# taz.de -- Jahrestag der Geziproteste in Türkei: Eine vergessene Geschichte | |
> Der Gezipark in Istanbul war früher ein armenischer Friedhof. Seine | |
> Geschichte ist verlorengegangen. | |
Bild: Im Istanbuler Gezipark, ein Jahr nach Beginn der Proteste im Mai 2014 | |
Am 1. Juni jährten sich die Geziproteste, die bisher stärkste | |
Protestbewegung gegen das Erdoğan-Regime, zum siebten Mal. Die | |
AKP-Regierung wollte an die Stelle des Geziparks am Taksimplatz ein | |
mehrstöckiges Einkaufszentrum bauen, wogegen sich Widerstand regte, der | |
sich bald im ganzen Land verbreitete. | |
Unter dem Slogan „Taksim ist überall, Widerstand ist überall“ organisiert… | |
sich Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen. Auch in der Geschichte | |
der LGBTI-Bewegung hat der Park eine wichtige Rolle gespielt. In den 80er | |
und 90er Jahren war er Treffpunkt für schwule Männer – um sich | |
kennenzulernen und für Sex. Und in den 90er Jahren gab es eine Sitzblockade | |
von trans Frauen gegen Polizeigewalt auf den Treppen des Parks. | |
Aber der Gezipark ist mehr als eine Grünanlage. Der Ort, der als Gezipark | |
bekannt ist, war früher ein armenischer Friedhof, der Surp-Agop-Friedhof. | |
Er entstand in Zeiten einer Pandemie, also in ganz ähnlichen Zeiten wie | |
heute. Die Armenier*innen, die 1560 an der Pest gestorben sind, wurden auf | |
dem freien Platz vor dem anliegenden Krankenhaus begraben. | |
Der Sultan jener Zeit, Süleyman der Prächtige, hatte das Gelände aus | |
Dankbarkeit gegenüber seinem armenischen Koch, Manouk Karaseferyan, der | |
armenischen Gemeinde geschenkt, und so wurde es in einen Friedhof | |
umgewandelt. Es muss ungefähr so abgelaufen sein: Die Deutschen wollten | |
gegen den Sultan ein Komplott schmieden und wiesen Karaseferyan an, das | |
Essen des Sultans zu vergiften. Der erzählte wiederum dem Sultan davon und | |
erhielt als Belohnung dieses Stück Land. | |
## Der Vergangenheit erinnern | |
Nach der Choleraseuche im Jahr 1865 wurden weitere Bestattungen verboten | |
und eine armenische Kirche entstand auf dem Gelände. In den 1930er Jahren | |
enteignete die Istanbuler Stadtverwaltung die armenische Gemeinde, Kirche | |
und Friedhof wurden zerstört. Die Grabsteine benutzte der französischen | |
Städteplaner Henri Prost, um die Treppen des neu angelegten Geziparks zu | |
bauen. Auf dem Gelände des armenischen Friedhofs befinden sich nun also das | |
Militärmuseum, das Hilton-Hotel, das Hyatt Regency, das Divan-Hotel, das | |
Gebäude des Fernsehsenders TRT und eben der Gezipark. | |
Der Hass auf Armenier*innen ist auch heute gegenwärtig. Im letzten Monat | |
wurden zwei armenische Kirchen in Istanbul angegriffen. Der armenische | |
Journalist Hrant Dink wurde 2007 ermordet und auch seine Frau Rakel Dink | |
erhielt Morddrohungen. Der TV-Star Kim Kardashian wurde nach einer Äußerung | |
über den armenischen Völkermord in den türkischen sozialen Medien gelyncht. | |
Zwischen den Millionen Menschen, die im Gezipark protestierten, gibt es | |
auch die, die sich der Geschichte des Parks annehmen. Man kann nur hoffen, | |
dass ein Protest gegen das Erdoğan-Regime, der auf dem Boden der | |
armenischen Toten begonnen hat, auch eine Tür geöffnet hat, um sich mit dem | |
Genozid und den Verbrechen der Vergangenheit auseinanderzusetzen. | |
4 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Michelle Demishevich | |
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