# taz.de -- Selçuk und ich: Verbotene Liebe in Istanbul | |
> Als trans Person die heimliche Freundin zu sein ist schwer genug. Aber | |
> manchmal kann selbst die verborgene Beziehung etwas Schönes sein. | |
Bild: Das Schicksal der trans Frauen in der Türkei ist die heimliche Liebe | |
Bei einem Fernsehkanal in [1][Istanbul] habe ich 2013 eine Stelle als | |
Reporterin gefunden, meine erste offizielle Stelle als trans Journalistin. | |
Eines Tages ging ich zur Kaffeepause in den Erholungsraum des | |
Bürokomplexes. Dort war eine Gruppe von Leuten, die übertrieben laut | |
redeten und lachten. Sie hatten eine nervige Art zu sprechen, alles | |
kommentierten sie mit: „Ich war so: Oha und so.“ | |
Als ich mich genervt zu ihnen drehte, um zu schauen, wer diese albernen | |
Typen waren, voilà: trafen sich unsere Blicke. Nun war ich „so oha und so“. | |
Sein Blick, sein Lächeln und vor allem sein Körper waren umwerfend. In dem | |
Moment lächelt er mich an. Und ich erstarre mit einem dummen Lächeln im | |
Gesicht. Natürlich habe ich mich gleich wieder professionell gefangen. Aber | |
in dieser Nacht konnte ich vor Aufregung bis morgens nicht schlafen. | |
## Mehr Parfüm als normalerweise | |
In der Hoffnung, ihn wiederzusehen, zog ich mir am nächsten Morgen etwas | |
Schickes an, legte ein wenig Make-up auf und trug mehr Chanel Chance auf | |
als normalerweise. Doch es dauerte zwei Wochen, bis er kam und nach meiner | |
Nummer fragte. Es folgten jeden Morgen Guten-Morgen-Nachrichten, Telefonate | |
bis tief in die Nacht und tagsüber kurze Anrufe, um die Stimme des anderen | |
zu hören. | |
Er war zehn Jahre jünger als ich, aber wen stört das? Nach einiger Zeit | |
fingen wir eine Beziehung an. Wenn ich sage Beziehung, meine ich vor allem | |
Telefongespräche. Selçuk – so hieß er – wollte nicht, dass jemand von uns | |
erfuhr. | |
[2][Er sagte mir stets, dass ich von allen Frauen, mit denen er zusammen | |
gewesen war, die schönste sei.] Er zeigte mir, wie glücklich er mit mir | |
war, doch draußen konnte er niemandem von uns erzählen. Er schützte sich | |
vor dem Druck der traditionellen Familie, vor Scham und Kommentaren wie | |
„ach, bist du mit einem Transvestiten zusammen“. | |
## Keine Energie für Heimlichkeiten | |
Das Schicksal der trans Frauen ist die heimliche oder die verbotene Liebe. | |
In Istanbul verheimlichen es Männer gemeinhin, wenn sie mit einer trans | |
Frau zusammen sind. Sie erzählen weder ihrer Familie noch ihren | |
Freund*innen oder ihrem nahen Umfeld von der Beziehung. | |
Doch ich hatte nun eine Karriere und war eine bekannte Journalistin. In | |
meinem Alter hatte ich keine Energie mehr für eine heimliche Liebe. Ich | |
sagte mir, dass dieses Schauspiel enden muss und trennte mich. | |
Eine Woche später rief er mich spätabends an: „Wach auf, ich komme vorbei.�… | |
Noch auf der Türschwelle zog er sein T-Shirt aus, das vom Regen komplett | |
nass war, ich fühlte mich wie in Pretty Woman. Mit der Aufregung, die einem | |
das erste Mal nach einer zehnjährigen Beziehung gibt, verbrachte ich | |
atemlose Stunden mit diesem wunderschönen Mann. Mit Selçuk war ich noch | |
drei Monate zusammen. Dann betrog er mich. | |
Als ich davon erfuhr, habe ich die Tür geschlossen, und das ist sie bis | |
heute. Doch wer weiß, vielleicht segelt eines Tages wieder aus dem Nichts | |
ein schöner Mann an mir vorbei. | |
23 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Reisebuch-ueber-die-Geschichte-Istanbuls/!5677163 | |
[2] /Das-Leben-als-trans-Frau/!5674587/ | |
## AUTOREN | |
Michelle Demishevich | |
## TAGS | |
Lost in Trans*lation | |
Trans | |
Istanbul | |
Lost in Trans*lation | |
Lost in Trans*lation | |
Lost in Trans*lation | |
Lost in Trans*lation | |
Lost in Trans*lation | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jahrestag der Geziproteste in Türkei: Eine vergessene Geschichte | |
Der Gezipark in Istanbul war früher ein armenischer Friedhof. Seine | |
Geschichte ist verlorengegangen. | |
Homophobie in der Türkei: Hass von der AKP | |
Die türkische Religionsbehörde verbreitet homophobe Positionen – und selbst | |
ein in Deutschland tätiger Arzt macht dabei mit. | |
Nachbarschaft und Hass in der Türkei: Erinnerung an meine Balkon-Familie | |
Die Meis-Siedlung, ein Wohnkomplex in Istanbul mit Blick auf das | |
Marmarameer: Dort war unsere Autorin glücklich – und wurde brutal | |
vertrieben. | |
Leben in Corona-Krise: Madame Michelle in Quarantäne | |
Für häusliche Personen bedeutet das Leben in den eigenen vier Wänden keine | |
große Veränderung – wenn da nicht die Bürokratie wäre und die Arztbesuche. | |
Pleite in Zeiten von Corona: Quarantäne und Finanzamt | |
Die Maßnahmen gegen eine Corona-Epidemie sind verwirrend. Aber das deutsche | |
Steuersystem ist ähnlich schwer zu verstehen. |