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# taz.de -- In der Türkei getötete Journalist*innen: Hrant Dink und seine Kol…
> Am 19. Januar 2007 wurde der Journalist Hrant Dink erschossen. Er ist
> einer von über 65 Journalisten, die seit 1909 ermordet wurden.
Bild: Gedenken an Hrant Dink am Todestag des Journalisten 2015
„Überall stapeln sich bei mir die hasserfüllten Drohungen dieser Leute.
Mein Computer ist voll davon. Wie sehr sind diese Drohungen ernst zu
nehmen? Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. […] Ich bin wie eine Taube,
die sich ständig nach links und rechts, nach hinten und vorne umblickt.
Allzeit in Alarmbereitschaft. Das ist der Preis, den ich zahlen muss.“
Diese Zeilen schrieb Hrant Dink am 19. Januar 2007 in seiner letzten
Kolumne. Heute vor 12 Jahren wurde der armenisch-türkische Journalist von
dem 17-jährigen Ultranationalisten Ogün Samast vor dem Redaktionsgebäude
seiner Zeitung Agos in Istanbul erschossen. Zuvor war Dink, der für die
Aufarbeitung des Völkermords an den Armenier*innen kämpfte, von den Medien
zur Zielscheibe gemacht und mit Prozessen überzogen worden. Hunderttausende
protestierten nach Hrant Dinks Beerdigung in Istanbul.
12 Jahre später steht es immer noch denkbar schlecht um die Pressefreiheit
in der Türkei. Seit dem Putschversuch wurden Zehntausende Journalist*innen
entlassen, mehr als 140 sind nach wie vor inhaftiert. Es war nie leicht, in
der Türkei als Journalist*in zu arbeiten. Nach einer Recherche des
türkischen Journalist*innenverbands TGC wurden in der Türkei seit der
Vorgründungsphase der Republik bis heute 65 Journalist*innen ermordet.
Einige wurden von Polizisten ermordet, manche fielen anonymen staatlichen
Morden zum Opfer, andere wurden von radikalen Islamisten bedroht und
ermordet. Außerdem gibt es Opfer der gesellschaftlichen Spaltung in links
und rechts vor dem Militärputsch 1980, andere wurden in der
bürgerkriegsähnlichen Atmosphäre der 1990er Jahre umgebracht.
## Die Zeit vor Gründung der Republik
Im Osmanischen Reich forcierte das 1889 gegründete Komitee für Einheit und
Fortschritt die erneute Verkündung der Verfassung und damit den Übergang
zum parlamentarischen System. Unter seiner Ägide wurde der Vorläufer des
heutigen Geheimdienstes MIT gegründet. Morde an regimekritischen
Journalist*innen und Zeichner*innen blieben damals unaufgeklärt. Der erste
Mord an einem Journalisten wurde am 6. April 1909 verübt. Später wurde
dieses Datum in der Türkei zum „Tag der ermordeten Journalist*innen“
ausgerufen.
6. April 1909, İstanbul: Hasan Fehmi Bey / Serbesti
19. Juli 1910, İstanbul: Ahmet Samim / Sada-yı Millet
10. Juli 1911, İstanbul: Zeki Bey / Şehrah
1912 oder 1914, Konya: Hüseyin Kami, Dichter / Alemdar
27. Juli 1914, İstanbul: Silahçı Tahsin / Silah ve Bomba
1915, Urfa: Krikor Zohrab / Journalist und Schriftsteller
13. August 1915, Çorum: Diran Kelegyan / Chefreporter bei der Sabah
Gazetesi
## Ära des Befreiungskriegs
Von 1919 bis 1922, in den Jahren vor der Republikgründung, wurden, soweit
bekannt, drei Journalisten ermordet. Hasan Tahsin wurde von
Besatzungssoldaten umgebracht, weil er die Waffe gegen sie gezogen hatte,
nachdem er in seiner Zeitung gegen die Okkupation der Türkei protestiert
hatte. Bei Ali Kemal verhielt es sich genau umgekehrt, er wurde von jungen
türkischen Offizieren ermordet, weil er sich auf die Seite der Besatzer
gestellt hatte. Journalist*innen bekamen damals meist den Namen ihrer
Zeitung als Beinamen. „İştirak-Hilmi“ (Hilmi von der Zeitung „Teilhabe�…
1922 ermordet, war ein sozialistischer Journalist.
15. Mai 1919, İzmir: Hasan Tahsin (Osman Nevres) / Hukuk-u Beşer
1922, İstanbul: İştirakçi Hilmi / iştirak, Medeniyet
6. November 1922, İzmit: Ali Kemal / Peyam-ı Sabah
## Gründerjahre der Republik
Als Erzähler und Lyriker prägte Sabahattin Ali die Literatur der frühen
Republik. Seine Romane hinterließen tiefe Spuren. Er war Mitgründer und
Autor der Satirezeitschrift Marko Paşa. Als er wegen Kritik an Politikern
mit Prozessen überzogen wurde, wollte er die Türkei verlassen. Beim
Grenzübertritt wurde er von Ali Ertekin, der ihm eigentlich als Reiseführer
hätte dienen sollen, ermordet. Jahre später erklärte Ertekin in einem
Interview gegenüber dem Politmagazin Nokta, Sabahattin Ali habe unterwegs
mit ihm gestritten und seine „Nationalgefühle gereizt“.
1930: Hikmet Şevket
2. April 1948, Edirne: Sabahattin Ali / Marko Paşa
## Vor und nach dem Putsch von 1980
Auch in der Atmosphäre der Polarisierung, der Kämpfe und des „Terrors“ im
Vorfeld des Putsches am 12. September 1980 kam es zu Attentaten auf
Journalisten. Der Mörder von Ümit Kaftancıoğlu, der beim staatlichen
Rundfunk TRT tätig war, Ahmet Mustafa Kıvılcım, sagte vor der Polizei aus:
„Ich habe ihn getötet, weil er ein Linker war.“ Abdi İpekçi, Chefredakte…
der Mainstream-Zeitung Milliyet, fiel am 1. Februar 1979 einem Anschlag auf
sein Auto zum Opfer. Sein Mörder Mehmet Ali Ağca, der spätere
Papstattentäter, ist heute in Freiheit.
27. August 1974, Zypern: Adem Yavuz / Anka Ajansı
21. November 1978, İstanbul: Ali İhsan Özgür / Politika
1. Dezember 1978, Ankara: Cengiz Polatkan / Hafta Sonu
1. Februar 1979, İstanbul: Abdi İpekçi / Milliyet
19. November 1979, İstanbul: İlhan Darendelioğlu / Ortadoğu
4. April 1980, İstanbul: İsmail Gerçeksöz / Ortadoğu
11. April 1980, İstanbul: Ümit Kaftancıoğlu / TRT
15. April 1980, Trabzon: Muzaffer Feyzioğlu / Hizmet
22. Juli 1980, İstanbul: Recai Ünal / Demokrat
1. Juni 1988, Ankara: Mevlüt Işıt / Türkiye
29. Juni 1989, Nusaybin: Seracettin Müftüoğlu / Hürriyet
7. November 1989, İstanbul: Sami Başaran / Gazete
28. Februar 1990, İstanbul: Kamil Başaran / Gazete
## Die finsteren Neunziger
In den 1990er Jahren waren staatliche Morde wie auch Anschläge auf
Journalist*innen in der Türkei an der Tagesordnung. Çetin Emeç,
Chefreporter der Mainstream-Zeitung Hürriyet, wurde mitsamt seinem Fahrer
erschossen, als er das Haus verließ. Der Mörder wurde gefasst, doch die
Hintergründe des Anschlag blieben ungeklärt. Der Theologe Turan Dursun
kritisierte den Islam und den Propheten Mohammed in seinen Texten scharf.
Er wurde von radikalen Islamisten bedroht und im selben Jahr wie Emeç
ermordet.
Im kurdischen Südosten waren die Neunziger gleichbedeutend mit staatlichen
Morden, sogenannten „unaufgeklärten Verbrechen“. Menschen wurden in Autos
gezerrt und man hörte nie wieder von ihnen. JİTEM, ein informeller
Geheimdienst der türkischen Gendarmerie, der dem „tiefen Staat“ zugerechnet
wird, soll für die staatlichen Morde verantwortlich sein, deren Anzahl auf
rund 17.000 beziffert wird. In diesem gesellschaftlichen Klima wurde neben
vielen kurdischen Journalist*innen auch Musa Anter, eine Symbolfigur der
kurdischen Presse und Literatur, ermordet.
Am 24. Januar 1993 wurde der Cumhuriyet-Journalist Uğur Mumcu durch einen
Sprengsatz in seinem Auto vor seinem Haus in Ankara ermordet. Zu seiner
Beerdigung kamen über eine Million Menschen. Er war zuvor von
islamistischen Organisationen wie Hizbullah und Islamische Bewegung bedroht
worden. Der Mord konnte nie aufgeklärt worden, auch weil unmittelbar nach
dem Anschlag der Tatort gereinigt und damit sämtliche Beweise vernichtet
worden waren. Die Täter wurden nie gefasst.
Metin Göktepe, Reporter der Zeitung Evrensel, wurde ebenfalls in den
Neunzigern ermordet. Am 8. Januar 1996 wollte er über die Beerdigung zweier
in der Haft getöteter Personen berichten. Weil er keinen Presseausweis
hatte und sich angeblich der Polizei widersetzte, wurde er mit zahlreichen
anderen festgenommen und zur Sporthalle in Eyüp gebracht. Dort schlugen ihn
Polizisten zusammen und ließen ihn neben dem Imbiss der Sporthalle liegen,
wo er seinen Verletzungen erlag.
7. März 1990, İstanbul: Çetin Emeç / Hürriyet
4. September 1990, İstanbul: Turan Dursun / İkibine Doğru ve Yüzyıl
Dergileri
1991: Gündüz Etil
1992, Diyarbakır: Mehmet Sait Erten / Azadi
18. Februar 1992, Diyarbakır: Halit Güngen / İkibine Doğru
25. Februar 1992, Batman: Cengiz Altun / Yeni Ülke
23. März 1992, Cizre: İzzet Kezer / Sabah
1. April 1992, Bursa: Bülent Ülkü / Körfeze Bakış
2. Juni 1992, Nusaybin: Mecit Akgün / Yeni Ülke
8. Juni 1992, Diyarbakır: Hafız Akdemir / Özgür Gündem
29. Juli 1992, Batman: Çetin Ababay / Özgür Halk
9. August 1992, Ceylanpınar: Yahya Orhan / Özgür Gündem
9. August 1992, Ceylanpınar: Hüseyin Deniz / Özgür Gündem
20. September 1992, Diyarbakır: Musa Anter / Özgür Gündem
9. November 1992, Hani: Yaşar Aktay / Freier Journalist
18. November 1992, Mazıdağı: Hatip Kapçak / Freier Journalist
20. November 1992, Diyarbakır: Namık Taranc / Gerçek
24. Januar 1993, Ankara: Uğur Mumcu /Cumhuriyet
18. Februar 1993, Urfa: Kemal Kılıç / Yeni Ülke
13. März 1993, Silvan: Mehmet İhsan Karakuş / Silvan Gazetesi
20. Mai 1993: Ercan Gürel / Hürriyet Haber Ajansı
6. Juli 1993, İstanbul: İhsan Uygur / Sabah
14. Juli 1993: Rıza Güneşer / Halkın Gücü
28. Juli 1993, Bitlis: Ferhat Tepe / Özgür Gündem
20. September 1993: Muzaffer Akkuş / Milliyet
12. März 1994: Nazım Babaoğlu / Gündem
1994: Erol Akgün / Devrimci Çözüm
28. August 1995: Seyfettin Tepe / Yeni Politika
8. Januar 1996, İstanbul: Metin Göktepe / Evrensel
8. Juli 1996, Zypern: Kutlu Adalı / Yeni Düzen
9. September 1996, İstanbul: Selahattin Turgay Daloğlu / Freier Journalist
20. Juni 1997: Reşat Aydın / Anadolu Ajansı, TRT
13. Juli 1997, Konya: Abdullah Doğan / Candan FM
3. September 1997: Ayşe Sağlam / Derince FM
8. November 1997, İzmir: Ünal Mesutoğlu / TRT
1998, Adana: Mehmet Topaloğlu / Kurtuluş
21. Oktober 1999, Ankara: Ahmet Taner Kışlalı / Cumhuriyet
## Unter der AKP-Regierung
2007 wurde Hrant Dink, Mitherausgeber und Chefredakteur der armenischen
Zeitung Agos, vor dem Redaktionsgebäude ermordet. Der Journalist erhielt
Morddrohungen, seit er 2004 in dem Artikel „Sabihas Geheimnis“ mutmaßte,
Atatürks Ziehtochter Sabiha Gökçen könnte eines der armenischen
Waisenkinder gewesen sein, die den Genozid an den Armenier*innen überlebt
hatten. Als Mainstreammedien den Bericht übernahmen und die Quelle dazu
nannten, kochte die Stimmung hoch. Der Generalstab nannte den Artikel eine
„Gefahr für die nationale Einheit, den Zusammenhalt und die Werte der
Nation“. Dink wurde von der Istanbuler Präfektur vorgeladen, dort soll er
bedroht worden sein. Er kam wegen „Erniedrigung des Türkentums“ vor
Gericht. Ultranationalisten hielten Kundgebungen vor dem Redaktionsgebäude
ab, drohten und warnten Dink, doch die Polizei lehnte Schutzmaßnahmen ab.
Am 19. Januar 2007 wurde auf offener Straße ein Anschlag auf ihn verübt.
Der Schütze, der junge Ogün Samast, wurde im nordtürkischen Samsun gefasst.
Die Polizisten posierten mit Samast für Erinnerungsfotos vor der türkischen
Fahne. Nach Samast wurde auch Yasin Hayal verhaftet, der zuvor einen
Sprengsatz im McDonalds in Trabzon gezündet hatte, wobei sechs Personen
verletzt wurden. Hayal, in der Anklageschrift als Anstifter geführt, sagte
aus, der Mord sei von Erhan Tuncel, einem Spitzel der Polizei, geplant
worden. Die Presse bezeichnete Hayal und Tuncel als Samasts „ältere
Brüder“. Bis heute, 12 Jahre später, ist die Tat nicht aufgeklärt.
Infolge des Bürgerkriegs in Syrien wurden jüngst auch fünf oppositionelle
syrische Journalist*innen in der Türkei ermordet. Und im Istanbuler
Konsulat von Saudi Arabien wurde der saudische Regimekritiker Jamal
Khashoggi umgebracht.
19. Januar 2007, İstanbul: Hrant Dink / Agos
19. Dezember 2009, Bandırma: İsmail Cihan Hayırsevener
17. Februar 2015, İstanbul: Nuh Köklü / Freier Journalist
15. Juli 2016, İstanbul: Mustafa Cambaz / Yeni Şafak
## Fünf syrische Journalisten und ein saudischer Journalist
30. Oktober 2015, Gaziantep: İbrahim Abdülkadir, Firaz Hamidi
27. Dezember 2015, Gaziantep: Naji el-Jerf
13. April 2016: Muhammed Zahir el Şerkat
12. Mai 2016: Ahmet Abdülkadir
22. September 2017: Halla Barakat
2. Oktober 2018, İstanbul: Jamal Khashoggi
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
19 Jan 2019
## AUTOREN
Erk Acarer
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