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# taz.de -- Falschaussage vor Gericht: Polizei beim Lügen erwischt
> Ein Göttinger Anwalt zeigt eine Polizistin wegen Verdachts der
> Falschaussage vor Gericht an. Ihre Aussage hatte einen Demonstranten
> belastet.
Bild: Die Polizei griff durch gegen die JVA-Besetzer:innen – nur angekündigt…
Göttingen taz | Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam hat eine Polizistin
aus Hannover wegen des Verdachts der Falschaussage vor Gericht angezeigt.
Anlass sind Aussagen der Beamtin in einem Verfahren um [1][die Räumung der
besetzten Justizvollzugsanstalt (JVA) in der Stadt vor gut einem Jahr.]
Am 6. Oktober 2022 waren mehrere Dutzend Polizisten an der ehemaligen JVA
in der Göttinger Innenstadt im Einsatz. Aktivisten hatten das seit Jahren
leerstehende Gebäude besetzt, [2][das die Stadt verkaufen und in dem eine
Bürgerinitiative ein Soziales Zentrum einrichten will.] Zahlreiche
Unterstützer hielten sich auf dem an dem früheren Knast vorbeiführenden
Gehweg auf. Die Demonstranten sollten auf die andere Straßenseite, weil die
Polizei in die JVA hinein wollte, folgten der Aufforderung aber nicht.
Beamte räumten deshalb den Eingangsbereich, wendeten dabei teilweise
Schmerzgriffe an, nahmen Personalien auf.
Gegen mindestens sieben Demonstranten wurden später Verfahren eingeleitet.
Sie sollen einer [3][versammlungsrechtlichen Beschränkung nach dem
niedersächsischen Versammlungsgesetz] nicht nachgekommen sein und damit
eine Ordnungswidrigkeit begangen haben. Ihnen gegenüber sei durch eine
eingesetzte Hannoveraner Polizeieinheit mehrfach eine sogenannte räumliche
Beschränkung ausgesprochen worden, der sie nicht nachgekommen seien, lautet
die Begründung. Weil sie Widerspruch gegen die Bußgeldbescheide der Stadt
Göttingen einlegen, verhandelt nun das örtliche Amtsgericht über den
Vorgang.
Die Hannoveraner Polizeieinheit habe ein Wortprotokoll ihrer
Lautsprecherdurchsagen vorgelegt, berichtet der Göttinger Rechtsanwalt Sven
Adam. Er vertritt die Beschuldigten. Der Datenträger, auf dem die
Durchsagen im Original gespeichert worden seien, sei angeblich nicht mehr
vorhanden.
## Gerichtlich bestätigt: Das Polizei-Protokoll ist falsch
Adam zufolge enthält das ersatzweise von der Polizei vorgelegte
Wortprotokoll an mehreren Stellen die vermeintliche Durchsage einer
beschränkenden Verfügung. In einer mündlichen Hauptverhandlung über einen
der Widersprüche am 19. Juni habe eine Hannoversche Polizeibeamtin, die die
Durchsagen selbst gemacht haben will, diese Aussage in einer Befragung
nochmals bestätigt.
Doch das ist ganz offensichtlich die Unwahrheit. Rechtsanwalt Adam selbst
bringt anschließend Videomaterial der Göttinger Bürgerrechtsinitiative
„BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ in das Verfahren ein, das
sämtliche Durchsagen der Polizei während des in Rede stehenden Einsatzes in
Bild und Ton dokumentiert. Die besagten beschränkenden Verfügungen sind in
den Durchsagen nicht enthalten. „Die vermeintliche Mitschrift der
Originalaufnahme ist damit falsch“, konstatiert Adam. „Und ein Strafvorwurf
gegenüber den Betroffenen nicht mehr zu halten.“
Das sieht das Amtsgericht genauso. Mit dem nun veröffentlichten Beschluss
vom 7. November spricht es den Beschuldigten frei. „Ein Tatnachweis konnte
nicht geführt werden“, heißt es in dem Urteil. „Der Verteidiger des
Betroffenen hat ein Video vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass eine
Beschränkung der Versammlung nicht ausgesprochen wurde. Die Echtheit des
Videos wird auch von der Staatsanwaltschaft nicht in Frage gestellt.“
## Strafanzeige gegen Polizeibeamtin
[4][Für Anwalt Adam ist die Sache allerdings noch nicht beendet.] „Die
Verfälschung eines Wortprotokolls und die Wiederholung unwahrer
Behauptungen in einer mündlichen Verhandlung sollte straf- und
dienstrechtliche Konsequenzen für die Polizeibeamtin haben, die in der
Verhandlung am 19. Juni 2023 die vermeintliche Echtheit der
Lautsprecherdurchsagen bestätigt hat“, sagt er.
Am Montag stellte Adam deshalb Strafanzeige gegen die Beamtin wegen des
Verdachts der Falschaussage vor Gericht: „Ohne das Video wären sieben
Personen wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt worden, die sie nicht
begangen haben.“
Parallel zu den Widerspruchsverfahren laufen auch noch Strafprozesse wegen
Hausfriedensbruchs. Betroffen sind mehrere Personen, die sich an der
damaligen Besetzung der JVA beteiligt haben sollen. In einem ersten
Verfahren hat das Amtsgericht einen Angeklagten freigesprochen. Ihm sei
nicht nachzuweisen gewesen, dass er sich in Kenntnis eines Ultimatums durch
Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) in dem Gebäude aufgehalten habe.
Sie hatte den Besetzern damals ein Ultimatum gestellt, die JVA bis zu einem
bestimmten Zeitpunkt zu verlassen. Anderenfalls werde die Stadt Anzeige
wegen Hausfriedensbruchs stellen.
22 Nov 2023
## LINKS
[1] /Verwendung-der-ehemaligen-JVA-Goettingen/!5928652
[2] /Investor-zieht-sich-zurueck/!5895260
[3] /Versammlungsfreiheit-in-der-Corona-Krise/!5675482
[4] /In-der-Tuerkei-verhaftete-Goettinger/!5965419
## AUTOREN
Reimar Paul
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Göttingen
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