# taz.de -- Türkei und Armenien: Hrant Dink lebt | |
> In Istanbul haben tausende Menschen des ermordeten Menschenrechtlers | |
> gedacht. Derweil nähern sich die Türkei und Armenien immer weiter an. | |
Bild: Gedenkveranstaltung in Istanbul zum 15. Jahrestag der Ermordung von Hrant… | |
Istanbul taz | Vor 15 Jahren wurde der armenisch-türkische Journalist und | |
Menschenrechtler Hrant Dink ermordet, doch das Vermächtnis des Toten lebt. | |
Mehrere tausend Menschen versammelten sich am Mittwochnachmittag in | |
Istanbul zu einer Gedenkveranstaltung vor dem Gebäude, wo Dink am 19. | |
Januar 2007 durch einen Schuss in den Kopf getötet wurde. Er hatte gerade | |
die Redaktion der türkisch-armenischen Wochenzeitung Agos verlassen, deren | |
Gründer und Chefredakteur er war. „Gerechtigkeit für Hrant Dink“ forderte | |
die Menge am Mittwoch in Sprechchören. „Wir fordern weiterhin Aufklärung | |
statt Vertuschung“, sagte einer der Redner. | |
Der armenisch-stämmige Hrant Dink war in den Jahren vor seiner Ermordung | |
die führende Figur gewesen in der Debatte um die Aufklärung am | |
[1][Völkermord an den Armeniern] 1915. Bis heute bestreitet die türkische | |
Regierung wie alle ihrer VorgängerInnen, dass während des Ersten | |
Weltkrieges im Osmanischen Reich ein Völkermord an den Armeniern verübt | |
wurde. Bis heute ist es für türkische Nationalisten eine Frage der | |
Loyalität, den Völkermord abzustreiten und Leute wie Hrant Dink, die eine | |
ehrliche Debatte über die Vergangenheit fordern, als Volksverräter | |
abzustempeln. | |
Dink wurde damals von einem jungen Mann, den andere vorgeschickt hatten, | |
ermordet. [2][Wer bei dem Mord tatsächlich die Fäden zog, ist nach wie vor | |
nicht aufgeklärt.] Doch die Debatte konnte durch den Mord nicht beendet | |
werden, im Gegenteil: Die Witwe Rakel Dink, die während der | |
Gedenkveranstaltung am Mittwoch eine bewegende Rede hielt, hatte noch im | |
Jahr des Mordes gemeinsam mit Freunden eine Hrant-Dink-Stiftung gegründet, | |
die die Erinnerung an die Armenier in der Türkei wiederbelebt und sich mit | |
viel Engagement für eine Aussöhnung zwischen den Menschen in der Türkei und | |
Armenien einsetzt. | |
Die Stiftung hat mittlerweile durch Spenden die Möglichkeit genutzt, eine | |
alte armenische Schule zu renovieren und umzubauen, und dort eine | |
Bibliothek und Seminarräume eingerichtet. Auch Agos ist in dieses Gebäude | |
umgezogen. In den früheren Räumen der Redaktion hat die Stiftung nun ein | |
kleines Museum zu Hrant Dink und armenischem Leben in Istanbul | |
eingerichtet. In gewisser Weise ist dies das erste Museum zum Völkermord an | |
den Armeniern in der Türkei. | |
## Wandel durch Annäherung | |
Auch wenn es für die knapp 100.000 Armenier, die heute noch in der Türkei | |
leben, immer wieder schwierige Zeiten gibt wie zuletzt während des Krieges | |
um Bergkarabach im Herbst 2020, ist die Hetze und Diskriminierung doch | |
insgesamt zurückgegangen. Selbst in der Phase massiver innenpolitischer | |
Repression nach dem Putschversuch im Sommer 2016 konnte die | |
Hrant-Dink-Stiftung weitgehend ungestört arbeiten, während viele andere | |
NGOs verfolgt oder sogar geschlossen wurden. | |
Selbst der Krieg um Bergkarabach, bei dem die Armenier nicht zuletzt wegen | |
der türkischen Unterstützung von Aserbaidschan eine schwere militärische | |
Niederlage erlitten, könnte langfristig noch etwas Gutes haben. Der | |
türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan war anschließend bereit, mit | |
Armenien Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen zu führen – ein | |
Angebot, für das sich die Armenier per Parlamentswahl im Herbst 2021 | |
aussprachen. | |
[3][Beide Seiten ernannten jeweils einen Sondergesandten], der die | |
Gespräche führen wird. Der Auftakt fand vor gut einer Woche in Moskau | |
statt. Man beschloss die Gespräche demnächst auch ohne russische | |
Vermittlung fortzusetzen. | |
Auch wenn es den Armeniern schwerfällt, mit der türkischen Regierung zu | |
reden, ohne dass diese den Völkermord zuvor anerkennt, könnte ein Wandel | |
durch Annäherung Fortschritte bringen. Die Grenze zwischen beiden Ländern | |
würde geöffnet, die armenische Wirtschaft hätte eine bessere Verbindung | |
nach Europa und die Menschen könnten endlich miteinander statt übereinander | |
reden. Und vielleicht werden dann ja auch die Hintermänner des Mordes an | |
Hrant Dink endlich vor Gericht gestellt. | |
19 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Voelkermord-an-den-Armeniern/!5762505 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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