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# taz.de -- „Jobturbo“ für Geflüchtete: Nicht nur Burger braten
> Geflüchtete sollen auch mit wenig Deutschkenntnissen arbeiten.
> Arbeitsminister Hubertus Heil lädt dazu am Montag zu einem Gipfel.
Bild: Die Arbeit im Schnellrestaurant darf nicht zur Sackgasse werden
So könnte es laufen: Die gelernte Apothekerin aus der Ukraine ist nach
Deutschland geflüchtet und spricht nach einem ersten Sprachkurs nur ein
bisschen Deutsch. Sie kann erst mal nur als Helferin in einer Apotheke
arbeiten, betreut den nichtpharmazeutischen Bereich und verbessert ihr
Deutsch im Kontakt mit den Kolleg:innen und in einem weiteren
berufsbezogenen Sprachkurs.
„Wenn die Menschen in Arbeit sind, wird die deutsche Sprache ‚on the job‘
sehr viel schneller gelernt, als wenn sie einen Integrationskurs nach dem
anderen machen würden“, sagt Daniel Terzenbach, von dem das Beispiel
stammt, im Gespräch mit der taz. Terzenbach ist der neue „Sonderbeauftragte
der Bundesregierung für die Integration von Geflüchteten“ und
Vorstandsmitglied bei der Bundesagentur für Arbeit.
Terzenbachs Aufgabe besteht darin, den von Bundesarbeitsminister Hubertus
Heil (SPD) angekündigten [1][„Jobturbo“] für Geflüchtete im Bürgergeldb…
in Gang zu setzen – und dabei Arbeitgeber, Weiterbildungsträger, Kommunen
und Migrantenorganisationen an einen Tisch zu bringen. Am kommenden Montag
ist dazu ein „Arbeitsmarktgipfel“ in Berlin geplant. Nach Äußerungen von
Heil sollen 400.000 Geflüchtete im Bezug von Bürgergeld, darunter etwa die
Hälfte Ukrainer:innen, schon nach einem ersten Integrationskurs, der zum
Beispiel mit einem einfachen sprachlichen Level von B 1 endet, möglichst
schnell in Arbeit kommen.
[2][Der politische Druck auf die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten
steigt, seitdem sich die Debatte um Migration verschärft hat]. Zumal die
Beschäftigungsquoten von geflüchteten Ukrainer:innen laut Bundesagentur
für Arbeit nur bei rund 19 Prozent liegen. Unter den Geflüchteten seit 2015
aus den acht wichtigsten Herkunftsländern sind nach Erhebungen des
[3][Nürnberger IAB-Instituts] nach sechs Jahren 54 Prozent in Arbeit.
## Im Job Deutsch lernen
Für die Integration der Geflüchteten sucht Terzenbach „neue Wege“, wie er
sagt. „Es macht mehr Sinn, Arbeitsaufnahme, Spracherwerb und Qualifikation
parallel zu verfolgen und nicht nacheinander, weil sich erwiesen hat, dass
man die Sprache am besten bei der Arbeit lernt“, so der Sonderbeauftragte.
„Wir brauchen Arbeitgeber, die Menschen erst mal als Helfer einstellen, die
eben noch nicht so gut Deutsch können, und ihnen dann
Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen, auch entsprechend ihrer Qualifikation.“
In der Praxis bedeutet dies, dass etwa gelernte Krankenschwestern aus der
Ukraine erst mal als Hilfspfleger:innen arbeiten, ausgebildete
Lehrer:innen nur als Betreuer:innen an Schulen tätig sind.
Viele Ukrainer:innen haben eine Ausbildung in einem
Dienstleistungsberuf. „Wenn Menschen im Heimatland im Einzelhandel
gearbeitet haben als Kassierer oder als Kundenberaterin, dann können sie
als Helferin beginnen und Tätigkeiten übernehmen, die nicht so
kundenintensiv sind, etwa im Lager und beim Auffüllen von Regalen im
Verkaufsraum“, sagt Terzenbach, „damit lernt man weiter Deutsch und kann
sich so Stück für Stück in den kundennahen Bereich einarbeiten und sich der
eigenen Qualifikation nähern.“
[4][Das Entscheidende ist die Aufstiegsmöglichkeit]: Es sei wichtig, „dass
man nicht hängen bleibt in einer Helfertätigkeit, sondern
Entwicklungsmöglichkeiten hat und wenn nötig dafür entsprechende
Unterstützung bekommt“, so der Sonderbeauftragte, „wir brauchen jede
Fachkraft in Deutschland“. Unterstützungen sind etwa berufsbegleitende
Qualifizierungen, Sprachkurse und Eingliederungszuschüsse für die
Arbeitgeber vom Jobcenter.
## Geflüchtete wollen arbeiten
Nach dem Jahr 2015 fanden viele Geflüchtete Arbeit zum Beispiel in
Versandzentren und in der Systemgastronomie. Bei Amazon im Lager muss man
nicht unbedingt gut Deutsch sprechen können. Und bei McDonalds gab es schon
genügend arabischsprechendes Personal, um neue Helfer einzuarbeiten. Diese
Jobs können aber zu einer Sackgasse werden.
Bei der Vorstellung des neuen „Jobturbo“ für Geflüchtete kündigte
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil an, [5][arbeitslose Geflüchtete sollten
künftig vom Jobcenter alle sechs Wochen vorgeladen werden], es gebe
„Mitwirkungspflichten“, und „Angebote müssen angenommen werden“.
[6][Dieser verschärfte politische Ton] irritiert manche. „Die Frauen wollen
arbeiten“, sagt etwa Natalia Craciun, Seminarleiterin beim beruflichen
Fortbildungszentrum der bayerischen Wirtschaft (bfz) in München. Sie kennt
viele Ukrainer:innen aus den Sprachkursen und von ihrer ehrenamtlichen
Arbeit bei der Tafel und hat selbst Verwandtschaft in der Ukraine. „Viele
Frauen wollen sich integrieren, die wollen, dass sie und ihre Kinder eine
Zukunft haben in Deutschland, sie wissen, dass sie nicht auf Dauer vom
Jobcenter leben können. Aber es fehlt an Kinderbetreuungsplätzen, die
Frauen warten und warten auf einen Kitaplatz, viele leben in Heimen, manche
sogar in Notunterkünften“, erzählt Craciun.
Die Behauptung, das angeblich zu hohe Bürgergeld verleite Geflüchtete zum
Nichtstun, wird durch Studien jedenfalls nicht bestätigt. Laut einer
[7][Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung] sind die Beschäftigungsquoten der
Ukrainier:innen in den Niederlanden zum Beispiel sehr viel höher, bei
annähernd gleich hoher Sozialleistung. Und in Österreich sind die
Beschäftigungsquoten so niedrig wie in Deutschland, bei deutlich geringerer
Sozialleistung. Die Zusammenhänge sind also komplizierter. In einem
Arbeitsmarkt, zu dem immer mehr Menschen ohne „deutsche Abschlüsse“ einen
Beitrag leisten, müsse man umdenken, sagt Terzenbach. „Wir sind in
Deutschland überverliebt in Zertifikate“. Dabei sollte das Lernen während
der Arbeit wichtiger werden, auch um anschlussfähiger zu werden an einen
immer globalisierteren Arbeitsmarkt.
In den Fokus geraten dabei auch sogenannte [8][Teilqualifizierungen], das
sind mehrmonatige Kurse für spezielle Fachkenntnisse etwa in
Computer-Lagerhaltung, Maschinenführung oder Pflegeassistenz.
Teilqualifizierungen seien „ein sicherlich sinnvoller Ansatz“, sagt
Terzenbach. Ohne mehr Flexibilität wird es jedenfalls nicht gehen.
17 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/2023/turbo-zur-arb…
[2] /Weitere-Verschaerfung-fuer-Gefluechtete/!5965956
[3] https://doku.iab.de/kurzber/2023/kb2023-13.pdf
[4] /Forderung-des-Staedte--und-Gemeindebunds/!5963201
[5] /Streit-ueber-Buergergeld/!5969644
[6] /Debatte-ueber-Einwanderung/!5966611
[7] https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/20088.pdf
[8] https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/20263.pdf
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Geflüchtete
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Integration
Flucht
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Flüchtlinge
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