# taz.de -- Justiz in der Türkei: Mörder vorzeitig freigelassen | |
> Der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink wurde 2007 getötet. Ein | |
> Mörder wurde angeklagt, doch die Hintermänner sind immer noch nicht | |
> enttarnt. | |
Bild: Sein Mörder ist frei: Ein Porträt von Hrant Dink bei einer Demonstratio… | |
ISTANBUL taz | Der Mörder des bekanntesten armenischen Journalisten Hrant | |
Dink, Ogün Samast, ist am Mittwochabend vorzeitig aus der Haft entlassen | |
worden. Hrant Dink, Chefredakteur der armenisch-türkischen Wochenzeitung | |
Agos wurde im Januar 2007 vor dem Haus in dem die Redaktion von Agos ihren | |
Sitz hatte, ermordet. | |
Als Mörder verurteilt wurde vier Jahre später Ogün Samast, der zum | |
Zeitpunkt des Mordes 16 oder 17 Jahre alt war. Samast gab damals zu, | |
geschossen zu haben, aber es war von Anfang an klar, dass er nur von | |
anderen, mächtigen Leuten aus dem ultranationalistischen Spektrum in | |
Politik, Geheimdienst und Militär instrumentalisiert worden war. | |
[1][Samast wurde 2011 zu 23 Jahren Haft verurteilt]. Zu dem Zeitpunkt saß | |
er bereits vier Jahre in Untersuchungshaft. Als er am Mittwoch wegen | |
angeblicher guter Führung vorzeitig auf Bewährung aus dem Gefängnis | |
entlassen wurde, hatte er mit der U-Haft gut 16 Jahre davon abgesessen. | |
Diese vorläufige Entlassung entspricht einem normalen Vollzugsverlauf und | |
ist keine Vorzugsbehandlung für Samast. Dennoch fanden sich in den sozialen | |
Medien am Mittwochabend viele entsetzte Kommentare, die vor allem ihre | |
Trauer und Wut darüber ausdrückten, dass selbst jetzt das Mordkomplott | |
gegen Hrant Dink immer noch nicht wirklich aufgeklärt wurde und wohl auch | |
niemals aufgeklärt wird. | |
## Anklage „Verunglimpfung des Türkentums“ | |
Hrant Dink war in den Monaten vor seiner Ermordung von nationalistischen | |
Kräften massiv bedrängt worden. Nachdem er in einem Artikel darauf | |
hingewiesen hatte, dass Sabiha Gökcen, eine Stieftochter von Mustafa Kemal | |
Atatürk und erst Kampfpilotin der Türkei, wahrscheinlich armenischer | |
Abstimmung war, wurde er wegen „Verunglimpfung des Türkentums“, einem | |
Strafgesetzparagraphen der heute so nicht mehr existiert, angeklagt und | |
auch verurteilt. | |
Andere prominente Intellektuelle wie der spätere Literaturnobelpreisträger | |
Orhan Pamuk, der ebenfalls wegen Verunglimpfung angeklagt worden war, | |
nachdem er in einem Interview gesagt hatte, es seien wahrscheinlich 1 | |
Million Armenier im Ersten Weltkrieg ermordet worden, wurden dagegen | |
freigesprochen. Hrant Dink schrieb damals, er habe nach der Verurteilung | |
das Gefühl gehabt, damit zum Freiwild geworden zu sein. | |
Nach seiner Ermordung wurde schnell klar, dass in dem Komplott hohe | |
Militärs, Geheimdienstler und Polizeiführer verwickelt gewesen waren. | |
Jahrelang wurden Ermittlungen in diese Richtung verschleppt, erst nach dem | |
Putschversuch 2016 wurden einige der damaligen Polizeiführer, [2][die der | |
Gülen-Sekte angehörten], auch wegen des Mordes an Hrant Dink verurteilt. | |
## Großes öffentliches Interesse an Aufklärung des Mordes | |
Der Mord an dem bekannten Journalisten und Menschenrechtler Hrant Dink | |
[3][wühlte die Gesellschaft damals sehr stark auf]. Mehr als 100.000 | |
Menschen waren bei seinem Begräbnis. Bei jedem Prozesstag gegen Ogün Samast | |
wurde demonstriert und die Verfolgung der tatsächlichen Hintermänner | |
gefordert. Hrant Dink hatte zu seinen Lebzeiten immer gefordert, dass die | |
Ereignisse, [4][die zum Völkermord an den Armeniern 1915/16] im Osmanischen | |
Reich geführt hatten, untersucht und besprochen werden sollten. | |
Auch nach seinem Tod wurden einige Jahre noch relativ offen über den | |
Völkermord gesprochen, auch wenn die Regierung sich bis heute weigert, die | |
„Große Katastrophe“ von damals als Völkermord anzuerkennen. | |
Gemeinsam mit der Familie von Hrant gründeten FreundInnen und | |
MitarbeiterInnen damals eine Hrant-Dink Stiftung, die sich seitdem um | |
Aufklärung über die Diskriminierung von ArmenierInnen in der Türkei bemüht, | |
aber gleichzeitig auch für die Verständigung von ArmenierInnen und | |
TürkInnen wirbt, beispielsweise indem sie türkische JournalistInnen nach | |
Armenien und armenische JournalistInnen in die Türkei einlädt. | |
Gerade diese Arbeit hat aber [5][durch den Krieg um Bergkarabach] einen | |
großen Rückschlag erlitten. Heute stehen sich große Teile der türkischen | |
und armenischen Bevölkerung so feindlich gegenüber wie schon lange nicht | |
mehr. | |
17 Nov 2023 | |
## LINKS | |
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[2] /Tuerkischer-Sektenfuehrer-Guelen/!5556877 | |
[3] /Tuerkei-und-Armenien/!5829155 | |
[4] /Tuerkei-und-Armenien/!5829155 | |
[5] /Ursachen-des-Bergkarabachkonflikts/!5960798 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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