# taz.de -- Im Berliner Nahverkehr: „Wollen Sie sich setzen?“ | |
> Immer häufiger werden unserer Kolumnistin Sitzplätze in S- und U-Bahnen | |
> angeboten. Dabei ist sie doch noch gar nicht so alt. Oder? | |
Bild: Ab welchem Alter bietet man eigentlich Menschen einen Sitzplatz an? | |
Neulich ist es mal wieder passiert, zum dritten Mal schon. „Wollen Sie sich | |
setzen?“, fragte mich ein Mädchen, geschätzte 15 Jahre alt, in der | |
Straßenbahn. [1][Sie bot mir ihren Sitzplatz an] und dabei waren Christoph | |
und ich kerngesund an einem Samstagabend unterwegs zu einem Essen bei | |
Freunden in Berlin-Weißensee. Kein Wackeln, keine Totenblässe auf unseren | |
Gesichtern, und hochaltrig sind wir doch auch noch nicht. Das Mädchen sagte | |
etwas auf Polnisch zu einer Freundin neben ihr, dann standen beide auf. | |
Ich lächelte tapfer, Christoph ist ohnehin cool, und so bedankten wir uns | |
beide und setzten uns. Drei Wochen zuvor war uns in der S-Bahn Ähnliches | |
passiert. Eine Frau, kaum jünger als ich, hatte sich neben mir auf der | |
Sitzbank niedergelassen. Ihr Mann blieb stehen. Gegenüber hatte sich | |
Christoph auf einen Platz gesetzt. Als neben ihm auch etwas frei wurde, gab | |
er mir ein Zeichen. Ich wollte aufstehen und zu ihm wechseln, aber in dem | |
Moment sprang meine Sitznachbarin auf, lud Christoph mit einer Geste ein, | |
sich doch neben mich auf ihren Platz zu setzen, und stellte sich zu ihrem | |
Mann an den Ausgang. Die beiden unterhielten sich in einer osteuropäischen | |
Sprache, die ich nicht kannte. | |
„Was war das jetzt?“, flüsterte ich, „die sind doch auch nicht mehr jung… | |
„Die wollen bestimmt bei der nächsten Station aussteigen“, sagte Christoph. | |
Wollten sie nicht. Ich stellte mir vor, wie das wäre, wenn wir aufstehen | |
und nun unsererseits dem älteren Paar aus Osteuropa unsere Plätze anbieten | |
würden: „Aber bitte, setzen Sie sich doch! Wir dachten, Sie steigen gleich | |
aus!“ Und wenn dann eine Antwort käme: „Aber nein, bleiben Sie doch sitzen, | |
es macht uns nichts aus, zu stehen!“ Wir dann: „Es wäre uns eine Ehre, wenn | |
Sie unser Angebot annehmen würden!“ Die beiden dann: „Die Ehre ist ganz | |
unsererseits, wir freuen uns, dass Sie Platz genommen haben!“ | |
## Eine Fantasie der Höflichkeit | |
Man muss sich so was mal vorstellen, zum Beispiel in der U-Bahn am Morgen. | |
Da drängen sich die Menschen in die Wagen, und wer sitzt, steht auf für | |
alle, die nicht superfit aussehen: „Bitte, wollen Sie sich vielleicht | |
setzen?“ „Ach, nehmen Sie doch Platz“. „Nein danke, das ist nett, aber | |
nicht nötig“. Am Ende reden alle durcheinander und bieten sich gegenseitig | |
Sitzplätze an oder lehnen diese ab. Eine Fantasie, irgendwie asiatisch. | |
Vor über 30 Jahren war ich hochschwanger mit sehr dickem Bauch täglich | |
U-Bahn gefahren. Nur einmal offerierte mir jemand seinen Sitzplatz, ein | |
junger Mann war es, wohl Pakistaner. Und neulich war es auch ein | |
arabischstämmiger Mann, der mir anbot, meinen schweren Reisekoffer über die | |
U-Bahn-Treppe nach oben zu schleppen, der Aufzug war ausgefallen. Meinem | |
Bekannten S., 80 Jahre alt, überließ ein junger Mann in der U-Bahn seinen | |
Platz, ein Ghanaer. Es entspann sich ein Gespräch zwischen den beiden über | |
die Umgangsformen in unterschiedlichen Kulturen, erzählte mir S. [2][Die | |
Deutschen haben die Höflichkeit jedenfalls nicht abonniert], so viel ist | |
zumindest sicher. | |
Auf der Rückfahrt von Weißensee am Samstagabend fahren wir die letzte | |
Strecke wieder U-Bahn. An der Station gibt es einen Spiegel am | |
Fahrerhäuschen. Ich gucke rein. [3][Ein bisschen eitel ist man ja schon.] | |
Sehe ich wirklich schon so alt aus, dass man mir einen Sitzplatz …? Es muss | |
an der Beleuchtung liegen, und an dieser beigen Wollmütze. Die ist | |
vielleicht doch etwas unvorteilhaft. | |
3 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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