprojekt. Inzwischen darf | |
man im Musikkeller nur noch bis 21 Uhr Rockmusik machen, weil sich die | |
Vibrationen angeblich über das Rohrsystem im ganzen Haus verbreiten und die | |
Kinder beim Schlafen stören. Beim Hoffest durfte jede Band nur drei Stücke | |
spielen, jemand brachte ein Dezibelmessgerät mit, weil sich der Lärm in | |
Grenzen halten sollte wegen der Nachbarn aus dem gentrifizierten Altbau | |
gegenüber. Trotzdem: Wenn jemand verstirbt, gibt es berührende | |
Trauerfeiern. | |
Meine Freundin Dorothee, 71, wohnt im Gebäudekomplex einer Stiftung, die | |
Mieten sind gedeckelt und die Wohnungen gehen nur an Senior:innen. | |
Dorothees Katze reißt leider manchmal Vögel. Ein Nachbar steckte einen | |
toten Vogel in ihren Briefkasten. Nachbarn beschweren sich, dass die nette | |
ukrainische Rentnerin aus Block A den gemeinsamen Rasen zu häufig wässert, | |
die Wasserkosten müssten doch alle bezahlen. Immerhin: im Sommer sitzen die | |
Leute aus Block B öfter draußen zusammen. | |
## Die Männer wollen ihre Ruhe | |
Meine Tante Gertraud wiederum zog im Alter von 78 Jahren in eine teure | |
Seniorenresidenz in ein Hochhaus in einer Kleinstadt im Harz. Mit zwei | |
Damen verstand sie sich gut. Sie betreute die Bewohnerbibliothek im Haus. | |
Das Apartment hatte einen tollen Blick, aber das Haus verfügte nur über | |
zwei Aufzüge, die viel benutzt wurden. Wer am Rollator ging, hatte | |
Vortritt. „Ich bin Ärztin, ich sehe, ob jemand wirklich nicht mehr gut | |
laufen kann. Der Rollator wird oft nur benutzt, damit die Leute schneller | |
in den Aufzug kommen!“, empörte sich Tante Gertraud und ich stellte mir | |
lauter gutbetuchte Damen mit Fake-Rollatoren vor, es soll ja Rollatoren mit | |
Leofell geben und vergoldeten Griffen. | |
Das mit dem Kollektiv im Alter ist offenbar so eine Sache, meiner | |
Beobachtung nach liegt es an den Frauen, [3][die Männer wollen ihre Ruhe | |
haben]. Bei den Frauen hängt es davon ab, ob die alten Damen respekt- und | |
humorvoll miteinander umgehen, nicht zu viel erwarten, nicht zur Dominanz | |
und zum Beleidigtsein neigen. | |
„Es ist die Toleranz, die im Alter flöten geht, leider“, erklärt Dorothee. | |
Sie wohnt immer noch in der Seniorenwohnanlage, trotz des toten Vogels im | |
Briefkasten. Vor einem Jahr ist Frau M., 81, in Block B eingezogen, eine | |
berentete Allgemeinärztin. Die beiden Frauen gucken am Sonntag zusammen | |
„Tatort“, waren sogar schon mal zusammen auf einem Konzert mit Barockmusik. | |
Frau M. kommt manchmal auf einen Kaffee vorbei, fragt aber vorher an, per | |
SMS. Dorothee redet meist freundlich von ihr. „Wir bleiben per Sie“, sagt | |
Dorothee. Vielleicht ist das der Trick. | |
11 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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